Patrick Viol

Kommentar: Zeit für eine Internationale Sturmabwehr

Wenn das Ende der dritte Welle mehr sein soll als eine Ruhe vor dem Sturm, ginge es jetzt darum, eine internationale Notfallplanwirtschaft zur Produktionssteigerung und Verteilung von Impfstoff einzurichten.
Nach uns die Sintflut? Das ist kein funktionierendes Prinzip in der Pandemiebekämpfung. (Bild: Kadinsky Sintflut, 1912)

Nach uns die Sintflut? Das ist kein funktionierendes Prinzip in der Pandemiebekämpfung. (Bild: Kadinsky Sintflut, 1912)

Es gab bestimmt niemanden, dem die Nachricht, dass die dritte Welle gebrochen sei, nicht ein leichtes Aufatmen, ja sogar etwas Hoffnung verschaffte. Eine vorsichtige Hoffnung darauf, dass - auch mit dem zunehmenden Impftempo - das Ende der Pandemie näher rückt. Und ja, der Impffortschritt gibt Anlass zur Hoffnung. Doch sollte man sich von lokalen und nationalen Fortschritten nicht blenden lassen. Die Pandemie ist nicht vorbei, wenn die Mehrheit der Deutschen, sondern erst dann, wenn die Mehrheit der Menschheit geimpft ist. Und in vielen Ländern sieht es leider immer noch sehr schlecht aus. Während zwar in Israel, Großbritannien, den Vereinigten Arabischen Emiraten mehr als 50%, und in Deutschland und den USA mehr als 30% der Bevölkerung mindestens ihre Erstimpfung erhalten haben, so haben Brasilien erst 15, Indien neun und Südafrika und Nigeria erst ein Prozent ihrer Bevölkerung geimpft. So ergibt sich, dass im weltweiten Durchschnitt erst 8 Prozent der Bevölkerung mindestens eine Impfdosis erhalten hat (Zahlen: Spiegel). Eine Impfdosis übrigens, von der noch nicht abschließend geklärt ist, ob sie effektiv gegen die Mutationen aus Brasilien, Südafrika und Indien schützt. Das heißt: Wenn nicht alle Hoffnung auf ein Näherrücken des Pandemieendes zuschanden gehen soll, dann muss schneller mehr geimpft werden.
Daran wird auch US-Präsident Joe Biden gedacht haben, als er sich dafür aussprach, für begrenzte Zeit Impfstoffpatente aufzuheben. Damit soll erreicht werden, dass Länder wie Brasilien und Indien selbst Impfstoffe produzieren können. Das ist zwar ein besserer Ansatz als der von Angela Merkel und dem Verband Forschender Arzneimittelhersteller, die lediglich auf Profitinteressen setzen, um Originalhersteller dazu zu bewegen, sich an der weltweiten Impstoffversorgung zu beteiligen. Denn wer hierbei lediglich nur auf Marktanreize setzt, beweist die gleiche ideologische Ideenverarmung wie Brasiliens Präsident Bolsonaro, der wirklich dachte: Lassen wir das Virus einfach durchlaufen, Herdenimmunität und so. Man sieht, wozu das geführt hat: 400.000 Tote. Ebenso rücksichtslos ist das Prinzip des Marktes: Das zielt nicht auf das größte Glück und die Gesundheit aller, sondern lässt wenige vom Nachteil und Unglück der Mehrheit profitieren. In der Pandemiebekämpfung ist dieses Prinzip eine: Katastrophe.
Aber: Einfach Patente freigeben bringt auch nicht viel. Denn die Herstellung ist höchst komplex und ohne Anleitung und Transfer von Expert:innenwissen kaum möglich. Allein der Biontech-Impfstoff benötigt 280 Komponenten, die von 86 Zulieferern aus 19 Ländern stammen, die zudem alle zur rechten Zeit am rechten Ort sein müssen.
So müsste man sich von der Alternative Markt oder Patentfreigabe verabschieden und einen anderen Weg einschlagen.
Und vor dem Hintergrund, dass die Pandemie bisher gezeigt hat, dass nicht das Prinzip „Einfach laufen lassen“, sondern nur Kooperation und Planung - im Privaten, in Unternehmen und in der Politik - zu Erfolgen im Kampf gegen Corona geführt haben, macht Thomas Bollyky, Experte für globale Gesundheit beim US-Thinktank Council on Foreign Relations den besten Vorschlag: Er plädiert für eine Art internationaler Notfallplanwirtschaft unter der Führung der reichsten Länder der Welt.
Es sollte schnellstens eine Behörde eingerichtet werden, die für eine effektive und geordnete Steigerung und Verteilung der globalen Impfstoffproduktion verantwortlich ist - abseits von Patentfragen. Dafür mit Fokus darauf, wer international den verfügbaren Impfstoff am meisten braucht. Auch wenn das hieße, dass Risikopatient:innen in Indien eher geimpft werden als hier Schüler:innen oder Unipersonal im Homeoffice.
Nur so - mit internationaler Kooperation und Koordination abseits von Profitinteressen - könnte man vielleicht sicherstellen, dass die gebrochene dritte Welle nicht nur eine trügerische Ruhe vor dem nächsten Sturm ist.


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