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Patrick Viol

Kommentar: Symptome der Spaltung

Warum weder rechte noch linksliberale Identitätspolitik die Gesellschaft „spalten“, sondern Ausdruck ihrer grundsätzlichen Spaltung sind, kommentiert Patrick Viol zum internationalen Tag gegen Rassismus.
Zum internationalen Tag gegen Rassismus am 21. März scheint es angebracht, den Vorwurf der Spaltung selbst zu kritisieren. Bild:K. Schwitters/commons

Zum internationalen Tag gegen Rassismus am 21. März scheint es angebracht, den Vorwurf der Spaltung selbst zu kritisieren. Bild:K. Schwitters/commons

Bild: Patrick Viol

Dem völkisch-identitären Rechtspopulismus bis -extremismus wird von allen politischen Lagern der Vorwurf gemacht, sein Rassismus, der sich in Begriffen wie „Messermigration“, „Bevölkerungsaustausch“ und tödlicher Gewalt ausdrücke, „spalte“ die Gesellschaft.
Identitäre Rechtspopulist:innen hingegen verorten aufseiten der identitätspolitischen Antirassist:innen die Spaltung. Indem diese sich zum einen für Sonderrechte für marginalisierte Minderheitskulturen einsetzten und alles als strukturelle Diskriminierung verurteilen, was Ausdruck weißer, deutscher, männlicher oder heterosexueller Identität ist, spalteten sie die Gesellschaft. Ähnliches formulierte auch kürzlich Wolfgang Thierse in der FAZ, obgleich er damit nicht das Ziel einer homogenen deutschen Kultur verfolgte, sondern für mehr Verständigung in der Gesellschaft plädierte.
Zum internationalen Tag gegen Rassismus am 21. März scheint es mir angebracht, den Vorwurf der Spaltung selbst zu kritisieren. Zum einen verharmlost er die Gewalt, die vom Rassismus für Menschen ausgeht. Zum anderen spalten sowohl rechte Identitätspolitik, die eine einheitlich-traditionelle Kultur vertritt, als auch die auf die Vielfalt unhinterfragter Minderheitenkulturen setzende linke Identitätspolitik nicht ursächlich die Gesellschaft. Beide sind Ausdruck davon, dass unsere Gesellschaft prinzipiell gespalten ist. Aber mit ihrem Einsatz für ihre individuums- und aufklärungsfeindlichen Vorstellungen von Kultur verschärfen beide die Spaltung der Gesellschaft.
Gespalten ist diese grundsätzlich darin, dass ein paar wenige Menschen Unternehmen samt Maschinerie besitzen, die meisten aber nur ihre Arbeitskraft, die sie versuchen müssen, den wenigen anzudrehen. Weil das aber immer scheitern oder man seinen Job auch schnell wieder los sein kann, herrschen permanent Unsicherheit und Ohnmacht der Einzelnen - als Konsequenz der auf Grundlage der Ökonomie gespaltenen Gesellschaft. Diese mal mehr, mal weniger bewusste Situation kann beim Einzelnen das Bedürfnis anrühren, Teil einer größeren Gemeinschaft innerhalb der ohnmächtig machenden Gesellschaft sein zu wollen. Von ihr verspricht sich der Vereinzelte Schutz und Handlungsfähigkeit. Damit eine Gemeinschaft aber überhaupt existieren und der Vereinzelte wissen kann, ob er zu ihr gehört, muss sie sich von anderen abgrenzen.
Rassismus und Antisemitismus bilden auf der völkisch-identitären Seite die Mechanismen der Abgrenzung. Auf der links-identitären Seite sind es die Relativierung universal geltender Menschenrechte und die unhinterfragte Verteidigung eines jeden Identitätsmerkmals einer Minderheitenkultur, was nicht selten eine Ignoranz gegenüber Antisemitismus, Sexismus und Homophobie in solchen Kulturen bedeutet. Damit sind rechte und linke Identitätspolitik zwar nicht inhaltlich gleich - aus der ersten folgt Gewalt, die zweite ignoriert sie bloß. Aber beide sind eine Art gefährliche „Schiefheilung“ (S. Freud) der aus der ökonomischen Spaltung der Gesellschaft resultierenden individuellen Ohnmacht durch eine Flucht in eine kulturell abgesteckte Gemeinschaft. Schief ist sie deshalb, weil sich an der Situation des Individuums reell nichts ändert. Für sich genommen bleibt es in der kulturellen Gemeinschaft so bedeutungslos wie in der Gesellschaft. Und gefährlich, weil Rassismus so nicht bekämpft, sondern befördert wird. Ein universeller Antirassismus hingegen, der die grundlegende Spaltung der Gesellschaft reflektiert und bedingungslos dem Individuum beisteht, hätte gegen Rassismus immerhin ein Chance.
Internationaler Tag gegen Rassismus


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