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Kommentar: Die Angst vor dem Kontrollverlust

Von Lena Stehr
Bequemlichkeit spielt sicher eine Rolle, wenn es um die umstrittenen Elterntaxis geht, die vor Schulen gefährliches Verkehrschaos anrichten. Doch der wahre Grund, seine Kinder morgens am liebsten bis ins Klassenzimmer begleiten zu wollen, liegt meist woanders. Und zwar in der Unfähigkeit vieler Eltern, mit drohenden Kontrollverlusten umzugehen, loszulassen und „die Welt da draußen“ nicht als durchweg böse zu begreifen.
Ich bin selbst Mutter einer Tochter, die gerade eingeschult wurde. Die Vorstellung, dass sie plötzlich ohne mich das Haus verlässt und rund 15 Minuten lang - gefühlt - in ständiger Lebensgefahr schwebt, weil sie mehrere Straßen überqueren muss, macht mir Angst. Und vielleicht liegt es genau an dieser, nämlich meiner eigenen Angst, dass meine Tochter sich morgens momentan noch etwas schwer mit der Trennung von mir tut. Auch ich erkenne in mir manchmal eine Helikoptermutter, die am liebsten ständig über ihrem Kind kreisen würde, um es vor allem scheinbaren Übel bewahren zu können; für die es noch ungewohnt ist, nicht genau zu wissen, was meiner Tochter am Tag alles widerfahren kann bzw. ist. Denn wo früher noch Erzieher*innen beim Abholen ein Feedback gaben, bin ich nun auf die Informationen angewiesen, die meine Tochter mir - meist nur unzusammenhängend und natürlich gänzlich unvollständig - gibt.
Gleichwohl bin ich überzeugt, dass ich mich nur zu einem glücklichen, selbstständigen und krisenresistenten Menschen entwickeln konnte, weil ich keine Helikoptereltern hatte, sondern früh Verantwortung für mich selbst übernehmen durfte und viel Freiraum hatte. Eltern sollten sich nicht aus Angst vor der Welt in ein Helikoptercockpit zurückziehen, durch dessen mit Angstschweiß beschlagenen Fenster sie ihre Kinder nur noch als Projekt ihrer Selbst betrachten können und nicht mehr als ein eigenständiges Wesen. Stattdessen sollten sie sich fragen: Was will ich mit meiner Erziehung bezwecken und was wünsche ich mir wirklich für mein Kind? Möchte ich, dass es zu einem selbstständigen, rücksichtsvollen und positiv gestimmten Erwachsenen wird? Oder nehme ich in Kauf, dass es womöglich zu einem ängstlichen und unsicheren Menschen heranwächst, nur weil ich nicht in der Lage war, im richtigen Moment loszulassen? Und ganz ehrlich: Verängstigte Menschen sind nicht gerade die angenehmsten Zeitgenossen.
Ein wichtiger Moment des Loslassens ist definitiv der Eintritt in die Schule. Den Schulweg haben meine Tochter und ich vorher oft gemeinsam eingeübt und für ein paar Wochen werde ich sie wohl - im Wechsel mit anderen - auch noch dabei begleiten. Doch dann muss ich loslassen und mich darauf konzentrieren, meine Tochter durch meinen Glauben an sie selbstbewusst und stark für viele andere Situationen zu machen.
Ich möchte ihr beibringen, dass die Welt einem vielleicht manchmal Angst macht, aber kein Angstort ist. Und dass man immer selbst in der Hand hat, wie sich die Dinge entwickeln. Jeder von uns sollte mit einem Lächeln und voller Zuversicht in den Tag starten, statt voller Sorgen, Zweifel und Angst. Diese Fähigkeit verschafft meinem seinem Kind aber nicht, wenn man es in einer entscheidenden Entwicklungsphase - im Auto von der Außenwelt abgeschirrmt - jeden Tag zur Schule karrt. Sondern indem man es guten Gewissens seinen Weg gehen lässt.


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