Kommentar: Der sexistische Teufel im Detail gehört ausgetrieben
Ich hab es ja nicht so mit Zahlen, aber hiermit möchte ich mich für die Rehabilitierung der 33 und der 44 einsetzen, die offenbar für sexistische Zwecke missbraucht werden. Seitdem ich kürzlich bei einem - eigentlich sehr lustigen - Lottoabend auf dem Dorf war, sind die 33 und die 44 für mich nicht mehr nur noch einfache Schnapszahlen. Sie stehen fortan für die anhaltende Reduzierung von Frauen auf ihren Körper und jene, welche die Zahlen dazu missbrauchen - für alle ewig Gestrigen, die einem stets, wenn man sie darauf hinweist, dass das scheiße ist, entgegnen: „Das haben wir schon immer so gemacht.“
Zur Erklärung: Immer wenn beim Lotto die 33 gezogen wurde, tönte es aus einem Männermund im Publikum: „Da sind sie wieder, die aufgestellten Brüste“. Und bei der 44: „Ahhh, die dicken Schwestern!“. Ich gebe zu, dass ich an dieser Stelle gerne selbst sexistisch werden wollte, indem ich die 33 kurzerhand zu „dicken Eiern“ und die 44 zu „den fetten Männerbierbäuchen“ umfunktioniert hätte. Dass ich aber auch dann ruhig blieb, als zum gefühlt 100sten Mal die 33 gezogen und immer der gleiche Spruch laut in den Saal gerufen wurde, bildet leider das Verhalten vieler Frauen im Alltag ab: Unangenehmes ignorieren, Diskussionen aus dem Weg gehen und Beleidigungen einfach weglächeln.
Viele werden jetzt sicher denken: Was regt die sich so über aufgestellte Brüste und dicke Schwestern auf? Das sagt man eben so beim Lotto auf dem Dorf. Das war schon immer so und wir haben ja auch nichts gegen Dicke - und gegen Brüste sowieso nicht (zwinker, zwinker).
Und zugegeben: Auch ich hab schon (ungeniert) über sexistische Witze gelacht, finde politische Korrektheit und übertriebenes Gendern auch oft nervig und habe mich schon dabei ertappt zu sagen, dass meine Tochter dies oder das nicht braucht, denn früher ging es ja auch ohne. Aber: Zum einen ist diese Phrase kein Argument, sondern ein Totschlagargument, dessen Härte nicht nur Denkfaulheit, sondern auch Unsicherheit verrät. Unsicherheit gegenüber Entwicklungen. Und das ist fatal, wenn es Entwicklungen sind, durch die die Öffentlichkeit zu einem angenehmeren Ort für alle werden könnte.
Klar mag es in einer strukturell unsicheren Gesellschaft menschlich sein, Angst vor Veränderungen zu haben und neuen Entwicklungen skeptisch gegenüber zu stehen. Doch sollte man sich deshalb nicht für Neues verschließen und darauf verzichten, Dinge - inklusive sich selbst - immer mal wieder kritisch zu hinterfragen. Das will ich auch meiner Tochter beibringen und nicht, dass man an Brüste oder an dicke Frauen denkt, wenn man die 33 oder die 44 hört. Und solange solch vermeintliche Kleinigkeiten wie die sexistischen Zahlen von Generation zu Generation weitergegeben werden, wird es auch weiterhin so bleiben, dass Männer, die in Elternzeit gehen oder Paare, die sich die Care-Arbeit gerecht aufteilen, noch lange nicht der Standard sind. Im Kleinen drückt sich immer das große Ganze aus. Auch in der Forderung von BDA-Chef Kampeter, die Deutschen sollten mehr und länger arbeiten. Denn nicht zuletzt ist es die hohe Arbeitsbelastung, die es Paaren erschwert, die Care-Arbeit gerecht unter sich aufzuteilen.
Für meine Tochter wünsche ich mir eine Gesellschaft, in der Männer und Frauen die Flexibilität haben, sich die Care-Arbeit selbstverständlich zu teilen und auch unabhängig voneinander finanziell abgesichert sind. Und für die 33 und die 44 wünsche ich mir, dass sie ihr Lottodasein vielleicht als „die zwei halben Herzen“ und „die Segelschiffchen“ fortführen können.
Und den ewig Gestrigen gebe ich folgendes mit auf den Weg: „Your old road is rapidly agin‘.Please get out of the new one if you can‘t lend your hand. For the times they are a-changin‘.“ (Bob Dylan).