Patrick Viol

Kein richtiger Konsum in falscher Produktion

Am 1. Oktober ist der Tag der Vegetarier und am 25. September fand der internationale Klimastreik statt. Patrick Viol nimmt in seinem Essay beide Tage zum Anlass, um den Zusammenhang von Fleischproduktion und Klimawandel darzustellen und sich zu fragen, wie ein unbeschwerter Fleischkonsum möglich wäre. Er selbst ist Fleischesser.
Laut dem Klimarechner des Umweltbundesamts ist in Deutschland jede Person im Schnitt für 11,61 Tonnen CO2 im Jahr verantwortlich, 1,74 Tonnen davon entfallen auf die Ernährung. Foto: adobestock/mehmet

Laut dem Klimarechner des Umweltbundesamts ist in Deutschland jede Person im Schnitt für 11,61 Tonnen CO2 im Jahr verantwortlich, 1,74 Tonnen davon entfallen auf die Ernährung. Foto: adobestock/mehmet

Fleischglückseligkeit
 
Bereits als Kind lernt man, dass Fleischkonsum in unserer Gesellschaft etwas Besonderes sein soll: Es gehört immer noch an vielen Fleischtheken zur Tradition, dass Kinder gefragt werden, ob sie nicht ein Stück Wurst auf die Hand haben möchten. Wenn man Glück hat, bekommt man sogar eines mit einem Bärchengesicht drauf.
So macht man schon früh die Erfahrung, dass Fleischessen etwas mit Luxus und Wohlstand zu tun hat. Während andere Kinder in der Welt hungern müssen, bekommt man hierzulande Fleisch geschenkt.
Und das zu einer Zeit, die man nachträglich gern als unbeschwert oder glücklich bezeichnet. Und diese in der Kindheit gezeitigte Verbindung von Fleisch und Glück, von Braten und Glückseligkeit bleibt, zumindest bei vielen.
Daran haben nicht zuletzt auch die Futter- und Völlereifeiertage ihren Anteil. An denen Familien zusammensitzen und primär essen. Ganz vorne dabei: Ostern und Weihnachten. Feiertage, an denen zweimal im Jahr die ganze Familie fröhlich zusammen bestimmt, was gegessen wird; zu denen es Lämmern, Schweinen, Rindern und Gänsen in großem Ausmaß an den Kragen geht.
Aber nicht nur an den heiligen Feiertagen scheint der Fleischkonsum unverzichtbar. Auch die wärmere Jahreszeit bringt Freund*innen, ja ganze Städte zum gemeinsamen Fleischverzehr zusammen. Zum Angrillen und endlosem Weitergrillen. Wenige können sich das Rost über den Kohlen ohne das Nackensteak, oder die Rippchen vorstellen. Vor allem Männer nicht.
Die einstigen Jäger scheinen über ihren Fleischkonsum im genderfluiden Kapitalismus mit den letzten Resten ihres Archetypus in Verbindung treten zu wollen. Mit den Zähnen ins gebratene Fleisch zu beißen, scheint wie ein Ersatz dafür, dass der bloße Besitz des männlichen Geschlechts einem immer weniger Autorität verleiht.
 
Das Fleischsystem
 
Hinter dem, was so idyllisch daherkommt und was in den Erinnerungen das Gefühl von Heimiligkeit und besonderen Familienmomenten auslöst, steht profane Schlachtindustrie und Massentierhaltung.
Diesen gegensätzlichen Zusammenhang bearbeitet auch die Wissenschaftlerin für resiliente sozio-technische Systeme, Dr. Minna Kanerva, an der Uni Bremen, die u. a. zur Soziologie des Fleisches forscht. In den westlichen Gesellschaften habe Fleisch auf „der emotionalen Ebene“ stets noch die symbolische Bedeutung von Wohlstand, während seine „intensive Produktion in Wahrheit schrecklich“ sei, so Kanerva.
Realität der Produktion und die Bedeutung des Konsums von Fleisch stehen in einem diametralen Gegensatz: Der geteilten Freude über den tollen Geschmack des Weihnachtsbratens am dekorierten Familientisch steht das Massenelend von Tieren gegenüber, sofern man das Fleisch nicht gerade beim Bioschlachter um die Ecke, sondern im Supermarkt kauft. Für ein paar Euro. Wo es eben nichts Besonderes, sondern für die meisten erschwingliche Massenware ist.
 
Schlecht fürs Klima
 
Der Konsum von industriell hergestelltem Fleisch geht aber nicht nur zu Lasten der Tiere und der Menschen, die - wie die Skandale in den Schlachthöfen zeigten - unter üblen Bedingungen zu arbeiten gezwungen sind. Das Fleischsystem schädigt auch das Klima und die Biodiversität, wie Kanerva auf Anfrage des ANZEIGERS schreibt: „Das globale Fleischsystem, Produktion wie Konsum von industriell hergestelltem Fleisch trägt am meisten zum Klimawandel und dem Verlust der Artenvielfalt bei.“
Zwischen 15 und 30 Prozent des menschengemachten Treibhausgases gehe darauf zurück. Einen großen Anteil erzeugen die Massen von Kühen selbst. Die furzen Methan. Diese Zahlen und Zusammenhänge bestätigte auch der Weltklimarat in seinem Sonderbericht vom August 2019.
In der Fleischproduktion liefen die Ursachen für die ökologische wie die klimatische Krise zusammen, erklärt Kanerva.
 
Zerstörung des Regenwaldes
 
In Brasilien z. B. ist die Fleischproduktion die Hauptursache für die Zerstörung des Regenwaldes. „Allein im Amazonasgebiet stieg zwischen August 2018 und Juli 2019 die Entwaldungsrate um fast 30 Prozent auf 9.762 Quadratkilometer Wald - das entspricht der Hälfte von Rheinland-Pfalz“, wie der WWF berichtet.
Der Antrieb für die Entwaldung liegt in der Schaffung für Weideflächen und Sojaanbau als Futter für die Rinder. Platz geschaffen wird durch Feuer, das stets die Gefahr birgt, außer Kontrolle zu geraten. Die verherrenden Amazonasbrände im August gehen auf illegale Rohdungen für die Viehzucht zurück. Ein Vorgehen, das vom Präsidenten Bolsonaro befeuert wird, da Umweltverbände an ihrer Arbeit behindert werden.
Auf diese Weise entsteht auch Fleisch, das auf unseren Tellern liegt. Wir essen fröhlich den Regenwald mit auf.
 
Schlechte Co2 Bilanz
 
Laut dem Klimarechner des Instituts für Energie- und Umweltforschung Heidelberg (Ifeu) erzeugt ein Kilogramm Rindfleisch im Schnitt ein Äquivalent von gut zwölf Kilogramm CO2. Schweinefleisch vier Kilogramm. Doch auch dessen Produktion hat insgesamt eine schlechte Bilanz: „Der Ressourcenverbrauch zur Produktion von nur einem Kilogramm Schweinefleisch ist enorm. Neun bis zwölf Quadratmeter Nutzfläche werden beansprucht, 5.990 Liter Trinkwasser verbraucht, 650 Gramm Soja zusammen mit vielen anderen Futtermitteln verfüttert und 3.252 CO2-Äquivalente produziert“, wie der Regionalgeschäftsführer des Bundes Bernd Quellmalz ausführt.
Das bittere an diesen Zahlen: Von der Nahrungsmittelproduktion werden dem Weltklimarat zufolge inzwischen 25 bis 30 Prozent verschwendet. Denn Produktion auf Profit ist blind, und nicht nach den tatsächlich vorhandenen Bedürfnissen gerichtet.
 
Weniger Fleisch essen
 
In Anbetracht der 60 Kilogramm Fleisch, die die Deutschen jedes Jahr essen, empfiehlt der Bund, nur eine Menge „von 300 bis 600 Gramm Fleisch pro Woche, also die Hälfte des aktuellen Pro-Kopf-Konsums“ zu verzehren.
Jerik Dikkerboom von Fridays von Future und 3/4 der Mitglieder aus den Ortsverbänden, wie er erzählt, verzichten bereits gänzlich auf den Fleischkonsum. Um den Treibhauseffekt auf 1,5 Celsius zu begrenzen, „müssen wir unseren Fleischkonsum überdenken und drastisch verändern“, so Dikkerboom.
Auch Kanerva empfiehlt, den individuellen Konsum zu ändern, um einen Einfluss auf Entscheidungsträger auszuüben. Zugleich betont sie aber, dass gesellschaftliche Strukturprobleme sich nicht allein durch die Veränderung des persönlichen Konsumverhaltensn verändern lassen. „Es braucht beides, individuelles und gesellschaftliches Handeln“, so Kanerva.
 
Persönliches Fazit
 
In Anbetracht der dramatischen Konsequenzen von Fleischproduktion und -konsum, lässt sich nicht vernünftig, d. h. moralisch überzeugend, dafür argumentieren, ihm weiter unbeschwert nachzugehen. Über die Produktionsbedingungen hinwegzusehen ist grausam. Aber doch wird m. E. an der Verweigerungshaltung, sich nicht mit der Grausamkeit des Fleischessens beschäftigen zu wollen, etwas deutlich.
Nämlich, dass man lieber in einer Gesellschaft leben würde, in der der allgemeine Konsum tatsächlich unbeschwert erfolgen kann.
Und zwar nicht, indem man allgemeine Askese und Vegetarismus verordnet bekommt, sondern dadurch, dass die Produktionsverhältnisse so geändert würden, dass man jederzeit von jedem Produkt wissen kann, dass für seine Herrstellung weder Tiere, Menschen noch die Natur ausgebeutet wurden.
Dann ließe sich ein Steak unbeschwert essen. Wahrscheinlich schmeckte es auch besser, weil man es ohne schlechtes Gewissen genießen könnte - dafür müsste man sich aber einsetzen.Essay
 


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