

Am 21. Juni verwandelt sich das Goetheplatz-Theater in eine Bühne der Begegnung: Die deutsch-polnische Gesellschaft Bremen lädt zum 50. Geburtstag und feiert diesen Meilenstein mit einem besonderen Konzertabend. Ab 19.30 Uhr empfängt Journalistin Lea Reinhard Gäste zu einem musikalischen Ereignis, das Grenzen überwindet und Generationen zusammenführt.
Beim „Poetic Beats“ schaffen die Klangtalente Alli Neumann und Martin Maciejczak eine Brücke zwischen zwei Nationen. Im Interview gewährt Alli Neumann Einblicke in ihre Kindheit in Polen, spricht über Kunst als Sprache der Vielfalt – und über Musik als leisen, aber kraftvollen Botschafter zwischen den Welten.
Liebe Alli, Deine Mutter kommt aus Polen und du hast dort deine ersten Lebensjahre verbracht. Gab es damals schon einen Moment, an dem du gemerkt hast: Musik ist der Weg, den ich gehen will?
Ich habe nicht wirklich viele Erinnerungen, an denen Musik nicht Teil meines Lebens war. Wir haben in Polen immer Musik gemacht, mit meinem Opa und meiner Mutter. Während ich die Mundharmonika gespielt habe, saß Mama am Banjo.
Und gab es danach noch Menschen, die deine ‚musikalischen Augen‘ besonders geöffnet haben?
Ich kann mich noch an einen Moment erinnern. Als ich mit 4 Jahren zum ersten Mal Gwen Stefani im Fernsehen gesehen habe. Ich dachte immer, wenn ich später erwachsen bin, darf ich mich nicht mehr verkleiden und das dann alles so ernst ist. Stefani dann voll kostümiert zu sehen – punkig, ohne das innere Kind verloren zu haben – hat mich damals richtig gecatcht.
Gibt es heute Momente in der Kunst, in denen dein polnischer Einfluss besonders zum Ausdruck kommt?
Blues-Musik ist in Polen eine superbeliebte Musikrichtung, mit der ich groß geworden bin. Wenn man meine Musik heute hört, merkt man, dass ich noch immer gerne Bluesklänge mitnehme und mich diese roughen Gitarrensounds voll abholen. Beim Schreiben fällt mir oft erst danach auf, wie sehr sich bei mir Pop-Musik und Lyrik miteinander vermischen. Für die Lyrik opfere ich da gerne mal ein wenig Zugänglichkeit – das erlebt man im Polnischen immer wieder.
Was würdest du sagen, inspiriert dich im Leben am meisten – Menschen, Gespräche, Gefühle oder eher Alltagssituationen?
Ehrlich gesagt einfach alles! Ich versuche gerne, aus verschiedenen Perspektiven einen Song zu schreiben. Es kann sein, dass ich ein Gefühl habe, das ich verarbeiten will. Manchmal wartet ein Thema, über das ich schreiben muss, weil’s mich beschäftigt – wo ich mir Zeit nehme und erstmal Bücher lese. Und in manchen Momenten ruft mich die Musik! Kunst muss bei mir für alles herhalten – als Unterhaltung, Medizin, Beruf und als Erfüllung. (lacht)
Hast du in deinem musikalischen Werdegang denn schon ein Reiseziel erreicht oder ändert sich dein Weg immer wieder?
Tatsächlich ist das ständig im Wandel – und am Ende finde ich genau das so spannend an der Musik. Dass ich immer wieder die Chance habe, mich neu zu erfinden – ein neues Narrativ oder eine neue Perspektive zu schaffen. Manchmal bin ich selbst von mir überrascht, welches Alter-Ego Songs anderer Künstler:innen aus mir rauskitzeln.
Du und Martin Maciejczak tragen beim „Poetic Beats“-Konzert vor allem Werke der polnischen Schriftstellerin Agnieszka Osiecka vor. Begleitet euch die Künstlerin schon länger?
In Polen gibt es wohl niemanden, der nicht weiß, wer Agnieszka Osiecka ist. Ich glaube, da gibt es kaum jemand Vergleichbares in Deutschland. Quasi Udo Lindenberg, Westernhagen, Nina Hagen und Nena in einer Person. (lacht) Sie ist die Frau, aus deren Feder polnische Nummer-1-Hits, bekannte Kinderlieder und Klassiker kommen.
Die deutsch-polnische Gesellschaft Bremen hat euch eingeladen, um auch der jüngeren Generation den Stellenwert der deutsch-polnischen Freundschaft zu zeigen. Arbeiten du und Martin erstmalig zusammen?
Als ich für den lyrischen Abend angefragt wurde, durfte ich mir einen polnischen Artist für die Zusammenarbeit suchen. Martin kannte ich aus dem Fernsehen, fand ihn als Künstler immer spannend und dachte, das Konzert wäre eine tolle Möglichkeit, um sich kennenzulernen und kreativ miteinander zu arbeiten. Wir werden in Warschau proben, sodass es beim Projekt auch über Ländergrenzen hinausgeht.
Und was genau reizt dich an Martin und seiner Musik?
In Polen gibt es auch einen Teil in der älteren Bevölkerung, der sehr konservativ denkt – wo es schwieriger ist, wenn man sich nicht heteronormativ inszeniert. Martin macht das schon als junger Künstler und setzt sich so einer großen Kritik aus. Ich find’s beeindruckend und bin allen Menschen dankbar, die Repräsentanz für nicht so stereotypisch-normative Männerbilder schaffen.
Du machst dich öffentlich und künstlerisch immer wieder für feministische und queere Anliegen stark. Was motiviert dich persönlich zu diesem Engagement und wie empfindest du die Reaktionen?
Es sollte für alle Leute einfach sein, auf dieser Welt zu leben. Warum sollte es jemand besonders schwer haben? Just mind your own business. In Polen habe ich mittlerweile das Gefühl, dass es schon sicherer und liberaler für queere Künstler:innen geworden ist. In Deutschland nehme ich leider gerade wahr, dass es schwieriger wird und man schneller ins Visier gerät.
In einer Welt, in der Menschen oft lieber auf Unterschiede pochen: Welche Gemeinsamkeiten siehst du zwischen der polnischen und deutschen Kultur? Was könnten Menschen in Polen und Deutschland voneinander lernen?
Ich glaube, in der Kultur von uns Deutsch-Polinnen gibt es viele Überschneidungen – gerade in der Mentalität. Deswegen leben wohl viele hier, weil man sich irgendwie zuhause fühlt. Trotzdem hat auch Polen eine tolle Kulinarik zu bieten, folkloristische Töne, die hier oft ungehört sind, großartige Dichter und Denker. Für Kulturaustausch bin ich immer zu haben. Wir brauchen mehr intereuropäischen Tourismus – wir sind Nachbarländer. Da ist es schade, dass wir teilweise so wenig übereinander wissen.
Lassen sich mit Musik und Poesie also nicht nur emotionale Mauern, sondern auch politische und geographische Grenzen überwinden?
Absolut. Ich glaube, dass Poesie und Kunst ganz grundsätzlich Empathie und einen Zugang zueinander schaffen. Als Kulturbotschafter überwindet Musik immer wieder Grenzen und wir haben viele Deutsch-Polinnen hier, die in ihrer Repräsentanz leider noch immer nicht so laut sind. Deshalb hier nochmal meine ausdrückliche Empfehlung, in Europa zu reisen und einfach mal auf weite Flüge zu verzichten.
Gibt es zum Abschluss noch etwas, das du loswerden möchtest?
Viele Leute sagen mir, sie reisen später nach Polen – erstmal alles andere von der Bucketlist streichen. Aber alle, die ich überredet habe, schon jetzt mit mir zu fahren, haben sich direkt verliebt und sind mittlerweile Dauergäste. Also gebt Polen eine Chance! (lacht) Beim Konzert am 21. werde ich noch länger bleiben und mit allen Menschen sprechen. Mir liegt jede Show am Herzen, aber es ist toll, wenn es Räume gibt, wo wir Deutsch-Polinnen unbefangen und unter einem guten Stern zusammenkommen.
Tickets für das einmalige Konzerterlebnis gibt es unter www.theaterbremen.de.