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Anna-Sophie Schönfelder

Gastkommentar: Stereotype Männlichkeit als Zumutung erkennen

Warum entsteht Gewalt an Frauen immer wieder in Beziehungen und Familien? Zum internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen am 25. November formuliert Anna-Sophie Schönfelder folgende Antwort.
 
Stereotype Männlichkeit ist zerbrechlich und deshalb gefährlich. Bild: F. Bacon/wiki commons

Stereotype Männlichkeit ist zerbrechlich und deshalb gefährlich. Bild: F. Bacon/wiki commons

„Wenn sie Nein sagt, meint sie eigentlich ja!“ Mit Sätzen wie diesem wird Gewalt von Männern gegen Frauen häufig gerechtfertigt. Angeblich könnten Frauen ihre Wünsche weder artikulieren noch wüssten sie überhaupt, was sie wollen. Doch dieses Stereotyp sagt mehr über die Verunsicherung aus, die das Mann-Sein in unserer Gesellschaft mit sich bringt, als über die Frauen, die es verhöhnt.
Als Kern von Männlichkeit gelten Selbstbestimmung und Selbstbeherrschung. Entsprechend lernen Männer, ihre Abhängigkeit von anderen und das Eigenleben ihrer Emotionen als bedrohlich zu empfinden. Stereotype Männlichkeit ist damit selbst zerbrechlich, weil ihre wichtigsten Merkmale eng mit ihrem Gegenteil verbunden bleiben: Selbstbestimmung ist auf andere Menschen angewiesen, schließlich braucht man Bestärkung, um sie zu entwickeln, und ein Gegenüber, dem man sie beweisen kann. Selbstbeherrschung wiederum wird immer wieder von der Schwäche: von den Gefühlen und Verunsicherungen provoziert, gegen die sie sich richtet.
Statt diese Widersprüche als Resultate eines gesellschaftlichen Ideals zu erkennen, legen viele Männer sie den Frauen zur Last. So erkennen sie die gesellschaftlichen Ansprüche nicht als überfordernd, sondern spalten stattdessen ihre eigene unterdrückte, aber nicht verschwindende Weichheit auf das andere Geschlecht ab. Hier lässt sie sich leichter verachten und bestrafen.
Gewalt gegen Frauen ist also auch eine fehlgeleitete Rache für den Zwang, in einer von Konkurrenz geprägten Gesellschaft „seinen Mann stehen“ zu müssen.
Eine Strafe für diejenigen, die mittels familiärer oder partnerschaftlicher Fürsorge und Anerkennung an der Absicherung des Männlichkeitsideals mitzuwirken haben, ohne ihm aber seine Zerbrechlichkeit nehmen zu können.
Der Tag gegen Gewalt an Frauen und der Tag der Fürsorge-Arbeit (29. Februar) gehören also zusammen. Denn um der Aggression gegen Frauen ein Ende zu machen, darf einerseits die reproduktive: die Kümmer-Arbeit, die überwiegend ihnen zufällt, nicht länger als natürliche Ressource gelten, die von Männern maßlos in Anspruch genommen werden kann. Sie muss als elementare gesellschaftliche Dienstleistung viel stärker monetär gewürdigt werden. So würden Frauen aus der Abhängigkeit von gewaltsamen Beziehungen gelöst. Sie hätten es leichter, zu erkennen, dass „er“ gar nicht das Beste ist, was ihnen passieren konnte, und könnten somit ihre eigenen Ziele verfolgen. Das bedeutet auch, dass die Berufe, in denen gepflegt und Fürsorge geleistet wird, massiv aufgewertet werden müssen.
Das machte es Männern schwerer, ihre Weichheit auf Frauen zu projizieren. Vielmehr wären sie in Abwesenheit einer Frau, die für Haussegen und Wohlbefinden verantwortlich gemacht werden kann, zu der Einsicht gezwungen, dass stereotype Männlichkeit weder ihr ganz eigenes Werk noch ihre unausweichliche Bestimmung ist. Sie könnten - und das braucht es andrerseits im Kampf gegen Gewalt an Frauen - stereotype Männlichkeit als die Zumutung begreifen, die sie nicht nur für ihr Umfeld, sondern auch für sie selbst bedeutet.


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