Maurice Höfgen

Gastkommentar: Abschiebungen helfen überlasteten Kommunen nicht 

Ja, viele Kommunen sind überfordert. Lauter nach Abschiebungen zu schreien, hilft aber nicht, wie Maurice Höfgen anhand der nackten Zahlen zeigt.

Die Kommunen würden nicht merken, wenn "im großes Stil" abgeschoben würde.

Die Kommunen würden nicht merken, wenn "im großes Stil" abgeschoben würde.

Bild: Orest Zaborskiy / wiki commons

In Deutschland werden wieder Turnhallen zweckentfremdet - viele Kommunen sind am Limit, die Bürgermeister überfordert mit der Anzahl an unterzubringenden Flüchtlingen. Es fehlt günstiger Wohnraum, es fehlen Kita- und Schulplätze, es fehlt Personal in den Ämtern - und die Stadtkasse ist leer, schon lange. Im November kommt das Thema „Migration“ wieder auf die Tagesordnung der Ministerpräsidentenkonferenz. Im Mai fand dort der letzte Flüchtlingsgipfel statt, die Regierungschefs der Länder wollten für ihre Kommunen mehr Geld vom Bund. Vom Bund gab es aber nur pauschal eine Milliarde Euro zusätzlich. Die ist aber bis heute noch nicht geflossen, ja noch nicht einmal das Gesetz dafür geschrieben. Statt das Geld zu überweisen, will Christian Lindner den Kommunen nämlich einen etwas größeren Teil der Umsatzsteuer überlassen. Die Kommunen gehen also gerade in Vorkasse.

 

Hetze und Scheinlösungen

 

Derweil läuft in der öffentlichen Debatte ein Unterbietungswettlauf im Niveau: Friedrich Merz verklärt Flucht zum Sozialtourismus oder macht Asylbewerber für knappe Zahnarzttermine verantwortlich, Ex-Bundespräsident Gauck fordert Lösungen, „die inhuman klingen“, und FDP-Fraktionschef Dürr will Kommunen die Bundesmittel entsagen, solange Asylbewerber Bargeld statt Prepaidkarten bekommen. Neben dem ganzen menschenfeindlichen Geraune werden aber nur Scheinlösungen angeboten, etwa der Ruf nach konsequenten Abschiebungen, zuletzt sogar von Bundeskanzler Olaf Scholz im Spiegel.

 

Mythos Abschiebungen

 

Abschiebungen sind aber nur eine Scheinlösung für die Kommunen. Das beweist ein nüchterner Blick auf die nackten Zahlen. Gerade leben rund 3,3 Millionen Geflüchtete in Deutschland. In einer Diskussionsrunde bei der Welt sagte Merz vor zwei Wochen, dass „300 000 Asylbewerber abgelehnt“ seien, die „nicht ausreisen“ und die vollen Leistungen bekämen.

Per Ende August waren tatsächlich 261.925 Personen ausreisepflichtig. Davon sind allerdings nur weniger als zwei Drittel abgelehnte Asylbewerber, nämlich genau 155.448. Der Rest ist aus anderen Gründen ausreisepflichtig, etwa weil Visum oder Aufenthaltserlaubnis abgelaufen sind. Diese Personen gehören aber nicht zur Asyldebatte. Ende 2022 waren es noch 167.848 abgelehnte Asylbewerber. Kurz festhalten: Merz hat sich also um das Doppelte vertan. Diese 155.448 Personen können aber nicht alle abgeschoben werden. 135.984 der abgelehnten Asylbewerber verfügen über eine Duldung, also etwa neun von zehn Menschen. Darunter sind beispielsweise Menschen, die eigentlich nicht in Deutschland bleiben dürfen, aber nicht abgeschoben werden, weil sie etwa eine Berufsausbildung begonnen haben, ein Kind mit Aufenthaltserlaubnis haben oder eine Rückkehr ins Herkunftsland aus humanitären Gründen nicht möglich ist.

Bleiben also noch 19.464 Personen über, die ausreisepflichtig sind und keine Duldung haben. Über diese Leute spricht Scholz, wenn er sagt: „Wir müssen endlich im großen Stil diejenigen abschieben, die kein Recht haben, in Deutschland zu bleiben“. Dabei wurden dieses Jahr schon etwa 8.000 Menschen abgeschoben. Es ist also nicht so, dass das gar nicht passiert.

Die Kommunen würden nicht einmal merken, wenn diese 19.464 Personen abgeschoben würden, weil das nicht einmal ein Prozent aller Geflüchteten entspricht, die sich in Deutschland aufhalten. Nicht einmal ein Prozent!

Was den Kommunen wirklich helfen würde: mehr Geld, um die Unterbringung besser zu organisieren. Außerdem rächt sich heute die jahrzehntelange Unterfinanzierung öffentlicher Infrastruktur. Weil günstiger Wohnraum fehlt, weil Kitaplätze fehlen, weil Lehrer und Erzieher fehlen, entsteht eine Ellbogenmentalität zwischen den Schwächsten der Gesellschaft. Um den klammsten Kommunen daraus zu helfen, sollte die Ampel endlich eine Lösung für die Altschulden finden. Im Koalitionsvertrag hat man sich das vorgenommen, beim sogenannten Deutschland-Pakt hat Olaf Scholz bisher dazu geschwiegen. Leider!

 

Der Autor ist Ökonom und Betriebswirt und als wissenschaftlicher Mitarbeiter für Finanzpolitik im Bundestag tätig. Er ist YouTuber bei „Geld für die Welt“ und „Jung und Naiv“, Kolumnist bei der Berliner Zeitung.


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