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Lena Stehr

Fragwürdig bis nutzlos

Unternehmer:innen aus der Region, Verbraucherzentrale und Umwelthilfe bezweifeln die Sinnhaftigkeit der neu eingeführten Mehrwegpflicht.

Es fehle an vorgeschriebenen Anreizen für Verbraucher:innen, die umweltfreundlichere Mehrweg-Verpackung wirklich zu nutzen, so die Verbraucherzentrale.

Es fehle an vorgeschriebenen Anreizen für Verbraucher:innen, die umweltfreundlichere Mehrweg-Verpackung wirklich zu nutzen, so die Verbraucherzentrale.

Bild: Foto: www.deposithphotos/_ln_a

Laut aktuellen Zahlen des Umweltbundesamts fallen in Deutschland jährlich circa 18,9 Millionen Tonnen Verpackungsmüll an - davon täglich 770 Tonnen durch Take-away-Einweg-Produkte. Abhilfe soll die am 1. Januar 2023 in Kraft getretene Mehrwegpflicht schaffen. Sie verpflichtet Gastronomiebetriebe und den Einzelhandel dazu, Mehrwegverpackungen als Alternative zu Einwegverpackungen anzubieten. Kleinere Geschäfte wie Imbisse oder Kioske sind allerdings von der Pflicht ausgenommen, und auch Lieferdienste müssen keine Mehrwegbehälter nutzen. Sie müssen ihren Kundinnen aber die Möglichkeit geben, gekaufte Speisen oder Getränke in mitgebrachte Behälter zu füllen.

 

Verantwortung wird abgewälzt

 

Die Verbraucherzentrale Niedersachsen sieht die Mehrweggebotspflicht als einen ersten Schritt in die richtige Richtung, um den Verbrauch von Einweg- und Kunststoffverpackungen einzudämmen, so Constanze Rubach. Es fehle aber an vorgeschriebenen Anreizen für Verbraucher:innen, die umweltfreundlichere Mehrweg-Verpackung wirklich zu nutzen. Weil das Mehrweg-Gebot kein Einwegverbot sei, werde die Verantwortung für die Wahl hin zu einer umweltbewussteren Variante auf die Verbraucher:innen abgewälzt.

Zudem bleibe es abzuwarten, ob das Gebot auch wirklich bei den betroffenen Betrieben schnell und flächendeckend umgesetzt werde. Kritik übt die Verbraucherzentrale zudem daran, dass sich das Gebot nicht auf alle Einwegmaterialien bezieht. Wer Essen oder Getränke mit Alufolie, Einweg-Tüten oder Papierbehältern verpackt, muss keine Mehrweg-Variante bereitstellen. Eine Ausnahme bilden lediglich Einwegbecher. Hier müssen Betriebe auch unabhängig vom Material Mehrwegbehältnisse anbieten. „Hier sollten jedoch auch flächendeckende Mehrwegsysteme ausgebaut werden“, so Rubach.

Ähnlich äußert sich auch die Deutsche Umwelthilfe und fordert neben einem bundesweit einheitlichen und unternehmensübergreifendem Mehrwegsystem auch eine Einwegabgabe von 20 Cent, damit es für Verbraucher:innen von Vorteil sei, Mehrweg zu nutzen. Das Abfallproblem bleibe ungelöst, vor allem auch weil große Fast-Food-Ketten die Ausnahmeregelung für sich nutzten und Essen nun in Papp- und Alu-Einwegbehältern ausgeben, so Thomas Fischer von der Umwelthilfe.

 

Einweg bleibt erste Wahl

 

„Auch wir würden uns eine einheitlichere Lösung wünschen“, sagt Jorit Rolf-Pissarczyk, Juniorchef der Bäckerei Rolf mit zahlreichen Filialen im Landkreis Osterholz und Bremen. Das Unternehmen habe nun zunächst hochwertige Mehrwegbecher, die von außen nicht heiß werden, angeschafft und ein eigenes Pfandsystem (5 Euro pro Becher) eingeführt. „Wir wollen erst einmal abwarten, was der Kunde überhaupt will und wie das Angebot angenommen wird, bevor wir uns womöglich einem der vielen Systemanbieter anschließen“, so der Juniorchef.

So lange die Verbraucher:innen selbst entscheiden könnten, werde sich ohnehin vermutlich wenig ändern, fürchtet Rolf-Pissarczyk. Die meisten Menschen würden die einfachste Variante bevorzugen und sich somit für Einweg entscheiden.

Auch Kerstin Brüns-Wellbrock, die mit ihrem Mann eine Fleischerei mit Hofladen und Partyservice in Osterholz-Scharmbeck betreibt, sieht die Mehrwegpflicht skeptisch. „Wir wollen mit der Zeit gehen und gucken, wo wir nachhaltiger werden können, die Kunden wollen es aber möglichst einfach“, sagt sie. Der angebotene Mittagstisch werde momentan noch in Einweg-Plastikschalen ausgegeben. Ihr Mann sei aber in Gesprächen mit Systemanbietern, um Alternativen zu finden.

Hendrik Peters von der gleichnamigen Familienbäckerei mit Filialen in den Landkreisen Rotenburg und Cuxhaven bietet bereits seit Mitte 2022 Mehrwegbecher gegen Pfand an, wobei der Deckel aus Einwegmaterial besteht. „Aus hygienischen Gründen dürften wir einen Mehrwegdeckel, der ja mit dem Mund in Berührung kommt, nämlich nicht zurücknehmen“, erklärt Peters.

Im Gegensatz zum Großteil der Lkw-Fahrer, die sich schon lange eigene Kaffeebecher zum Befüllen mitbringen, würde 90 Prozent der „To-Go“-Kundschaft ihren Kaffee auch weiterhin in Einwegbechern mitnehmen, schätzt Peters. Ähnlich sei es auch bei den Baumwollbeuteln, die die Bäckerei bereits seit rund 15 Jahren anstelle der klassischen Paperbrötchentüte anbietet. Die jetzt eingeführte Mehrwegpflicht ist für ihn nur ein weiterer Punkt einer langen Liste an komplizierten Vorgaben aus der Politik, die es kleinen Betrieben immer schwerer mache.


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