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Lion Immoor

Ecken, Kanten und Stolperfallen: Über die Herausforderungen, in der Pandemie sein Studium zu beginnen

Unser freier Mitarbeiter Lion Immoor studiert seit Oktober letzen Jahres an der Uni Bremen. Wie sein Studienbeginn unter Pandemiebedingungen bisher verlief und was er dabei gelernt hat, erzählt er in seinem persönlichen Rückblick.
Nachdem die Uni Bremen am 13. Dezember wieder komplett in den Onlinemodus wechselte, sollen ab dem 10. Januar voraussichtlich wieder Präsenzveranstaltungen stattfinden können.

Nachdem die Uni Bremen am 13. Dezember wieder komplett in den Onlinemodus wechselte, sollen ab dem 10. Januar voraussichtlich wieder Präsenzveranstaltungen stattfinden können.

Der Uni-Start sollte für mich nicht nur ein weiterer Schritt auf der langen Liste des Lebens sein, sondern der Grundstein für einen Neuanfang – ein ganz neues Kapitel einleiten. Ich will endlich anfangen, erwachsener zu werden, selbstständiger zu handeln und über mich hinauswachsen. Mich ausprobieren, neue Leute kennenlernen und mehr zu mir selbst finden. Aber geht das überhaupt? Zwischen dem ganzen Corona-Chaos an der Uni? Dem ständigen Wechsel von Online- und Präsenzunterricht? Hinter den Masken?
Ich für mich kann sagen, dass die Lage nicht ganz so hoffnungslos ist, wie sie im ersten Moment scheint. Seit Oktober 2021 studiere ich an der Universität Bremen und habe bisher ganz unterschiedliche Reaktionen auf und Herangehensweisen an die Corona-Krise wahrgenommen. Andere, als die Studie der Kaufmännischen Krankenkasse (kurz KKH) vom 1. Dezember 2021 darlegt. Die zeigt mit Sorge, dass 70% der jungen Studentinnen wegen der Pandemie deutlich demotivierter seien.
 
Bedürfnis nach zwischenmenschlichem Kontakt
 
Es bestünden gerade unter weiblichen Studierenden starke Bedenken, dass der Pandemie-Stress samt Kontaktbeschränkungen nun wieder stark zunehme. „Deutlich mehr Studentinnen reagieren demnach auch sensibler auf den Verlust an Sicherheit und Planbarkeit und haben dementsprechend mehr mit den psychischen Folgen der Pandemie zu kämpfen“, heißt es weiter. Hierbei spielen nicht nur Müdigkeit und Erschöpfung, sondern auch die Angst vor Einsamkeit und Depressionen eine große Rolle. Männer stünden der Lage insgesamt gelassener gegenüber. Aber trifft das auch auf meine Kommilitonen und mich zu?
Zunächst muss ich sagen, dass ich das Glück habe, derzeit noch Zuhause zu wohnen. Dort ist es nur selten einsam. Aber wie sieht das mit Studenten aus, die von weit her und allein nach Bremen gezogen sind, um dort ihr Studium zu beginnen? Eine Mitstudentin von mir erzählt mir bereits Anfang Dezember: „Ich fahre heute schon zurück in meine Heimat und bleibe auch bis Anfang Januar dort. Da bin ich wenigstens nicht allein und habe meine Familie um mich.“ Verständlich. In der winterlichen Jahreszeit, bei Kälte und Dunkelheit wächst das Bedürfnis nach zwischenmenschlichem Kontakt und Nähe. Gerade dann, wenn man zusätzlich von den vielen Uni-Abgaben und den neuen Lebensaufgaben, die ein Umzug mit sich bringt, gestresst ist.
 
Instabile Struktur
 
So ein Studium bedeutet schließlich auch, dass man in eine ganz neue Lebensphase startet. Vieles muss man, im Gegensatz zur Schulzeit, selbst organisieren. Ich muss selbst einteilen, wann ich mir wie viel Zeit für welche Aufgaben nehme. Überlegen, welchen Vorlesungen ich mehr aufmerksam schenke und lernen, manchmal meine eigenen Ansprüche ein wenig zurückzufahren.
Und wenn man es dann schließlich geschafft hat, eine eigene Struktur zu finden, kann Corona einem Mal wieder einen Strich durch die Rechnung machen. „Meine Vorlesung gestern sollte eigentlich online stattfinden. Nachdem es dann aber Internet-Probleme gab, wurde einfach beschlossen, dass die Sitzung ausfällt“, erzählt mir eine Freundin, die mit mir gemeinsam angefangen hat, zu studieren. Und das, wenn man die Tage davor seine gesamte Zeit investiert hat, um sich genau auf diese Vorlesung vorzubereiten. Gutes Zeitmanagement sieht anders aus.
Was man aber sieht, ist, dass die Pandemie plötzlich eintretende Wendungen bedeutet, mit denen man nur schlecht im Voraus planen kann. Das ist für Menschen, die gerade dabei sind, sich eine klare Struktur aufzubauen, um sich zurechtzufinden, besonders schwer.
 
Hinein in die reale Welt
 
Fakt ist auf jeden Fall: Wir Menschen sind soziale Wesen. Wir brauchen die Nähe zu Anderen. Der eine mehr, der andere weniger, aber trotzdem ist es ein ganz menschliches Bedürfnis. Wir wollen uns austauschen, verschiedene Perspektiven auf die Welt bekommen, dazulernen. Und das ist eben halt nur schwer möglich, wenn wir nicht die Orte haben, wo wir genau das tun können.
Die Bedenken der Studie sind deshalb durchaus berechtigt. Der Uni-Start ist in Zeiten der Pandemie alles andere als einfach und kann schnell eine Überforderung und Belastung sein. Die Auseinandersetzung mit neuen Erfahrungen und Aufgaben, die Verarbeitung unbekannter Eindrücke und die Bewältigung sozialer Herausforderungen sind weitaus schwerer in einer Welt, die fest im Schlamm der Corona-Krise steckt.
Trotzdem bin ich der Meinung, dass es wichtig ist, gerade in Zeiten, in denen vieles ausweglos und ohne Sinne erscheint, das Positive aus dem Moment zu ziehen. Schließlich können wir jetzt von uns sagen, dass wir die Student:innen sind, die vermutlich für alles gewappnet sind. Wir können Online- und Präsenzunterricht. Und wir können ihn schaffen, den Balanceakt zwischen Uni-Chaos, Stress und der Angst davor, dass jederzeit auf einmal wieder alles anders sein kann. Aber auch über den - von der realen Welt definitiv zu unterscheidenden - akademischen Raum hinaus haben wir einiges gelernt. Insgesamt flexibler zu sein beispielsweise und zu akzeptieren, dass im Leben nicht immer alles perfekt laufen kann. Ich für meinen Teil denke, dass genau solche Erfahrungen enorm wichtig auf dem Weg zum Erwachsenwerden sind. Weg vom sorgenfreien, behüteten Elternhaus, hinein in die reale Welt mit ihren Ecken Kanten und Stolperfallen, die neben grenzenlosen Möglichkeiten auch Rückschläge und schlechte Phasen für einen bereithält.
Auf der anderen Seite muss ich sagen, dass ich auch dankbar für die vergangenen Wochen bin, die ich in Präsenz an der Universität verbringen durfte. Vor allem deshalb, weil ich von Freund:innen, die im letzten Jahr angefangen haben zu studieren, weiß, dass sie ihre Kommiliton:innen erst nach einem Jahr in der Realität kennenlernen durften. „Für mich waren sie eine lange Zeit über nur kleine Pixel auf dem Computerbildschirm“, berichtet mir ein Freund, der mittlerweile im dritten Semester studiert. Und so ein richtiges Gespräch – mit intensivem Augenkontakt – ist dann doch noch mal etwas anderes. Emotionen können viel einfacher rübergebracht und Missverständnisse viel besser vermieden werden. Man lernt den wahren Menschen meist erst dann kennen, wenn man sich auch persönlich trifft.


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