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Die Zeitenwende besser managen

Der Präsident der Gesellschaft für Sicherheitspolitik, Dr. Peter Bartels, fordert ein Management der Zeitenwende, damit aus dem „Wumms“ kein Rohrkrepierer wird.

Dr. Peter Bartels (mittig) ist neuer Präsident der Gesellschaft für Sicherheitspolitik, ehemaliger Wehrbeauftragte und Vorsitzende des Verteidigungsausschusses des Bundestages.

Dr. Peter Bartels (mittig) ist neuer Präsident der Gesellschaft für Sicherheitspolitik, ehemaliger Wehrbeauftragte und Vorsitzende des Verteidigungsausschusses des Bundestages.

Bremervörde (red/eb). Am Donnerstag, den 13. April 2023 veranstaltete die Sektion Elbe-Weser der Gesellschaft für Sicherheitspolitik (GSP) ihr traditionelles Jahresessen in den renovierten Räumen des Oste-Hotels in Bremervörde. Diesen Anlass nahm der neue Präsident der Gesellschaft und ehemalige Wehrbeauftragte sowie Vorsitzende des Verteidigungsausschusses des Bundestages Dr. Peter Bartels wahr, um vor über sechzig Gästen über Deutschlands neue Rolle in der Welt zu sprechen.

„Die sogenannte Zeitenwende ist kein Etikett, sondern sie ist passiert.“ Und sie sei bereits vor einige Jahre vor der Rede von Bundeskanzler Olaf Scholz am 27. Februar 2022, wenige Tage nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine, auf der Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) diagnostiziert worden. So wirklich über Nacht brach der Kultur- und Tabubruch, den diese Aggression bedeute, nicht wirklich über Europa herein. „Wann hätte man die Absichten Putins erkennen müssen?“, fragte Bartels und ordnete das Ereignis noch einmal in seinen geschichtlichen Zusammenhang. Bereits vor fünfzehn Jahren habe Wladimir Putin auf der damaligen Münchner Sicherheitskonferenz kein Blatt vor den Mund genommen und „Kalte-Krieg-Rede“ gehalten. Putin hatte auf der MSC massive Vorwürfe am Westen, insbesondere an den USA erhoben. „Wie ein Anwalt, der eine Anklagerede hält“, so Dr. Bartels. Von Selbstkritik sei darin keine Spur zu erkennen gewesen, 2008 folgte dann der Georgien-Krieg, 2014 die Annexion der Krim und nun der erneute Überfall auf die Ukraine. Dazwischen ständige Versuche der Destabilisierung seitens Russlands.

 

Russland fürchtet Demokratie

 

Auch Putis Behauptung bedrohter Sicherheitsinteressen lässt Dr. Bartels nicht gelten: „Das russische Narrativ der Verletzung der Sicherheitsinteressen Russlands ist falsch.“ In dem Zwei-plus-Vier-Vertrag habe sich Deutschland freiwillig auf eine maximale Truppenstärke von 370.000 Soldaten beschränkt, die NATO-Russland Grundakte von 1997 regele die Beitrittsbedingungen ehemaliger Ostblockstaaten in das Bündnis und mit dem NATO-Russland-Rat bestünde ein Format gegenseitiger Konsultationen, so die Argumente des Präsidenten der GSP. Doch Putin sehe das wohl anders und verfolge eine Politik militärischer Machtprojektion zur Wiederherstellung einer idealisierten Vergangenheit. „Die Bedrohung für Russland ist nicht die NATO, sondern die Demokratie“, so Bartels Folgerung.

 

Wende der Verteidigungspolitik

 

Die Frage sei nun, was Deutschland in dieser Situation mache, wenn feststeht, dass die eigenen Werte und Lebensstile für ein anderes Land eine Provokation darstellen können, die den Einsatz von Waffengewalt rechtfertige. Der von Bartels zitierte Ratschlag Merkels an Putin „Seid doch einfach mal nett“, wurde im Kreml wohl nicht in Erwägung gezogen. Anders die Zeitenwende. Die habe zu einer Wende in der Verteidigungspolitik geführt, mit dem Ziel, die Bundeswehr wieder zur fortschrittlichsten konventionellen Streitkraft in Europa zu machen. Aber: Es sei zwar sei Geld in die Armee geflossen, ohne jedoch damit eine nennenswerte Kampfkraftsteigerung zu erreichen. Noch immer müsste Material zusammengeliehen werden, damit die Bundeswehr ihre internationalen Zusagen einhalten könne, hinzu käme noch die Abgabe von Waffen und Gerät an die Ukraine. „Das Heer ist sehr gebeutelt“, bringt es Dr. Bartels auf den Punkt.

 

Deutsche Positionen

 

Die NATO habe genug Soldaten, jedoch erfordere die dringend gebotene Rückkehr zur Konzentration auf die Landes- und Bündnisverteidigung eine massive Anpassung der Ausrüstung und Struktur mit dem Ziel der Schaffung organischer Großverbände. Dieses Vorhaben bedeute erhebliche finanzielle Anstrengungen und stelle das Verteidigungsministerium vor große Herausforderungen. Bis dato sei der höchste politische Parameter die Schuldenbremse gewesen. Die Beschaffer seien daher sehr geübt darin, die Ausgabe von Geld zu vermeiden - nicht die Truppe schnell mit dem notwendigen Material auszustatten. „Die Zeitenwende muss aber gemanagt werden“, so Dr. Bartels und weiter: „das Verteidigungsministerium ist kein Ministerium wie die anderen, in denen Gesetzesinitiativen und -vorlagen entwickelt werden“. Die Soldaten wollten aber nicht blank dastehen, warnte der ehemalige Wehrbeauftragte und äußerte die Sorge, dass die Angst vor der eigenen Courage, Koalitionsspielchen und ideologisch bedingte Umdeutungen aus dem „Sondervermögen Bundeswehr“ ein Beruhigungspflästerchen mache und aus dem groß angekündigten „Wumms“ ein trauriger Rohrkrepierer werde.

Doch die Erwartungen im Ausland an die viertgrößte Wirtschaftsmacht seien groß, die internationalen Partner hätten die „Zeitenwende“ registriert. Doch die Bundeswehr fahre noch mit Material herum, das in den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts entwickelt und beschafft wurde, als der Verteidigungshaushalt noch 3,5-4% des Bruttosozialproduktes betrug. Dr. Bartels ließ keinen Zweifel daran, dass das Ziel selbstverständlich 2% des BSP plus „Sondervermögen“ laute. Wozu das ganze? „Wir leben in einem Zeitalter strategischer Überraschungen“ so Dr. Bartels. Niemand habe den Fall der Mauer, die Finanzkrise, den Ausbruch des Corona-Virus oder jetzt den Überfall Russlands vorhergesehen. Die Hoffnung auf eine Wende zum Guten müsse unterfüttert werden mit einem Verlass auf die eigene Stärke und der Formulierung erkennbarer deutscher Positionen.


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