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Benjamin Moldenhauer

Der letzte „Nahschuss“ der Stasi

Benjamin Moldenhauer hat den Film Nahschuss gesehen: Er ist an manchen stellen ungelenk, dennoch fesselend.

Lars Eidinger spielt die Hauptrolle Franz Walter, dessen reales Vorbild Dr. Werner Teske ist.

Lars Eidinger spielt die Hauptrolle Franz Walter, dessen reales Vorbild Dr. Werner Teske ist.

Der Unidozent Franz Walter wird von der Stasi angeworben. Das Versprechen: Wenn er ein Jahr spioniert, darf er einer der jüngsten Uni-Professoren der DDR werden. Der erste Auftrag zeigt dann auch gleich, wie die Agenten der Staatssicherheit vorgehen. Die Beziehungen – Freundschaften und Liebesbeziehungen – der Ausspionierten werden als Schwachstellen identifiziert, und in die wird dann reingestochen. Konkret: Walter wird auf seinen früheren Fußballfreund Horst Langfeld angesetzt, der in den Westen, nach Hamburg, rübergemacht hat. Langfelds in der DDR gebliebenen Ehefrau wird eine Krebsdiagnose mitsamt unnötiger Chemotherapie untergejubelt. Wenig später bricht der Fußballer unter dem Druck zusammen und bringt sich um.

Die filmische Reinszenierung der Gewaltgeschichte eines Landes ist immer eine heikle Sache. Jede Einstellung, jede Figurenkonstruktion verhält sich zwangsläufig zu dieser Geschichte und wird auf sie bezogen. Es gibt, weniger noch als sonst im Kino, eine neutrale Einstellung. Da hilft dann nur die Flucht nach vorne: Man sollte genau wissen, was man über die historische politische, militärische oder soziale Gewalt erzählen will. Dann bleibt noch die zweite Frage, mit welchen Mitteln der Film eben das tut und ob die Realisierung dieser Mittel gelungen ist. Die Frage also, ob der Film sich an seinem jeweiligen Thema verhebt oder nicht.

 

Die Geschichte

 

Franziska Stünkels Film „Nahschuss“ erzählt die Geschichte vom karrieristischen Stasi-Agenten als eine Art Passionsgeschichte. Nach dem Tod Langfelds stürzt Franz Walter ab, fängt an zu saufen, entfremdet sich von seiner Frau und begeht dann Geheimnisverrat. „Nahschuss“ rekonstruiert die Stasi-Methoden an einem extremen Fall recht präzise und in Anlehnung an ein reales Geschehen. Vor der Fußball-Weltmeisterschaft 1974 ging die Stasi gegen Spieler vor, die in den Westen gegangen waren und ruinierte dabei einige Existenzen. Das reale Vorbild für Franz Walter ist Werner Teske, der für die Auslandsspionage der Staatssicherheit arbeitete und 1981 wegen Geheimnisverrats als letzter Mensch in der DDR Opfer der Todesstrafe wurde.

 

Die Leerstellen

 

Als Erzählung über geheimdienstliche Gewalt während des Kalten Krieges im Allgemeinen und der Stasi im Besonderen funktioniert „Nahschuss“ sehr gut. Der Film ist nüchtern erzählt und entfaltet trotzdem eine intensive Atmosphäre. Allerdings verhebt er sich an seinen Figuren, und zwar in dem Sinne, dass er nicht wirklich weiß, was er mit ihnen anfangen soll. Und natürlich muss ein Film, der lose an einem realen geschehen orientiert ist, sich nicht an die realen Verläufe dieses Geschehens halten. Aber die Abweichungen von der Biografie Werner Teskes markieren hier leider meist Leerstellen.

 

Verzweiflungstheater

 

Das reale Vorbild hat schon vor der Anwerbung zur Auslandsspionage für die Stasi spioniert und hat an einer Stasi-Hochschule gelehrt. Franz Walter hingegen wird gleich zu Beginn des Films aus einem Flugzeug geholt und geht quasi von Null auf Hundert, aus Karrieregründungen. Über seine politische Haltung und seine Haltung zum Sicherheitsapparat erfährt man nichts. Dementsprechend ungelenk wird seine Wandlung zum Quasi-Dissidenten erzählt. Die gefälschte Krebsdiagnose lässt den Stasimann von einer Sekunde auf die andere einknicken, und der Zerrüttungsprozess beginnt. An diesem wie an vielen anderen Punkten verfährt „Nahschuss“ grobschlächtig und schematisch.

Ein Schematismus, gegen den Lars Eidinger in der Hauptrolle und Devid Striesow als bieder-grausamer (oder grausam biederer) Funktionär tapfer anspielen. Insbesondere Eidinger zieht alle Register seiner Schauspieltechnik, die der Filmkritiker Matthias Dell einst sehr schön als „superfühliges Verzweiflungstheater, das in Sekunden die Skala von bockigem Bibbern bis großem Kotzen hoch- und runterjagen kann“ beschrieben hat.

Gegen die Ungenauigkeiten und Ungelenkheiten können beide aber wenig ausrichten. Manchmal wundert man sich schon, etwa wenn ein Stasi-Funktionär einen schlecht ausgedachten Satz wie „Er hat es gestern gewagt, durch einen Torschuss den Jubel des Klassenfeindes für sich zu gewinnen“ in den Raum schreit. Sehenswert ist „Nahschuss“ allerdings trotzdem. Der Film kriegt das Spezifische der Gewalt der Stasi und das retrospektiv selbst aus DDR-Perspektive Sinnlose (und damit auch Autodestruktive) der ganzen Unternehmung in den Blick. Und er ist, nicht zu vergessen, spannend und fesselnd, auch wenn man die Grundzüge der Geschichte von Anfang an klargemacht bekommt.

 

„Nahschuss“ wird am 31. März um 19.30 Uhr im Kommunalen Kino Lilienthal (Kulturzentrum Murkens Hof) gezeigt.


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