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Debatte zur möglichen Wiedereinführung der Wehrpflicht

Wäre die Wiedereinführung der Wehrpflicht eine richtige Reaktion auf den russischen Angriffskrieg? Tom Boyer und Maja Wahl diskutieren das Für und Wider eines obligatorischen Dienstes an der Waffe.

Qualität statt Quantität, Tom Boyer, 19 Jahre
 
Russlands Einmarsch in die Ukraine verkörpert einen weiteren Angriff auf die demokratischen und freiheitlichen Werte.
Bei diesem womöglich größten Konflikt in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg sind die Reaktionen der einflussreichsten Länder Europas im Hinblick auf die zukünftige Stabilität und Sicherheit von zentraler Bedeutung.
Hierbei nimmt Deutschland eine zentrale Rolle ein. Neben Sanktionen und Aufrüstung ist auch die Wehrpflicht, die „gesetzliche Pflicht männlicher deutscher Staatsbürger zur Ableistung von Wehrdienst in den Streitkräften der Bundesrepublik Deutschland“, wieder im gesellschaftlichen Diskurs.
Eine überwiegend pazifistische Grundeinstellung, wie sie Deutschland die letzten Dekaden verfolgte, könnte den Maximen der Friedenserhaltung mehr schaden als nützen. Denn was ist für einen Aggressor wie Putin weniger abschreckend als eine geringe Möglichkeit Gegenwehr?
Doch die Möglichkeit effektiver Verteidigung liegt nicht mehr in bloßer Quantität.
Im Zeitalter von Cyberkrieg und Massenvernichtungswaffen ist eine bloße Massenarmee nur geringfügig hilfreich. Die Bundeswehr benötigt speziell ausgebildete Kräfte. Statt auf Quantität sollte der gerade verabschiedete Verteidigungsetat von 100 Milliarden Euro daher die stark defizitäre Bundeswehr durch effiziente Investitionen in Modernisierung, Ausbildung und Ausrüstung der Streitkräfte der Berufsarmee, also auf Qualität setzen. Für eine effektive Verteidigung kann also auch ohne Wehrpflicht gesorgt werden.
Eine Wehrpflicht hätte aber Effekte, die weniger unmittelbar der Verteidigung dienen als vielmehr dem Stellenwert der Streitkräfte in der Gesellschaft und der Bedeutung von Engagement um die demokratische Gesellschaft.
Eine Wehrpflicht könnte die Bundeswehr wieder mehr in die Mitte der Gesellschaft bringen und so extremistischen Tendenzen in ihr entgegenwirken.
Des Weiteren könnte - als Alternative zum Dienst an der Waffe - eine gleichzeitige Einführung eines ökologischen oder sozialen Jahres für alle jungen Erwachsenen die Bedeutung und die Notwendigkeit dieser gesellschaftlich erforderlichen Berufe und den Wert von Engagement als Grundpfeiler der Demokratie näherbringen. Damit könnte auch dem Desinteresse gegenüber sozialen Bereichen entgegengewirkt werden, und der Wille zu Engagement bestärkt werden.
Aber: So wünschenswert diese Effekte auch wären - eine Aufwertung der Bundeswehr und soziale Berufer in den Augen der Bürger:innen rechtfertigt nicht den tiefen Eingriff in die individuelle Freiheit junger Bürger:innen, die eine Wehrpflicht bedeutet.
Sie ließe sich nur über die Bedrohung der äußeren Sicherheit des Staates legitimieren. Und danach, dass Deutschland unmittelbar militärisch bedroht wird, sieht es zum Glück noch nicht aus. Und die Regierung sollte - anstatt junge Menschen auf Krieg vorzubereiten - alles dafür tun, dass sich das auch nicht ändert.
Schließlich: Weil eine Wehrpflicht einen geringen Beitrag zur Abschreckung nach dem Gedanken „Kämpfen können, um nicht kämpfen zu müssen“ leisten würde, ist sie keine angemessene Reaktion auf Russlands Angriffskrieg.
 
 
Nicht langfristig gedacht, Maja Wahl, 18 Jahre
 

Prinzipiell ist es wichtig, Menschen in der Ukraine jetzt unkompliziert zu helfen. Allerdings ist eine Wehrpflicht dahin gehend unproduktiv, weil in den vergangenen Jahren genug Budget in die Bundeswehr investiert wurde, während diese nur durch Missmanagement aufgefallen ist - viele Waffen sind nicht einsatzfähig. Der Bundeswehr fehlt es nicht an Ressourcen und reaktionistische Handlungen wie die Wiedereinführung der Wehrpflicht sind in Anbetracht unserer Geschichte wohl keine gute Idee. Es geht am Ende doch um Frieden, Diplomatie und Abrüstung und da ist eine Wiedereinführung der Wehrpflicht zu kurz und nicht langfristig genug gedacht.
Die Wehrpflicht bleibt ein tiefer Eingriff in die Grundrechte und muss wohlüberlegt sein, gerade in Anbetracht der derzeitigen Lage ist das nicht der Weg, den wir verfolgen sollten.


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