Patrick Viol

Das Schulexperiment:

Landkreis. Ab dem 11. Mai beginnt wieder der Präsenzunterricht ans Schulen. Dazu müssen strenge Infektionsschutzmaßnamen umgesetzt werden, damit es nicht zu neuen Ansteckungen kommt. Die Schulen in  der Region bereiten sich vor.
Maskenpflicht im Unterricht? Darüber wird im Zuge der Wiedereröffnung der Schulen noch diskutiert. Schüler*innen, die mit öffentlichen Verkehrsmitteln zur Schule kommen, brauchen definitiv eine Maske.  Foto: AdobeStock

Maskenpflicht im Unterricht? Darüber wird im Zuge der Wiedereröffnung der Schulen noch diskutiert. Schüler*innen, die mit öffentlichen Verkehrsmitteln zur Schule kommen, brauchen definitiv eine Maske. Foto: AdobeStock

Die Kultusministerkonferenz hat am 28. April ein Rahmenkonzept für die stufenweise erfolgende Wiederaufnahme des Schulbetriebs vorgelegt, das bundesweit einheitliche Bedingungen für Hygiene an Schulen und zur Organisation des Unterrichts festlegt. Ebenso wurde beschlossen, dass es bis zu den Sommerferien keinen regulären Unterricht geben wird.
Seit Anfang letzter Woche gehen in Deutschland wieder einige Schüler*innen der Abschlussklassen zur Schule. Unter strengen Hygieneauflagen. Die Kultusministerkonferenz hat nun ein Rahmenkonzept für einheitliche Bedingungen für den bundesweiten Schulstart in der Corona-Pandemie vorgelegt.
Einheitliche Bedingungen? Eher einheitliche Überlegungen. Denn deren Umsetzung trifft auf unterschiedliche Bedingungen in den 16 Ländern. Die sind zum einen Resultat des Föderalismus. Zum anderen Konsequenz der Infektionszahlen, die sich in den verschiedenen Regionen stark voneinander unterschieden, die aber bei der Wiedereröffnung der Schulen und den zu treffenden Maßnahmen zu berücksichtigen sind. Trotz aller Unterschiede soll aber allen Schüler*innen ab dem 4. Mai - vorausgesetzt es kommt zu keinem erneuten und rasanten Anstieg der Infektionszahlen - ermöglicht werden, dass sie bis zum Beginn der Sommerferien wieder ihre Schule besuchen konnten. Vorgesehen ist hierbei eine Verzahnung von Präsenzunterricht und Homeschooling. Dabei sollen die Schul- und Pausenzeiten entzerrt und vielerorts die Schulklassen halbiert werden, wie es aus dem Kultusministerium heißt, sodass es beispielsweise eine A- und eine B-Gruppe der eigentlichen Klasse gibt, die sich wöchentlich abwechseln.
 
Zeit bis zum 11. Mai
 
An den Gymnasien in Bremervörde und in Lilienthal laufen die Vorbereitungen und die Umsetzungen der Hygienevorkehrungen noch. Es ist auch noch etwas Zeit, da an den niedersächsischen Gymnasien wegen der Rückkehr zum Abitur nach 13 Jahren in diesem Jahr keine Abiturprüfungen stattfinden. Erst im nächsten Jahr gibt es eine 13. Klasse. Daher sind hier noch keine Schüler*innen eingetroffen, anders als an den allgemein-, berufsbildenden und Gesamtschulen, an denen bereits eine Vorbereitungsphase für die Abiturprüfungen und Abschlussprüfungen des Sekundarbereiches I begonnen hat. „In Niedersachsen ist der Druck daher etwas geringer“, wie Knut Egbers, Politik und Sportlehrer am Gymnasium Lilienthal, die momentane Ausgangslage beschreibt. Hier werden erst am 11. Mai die Schüler*innen der 12. Klasse eintreffen.
In Bremervörde sieht die Situation etwas anders aus, da ab dem 4. Mai hier die Anmeldungen für die 5. Klassen beginnen. Dementsprechend sind für die Anmeldesituation bereits alle nötigen Hygieneregelungen getroffen worden. Konkret heißt das viel Flatterband und zusätzliche Desinfektionsmittelspender.
 
Infektionsschutz in den Schulräumen
 
Für den Schulbeginn sind zum Beispiel im Bereich des Sekretariats des Gymnasiums in Bremervörde Spuckschutzscheiben aufgebaut und mobile Waschbecken angeschafft worden. Zudem gebe es ein Reinigungskonzept, das vorsieht, dass mehrmals täglich Türklinken gereinigt und desinfiziert werden. Auch sei es möglich, dass die Schüler*innen der 12. Klasse zu Anfang auf Klassenräume mit Waschbecken verteilt werden können, so Strohbach. Zwar ohne warmes Wasser, aber immerhin.
Geregelt werde auch, wie viele Schüler*innen sich gleichzeitig in den Fluren oder in den Treppenhäusern aufhalten dürfen, so Egbers. Überall gebe es Abstandmarkierungen. Auch sei bei gutem Wetter Unterricht im Freien vorgesehen. „Wenn sich allgemein gut an die Regeln gehalten wird, lässt sich das Infektionsrisiko so durchaus minimieren“, sagt Egbers. Davon ist auch Strohbach überzeugt. Schwieriger werde es hingegen, wenn die „Lütten“ dazukommen, so der Schulleiter. Die seien nicht so leicht zu bändigen
 
Maskenpflicht im Unterricht
 
Ob und inwieweit Schüler*innen einen Nasen- und Mundschutz tragen sollen, sei bisher nicht ganz klar, sowohl in Bremervörde als auch in Lilienthal nicht. Auch das Land schreibt keine Pflicht vor. „Wenn Schüler*innen mit Bussen kommen, müssen sie Masken tragen, das ist klar“, so Strohbach. Aber wie es in der Schule gehandhabt werden soll, stehe noch nicht fest. Auch Egbers sagt, dass das Thema an seiner Schule „noch etwas kontrovers“ verhandelt wird. Es gebe Überlegungen, dass Schüler*innen Masken bis zu ihrem Platz tragen sollen und dann absetzen könnten, damit sie einander auf den Wegen nicht aus Versehen anhusten. Aber beschlossen sei das nicht.
 
Präsenz- und Digitalunterricht
 
Allgemein beschlossen ist hingegen, dass neben dem wieder aufgenommenen Präsenzunterricht auch der digitale weiterlaufen soll. So ist es möglich, die Klassen zu halbieren und die Hälften abwechselnd kommen zu lassen, ohne dass dabei der Unterricht unnötig ins Stocken gerät. Homeschooling sei auch für Lehrkräfte vorgesehen, die zur Risikogruppe zählen. In Bremervörde sind das ein Viertel der Lehrkräfte, informiert Strohbach. In Lilienthal sind es weitaus weniger, so Egbers. Beide Schulen arbeiten mit IServ. Das ist eine digitale Plattform für alle Schüler*innen und Lehrkräfte mit verschiedenen Arbeitsmodulen, wo beispielsweise Arbeitsblätter zur Verfügung gestellt und nach der Bearbeitung wieder hochgeladen werden können. „Für Schüler ohne Endgeräte fahren manche Lehrer derzeit Arbeitszettel sogar mit dem Fahrrad aus und sammeln sie wieder ein“, erzählt Egbers. Auf IServ finden seit Kurzem auch Videokonferenzen mit den Schüler*innen statt. In Lilienthal beantworten Lehrer*innen zusätzlich einmal in der Woche über IServ für eine halbe Stunde Fragen und leisten Hilfestellungen zu Aufgaben.
 
Erfahrung Digitalunterricht
 
Vielfach wird in den Medien die mangelnde Ausstattung der Schulen mit digitaler Technik bemängelt oder der Kenntnisstand vieler Lehrer*innen. Auch in Bremervörde gebe es bezüglich der Ausstattung noch „einge Luft nach oben“, wie Strohman sagt. Seine Lehrkräfte seien hingegen sehr interessiert und nutzten bereits sehr früh die Möglichkeit von Videokonferenzen. „Die Grenzen der digitalen Lehre liegen in Bremervörde weniger bei der Ausstattung als bei der Internetverbindung.“
Der Schulleiter komme selbst aus einer Gegend, wo er nicht nur kein Glasfaserkabel habe, sondern überhaupt kein Kabel. Und bei der Nutzung der Lernplattform sei das Gigabyte-Kontingent schnell verbraucht. So gebe es ungerechte Ausgangsbedingungen unter den Schüler*innen für den Digitalunterricht.
Das kritisiert auch Egbers. Hinzukomme, dass nicht alle Schüler*innen Endgeräte zuhause besäßen. Und in der Schule gebe es auch nicht genug, um ihnen welche zu leihen. Außerdem biete nicht jedes Zuhause ein geeignetes Lernumfeld. Egbers sieht aber noch einen anderen Punkt kritisch am digitalen Unterricht kritisch: Er sei überhaupt kein Technikskeptiker, aber „gewisse Unterrichtsprozesse erfordern einfach, dass man als Gruppe an einem Ort ist, sodass man eine gemeinsame Diskussion führen und eine gemeinsame Urteilsbildung anbahnen kann.“ Aus diesem Grund begrüßt Egbers auch die Wiederaufnahme des Präsenzunterrichts, bleibt dabei aber im Hinblick auf das Virus sehr vorsichtig. Ebenso Strohmann, der selbst promovierter Biologie ist. Beide sind sich einig, dass es eine schlechte Faktenlage gibt, um abschließend und eindeutig beurteilen zu können, ob die Öffnung zu früh sei oder nicht.
Der Schulstart bleibt ein Experiment, dass man zur Not auch wieder abbrechen muss. Aber die beiden Lehrer werden ihr Bestes tun, um ihren Schüler*innen einen guten und sicheren Unterricht zu gestalten.
 
Entlastung der Eltern
 
Viele Eltern werden ab dem 11. Mai aufatmen. So auch Stefanie T. aus Garlstedt. Sie hat zwei Töchter. Eine ist in der dritten und die andere in der fünften Klasse. „Homeschooling ist eine extreme Belastung für Familien“, so die Erfahrung der berufstätigen Mutter. Nicht nur sei es herausfordernd, sich in den Stoff ihrer älteren Tochter neben Arbeit und Haushalt einlesen zu müssen. Zudem sei es ebenso schwierig, das Gelesene verständlich zu vermitteln. „Ich bin ja keine Lehrerin.“ Teilweise habe Stefanie bis zu drei Stunden an Schulaufgaben gesessen. Dabei seien ihre Töchter noch gut in der Schule und erarbeiten viel selbststänidg. „Es muss schlimm sein für Eltern, bei denen es anders ist.“
Stefanie T. trifft einen Nerv. Wie muss es für Kinder sein, die überhaupt keinen emotionalen Zugang zu ihren Eltern haben? Oder deren Eltern, die, weil sie sich Sorgen machen, wie sie den Monat finanziell überstehen sollen, keinen Kopf für Bruchrechnung haben. Einmal mehr zeigt sich, was Pisa jedes Jahr bestätigt: Bildung und Reichtum fallen zusammen.
 
Keine Abschlussfeiern
 
Was hingegen nicht zusammenfällt, das sind dieses Jahr bestandene Abiturprüfungen und traditionelle Abschlussfeiern wie beispielsweise die Abifahrt oder der Abiball. Das bedauert Luca K., Abiturientin der IGS in Osterholz-Scharmbeck, sehr. Sich 13 Jahre durch die Schule zu kämpfen und dann nur einen Wisch in den Briefkasten gesteckt zu bekommen, das ist für viele Schüler*innen des Abijahrgangs 2020 bitter. Immerhin seien die Prüfungen nicht abgesagt worden, so Luca, wobei die Unsicherheit schon beim Lernen schon nervig gewesen sei. Nun könne sie aber zumindest noch ihren Schnitt nach oben hin verbessern. Man wünscht es ihr und ebenso allen anderen, die ab dem 11. Mai ihre Prüfungen schreiben müssen. Es wären die ersten positiven Ergebnisse des Experiments „Wiedereröffnung Schule“ in der Pandemie.


UNTERNEHMEN DER REGION