Dampflok geht, Anzeiger kommt
Ende und Anfang
Als am 26. Oktober 1977 die reguläre Dampflokfahrt innerhalb der Bundesrepublik Deutschland endet und die Lok 043-903-4 im Emdener Bahnhof einen letzten traurigen Pfiff abgibt, ist gleichzeitig im 150 Kilometer entfernten Osterholz-Scharmbeck der Startschuss für einen neuen Teilnehmer am Gazetten-Rennen vernehmbar, denn es erfolgte die erstmalige Verteilung des vom Verleger-Ehepaar Irmgard und Wilfried Kalski herausgegebenen Osterholzer Anzeigers.
Intelligente Anzeiger
Bereits im Jahre 1806 erschien in Gotha der „Allgemeine Anzeiger der Deutschen“, welcher - so der damalige Untertitel - „der öffentlichen Unterhaltung über gemeinnützige Gegenstände aller Art gewidmet“ war und zugleich als „allgemeines Intelligenz-Blatt zum Behuf der Justiz, der Polizey und der bürgerlichen Gewerbe“ gelten sollte - fürwahr ein hoher Anspruch.
Der Staat kassiert
Diese seit 1727 in Preußen und einigen weiteren deutschen Staaten erscheinenden Blätter besaßen das staatliche Anzeigenmonopol für ihre Verbreitungsgebiete, was sie dazu sowohl berechtigte als auch zwang, ausschließlich die Veröffentlichung von Anzeigen vorzunehmen. Alle Staatsdiener waren zum Abonnement verpflichtet. Niemand durfte Anzeigen veröffentlichen, die noch nicht im Intelligenzblatt erschienen waren. Dieser Intelligenzzwang erwies sich somit als lukrative Einnahmequelle für den Staat, löste sich aber zunehmend mit Abschaffung des Pflichtbezuges 1810 und Auflösung des staatlichen Anzeigenmonopols 1850 auf.
Von der Anzeige zur Gesellschaftskritik
Während in Preußen die Intelligenzblätter bereits im Jahre 1811 im Zuge von Reformen wegfielen, verschwanden die meisten anderen dann spätestens 1848 mit Einführung der Gewerbefreiheit. Der verbliebene Rest versuchte nun, durch unterhaltende, belehrende und politische, später auch sogar gesellschaftskritische Artikel das Interesse der Leserschaft zu wecken und diese dadurch an sich zu binden.
Einigen Blättern gelang dadurch die Erlangung eines offiziellen Zeitungsstatus, wenn auch mit einer regionalbedingt geringen Auflage. Parallel dazu entdeckten allerdings auch die großen Zeitungen das Unterhaltungs- und Wirtschaftspotential von Kleinanzeigen und Bekanntmachungen, weswegen sie immer mehr dazu übergingen, ihren Ausgaben regelmäßig einen eigenen Anzeigenteil beizulegen.
Das Intelligenzblatt heute
Die Bezeichnung „Intelligenzblatt“ hielt sich bis 1930, das letzte wurde im bayrischen Dorfen verteilt - übrigens als reines Anzeigenblatt, ganz so wie am Anfang seiner Geschichte. Im weiteren Verlauf findet der Begriff eher eine spöttisch-ironische Verwendung für Printmedien, die den Anspruch erheben oder auch den Anschein erwecken wollen, einer besonders intellektuellen Leser:innenschicht vorbehalten zu sein.
Die rasante Entwicklung des Kalski-Projekts
Doch kehren wir zurück ins beschauliche und aufstrebende Osterholz-Scharmbeck. So wie seit 1977 modernste Hochgeschwindigkeitszüge entwickelt wurden und die ab dem selben Jahr in Bau gegangene US-amerikanische Lucius-D.-Clay-Kaserne Garlstedt inzwischen zur Logistikschule der Bundeswehr geworden ist, hat sich auch beim anspruchsvollen Kalski-Projekt einiges getan. Abseits vom reinen Kleinanzeigenstil setzt der Anzeiger gezielte Werbemaßnahmen vorwiegend regionaler Anbieter um, widmet sich Informationen allgemeinen Interesses, steuert eine Meinung zu öffentlichen Geschehnissen bei und scheut sich auch nicht, unbequeme Themen anzupacken - und räumt seiner Leser:innenschaft beispielsweise durch die Leserbriefecke eine geeignete Kommunikationsmöglichkeit ein. In der Tat ein intelligentes Blatt.
Nomen est omen
Dazu passt die Ankündigung des Bundesverbandes Deutscher Anzeigenblätter, der erwägt, diese in „kostenlose Wochenzeitungen“ umzubenennen. Damit würde also dem Umstand Rechnung getragen, dass renommierte und etablierte Printmedien wie der Osterholzer Anzeiger schon längst nicht mehr nur Annoncen, sondern wie oben erwähnt, aktiv und zeitgemäß auch informative Artikel veröffentlichen, welche sich engagiert und kritisch mit den politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen in der Region und der restlichen Welt befassen.
Weiter so, Anzeiger-Team!
Auch wenn die Print-Ausgabe und das e-paper mit den zahlreichen Anzeigen und ausgesuchten Artikeln nur noch einmal wöchentlich erscheinen, zeugt zudem die Möglichkeit der Online-Lektüre zwischenzeitlich eintrudelnder neuer Nachrichten von einer schnellen Reaktion und bestmöglichen Informationsweitergabe. Dieses regelmäßig und professionell geschnürte Gesamtpaket ist ohne Zweifel das Ergebnis einer hervorragenden Kooperation zwischen den Kalskis, ihren Journalistinnen, dem Redaktionsteam, Druckereibetrieb und last not least den Zeitungsausträgerinnen. Der Osterholzer Anzeiger zeigt eben nicht nur vieles an, sondern auch so manches auf und liegt bei aller Konkurrenz seit dem Startschuss 1977 mit seinem großen Verbreitungsgebiet, wöchentlich über 50.000 Exemplaren und seit 45 Jahren in derselben Verlegerhand als zuverlässige Informationsquelle sehr gut im Rennen. Danke und alles Gute also, weiterhin viel Arbeitsfreude und Erfolg für die kommenden Jahre, welche ganz sicher eine Menge unerwarteter Herausforderungen und neuer Themen mit sich bringen werden.