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Brennpunkt Wohnungsmarkt: Bezahlbarer Wohnraum ist Mangelware

(jm). Die Zahl der Sozialwohnungen sinkt so rasant, wie die Mieten steigen: Wohnen ist seit Jahren ein zentrales soziales Thema. Die Bundesregierung will jetzt aktiv werden.
Der Bestand an staatlich gefördertem Wohnraum - sogenannten Sozialwohnungen - schrumpft kontinuierlich. Auch in der Region.

Der Bestand an staatlich gefördertem Wohnraum - sogenannten Sozialwohnungen - schrumpft kontinuierlich. Auch in der Region.

Bild: Foto: depositphotos/adikk

Rund um den 1. Mai werden traditionell Fragen sozialer Gerechtigkeit diskutiert. Eine der wichtigsten ist derzeit das Wohnen - das hat auch die aktuelle Bundesregierung erkannt und sich Wohnungsbau auf die Fahnen geschrieben. Rund 400.000 neue Wohnungen will die Ampel-Koalition pro Jahr bauen lassen, davon sollen 100.000 als öffentlich geförderte Sozialwohnungen entstehen.
Die Lage auf dem Wohnungsmarkt gilt seit Jahren als „angespannt“, die Mieten steigen ungebremst. Haushalte mit geringem Einkommen müssen längst deutlich mehr als 30 Prozent ihres Nettoeinkommens für die Miete einplanen. Eine erschwingliche Wohnung in der Nähe des Arbeitsplatzes ist oft nicht zu finden. Weitere Arbeitswege belasten nicht nur das Konto zusätzlich, sie sind auch dem Umweltschutz nicht unbedingt zuträglich. Letztendlich fehlt das Geld an anderer Stelle und die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben wird erschwert.
 
Bündnis bezahlbares Wohnen
 
Bekannt ist das Problem nicht erst seit gestern. Die neue Regierung möchte jetzt gegensteuern und demonstrierte ihre Entschlossenheit schon bei der Vergabe der Ressorts: Erstmals seit Jahrzehnten gibt es ein eigenständiges Bauministerium unter der Führung der SPD-Politikerin Klara Geywitz. Bisher war das Bauressort ein Anhängsel verschiedener Ministerien.
Vergangene Woche schritt Geywitz zur Tat und holte zahlreiche Partner:innen an einen Tisch - darunter die zuständigen Minister:innen aus Hamburg, Hessen, Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg; den Deutschen Städtetag, Landkreistag sowie Städte- und Gemeindebund; Verbände aus der Bauwirtschaft und Vertreter:innen der Zivilgesellschaft wie den DGB und den Deutschen Mieterbund. Gemeinsam gründeten sie das „Bündnis bezahlbarer Wohnraum“ und bekräftigten nochmals, selbigen in Deutschland schaffen zu wollen.
Neben der bereits erwähnten Bautätigkeit sollen beschleunigte Planungs- und Genehmigungsverfahren und mehr Freiheiten für die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BIMA) - sie soll selbst investieren dürfen und kommunale Bauvorhaben unterstützen - dazu beitragen, dass mehr preisgünstiger Wohnraum entsteht. Offen bleibt allerdings die Frage, wer all diese Wohnungen bauen soll. Laut Angaben des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) herrscht in der Baubranche ein gravierender Fachkräftemangel. Rund 50 Prozent der Stellen könnten derzeit nicht besetzt werden, bei Expert:innen mit abgeschlossenem Studium seien es sogar 73 Prozent. Zudem gebe es einen Konflikt: Widmen sich mehr Fachkräfte dem Neubau, fehlen sie im Bereich der energetischen Sanierung, der als unverzichtbar für den Klimaschutz gilt. Vom Materialmangel ganz zu schweigen.
 
Immer weniger Sozialwohnungen
 
Der Bestand an staatlich gefördertem Wohnraum - sogenannten Sozialwohnungen - schrumpft kontinuierlich. Aktuelle Zahlen aus Niedersachsen hat die Landtagsfraktion der Grünen erfragt: 55.000 geförderte Wohnungen, die an Berechtigte mit dem sogenannten „B-Schein“ vermietet werden, gab es Ende 2021 noch in Niedersachsen. Das sind 5.000 weniger als im Vorjahr. Die Entwicklung schreitet rasant voran. Im Jahr 2015 gab es noch 90.000 Sozialwohnungen im Bundesland. „Die Privaten haben kein Interesse an Sozialwohnungen mit langfristiger Mietpreisbindung, weil sie auf dem freien Markt deutlich mehr verdienen“, stellt dazu der Grünen-Abgeordnete Christian Meyer fest.
Der Trend ist überall der gleiche, das Ausmaß des Problems unterscheidet sich jedoch zwischen den Regionen. Der Kommunalverbund Niedersachsen/Bremen e.V. hatte das Thema bereits 2018 aufgegriffen und die entsprechenden Daten analysiert. In der Metropolregion rund um Bremen gab es damals etwa 11.000 zweckgebundene Sozialwohnungen, was einem Anteil von zwei Prozent am gesamten Angebot an Mietwohnungen entsprach. In der Region Hannover lag die Quote hingegen bei 5,5 Prozent.
 
Bestand aus den 70er- und 80er-Jahren fällt weg
 
Eine ähnliche Entwicklung lässt sich in Osterholz-Scharmbeck erkennen. Auch hier wurden die meisten Sozialwohnungen in den 1970er- und 80er-Jahren gebaut und fallen seit einigen Jahren nach und nach aus der Zweckgebundenheit, die oft für 30 Jahre festgelegt wurde. Aktuell gibt es noch 220 geförderte Wohnungen im Stadtgebiet - in der Vergangenheit wurde ein Höchststand von über 2.000 erreicht, berichtet der Leiter des Fachbereichs Stadtplanung und Bauen Frank Wiesner.
Zum Bedarf hat die Stadt keine aktuellen Zahlen, er wird jedoch als hoch eingeschätzt. „Bei dieser Frage kann ich mich nur auf Rückmeldungen von Wohnungssuchenden beziehen. Demnach ist die Nachfrage nach bezahlbarem Wohnraum groß, der Bedarf wird steigen“, so Wiesner. Mit Unterstützung der Landesbank sei es durchaus möglich, geförderte Wohnungen in der Kreisstadt zu bauen. „Die NBank bietet meiner Meinung nach attraktive Förderprogramme im sozialen Mietwohnungsbau an“, sagt Wiesner - es gebe aber keine Nachfrage von Investoren.
 
Verträge mit Investoren sollen Bedarf sichern
 
Der Landkreis Osterholz hat sich zuletzt 2019 mit dem Thema beschäftigt und den Bedarf an sozialem Wohnraum untersucht. Für die Stadt Osterholz-Scharmbeck schätzt die Kreisverwaltung, dass in Zukunft ein Anteil von rund zehn Prozent Sozialwohnungen nötig sein wird. Kreisweit wird die Quote auf sieben Prozent geschätzt, das entspricht etwa 600 Wohneinheiten. Selbst bauen kann der Landkreis nicht: Der Wohnungsbau fällt in die Planungshoheit der Kommunen. Um den Bedarf zu decken, empfiehlt der Landkreis seinen Kommunen deshalb, in städtebaulichen Verträgen mit Investoren festzulegen, dass ein Teil der neu gebauten Wohneinheiten zu einem günstigen Preis vermietet werden muss. Dies werde in Osterholz-Scharmbeck bereits praktiziert, aber im Einzelfall entschieden, berichtet Stadtplaner Frank Wiesner.
 
Versorgungskonzept ist in Arbeit
 
Im Osterholzer Kreishaus rechnet man mittel- und langfristig wegen des prognostizierten Rückgangs der Bevölkerung mit einer Entspannung auf dem Wohnungsmarkt. Wie die Prognose für den Landkreis Rotenburg (Wümme) ausfällt, wird sich in Kürze zeigen. Der Landkreis erarbeitet aktuell ein Wohnraumversorgungskonzept, das auch als Grundlage für die Förderung von sozialem Wohnungsbau genutzt werden soll. Zum 31. August soll das Konzept fertig sein.
Im Juni wird sich der Rotenburger Kreistag außerdem mit dem Thema beschäftigen. Die SPD-Fraktion hat die Gründung einer „Kommunalen Gesellschaft für Wohnen“ im Kreis Rotenburg beantragt. Die Gesellschaft soll unter Einbeziehung der kreisangehörigen Kommunen nachhaltiges und klimaschonendes Bauen im Landkreis koordinieren und alte Bestände aufkaufen, renovieren und neu vermieten.
Im Kreis Osterholz wurde diese Option aus verschiedenen Gründen abgelehnt. Es stünden nicht genügend Grundstücke zur Verfügung und Eigentümer:innen seien eher geneigt, an private Investoren zu verkaufen, statt an die Kommunen. Zudem seien 300 bis 400 Wohnungseinheiten nötig, um eine solche Gesellschaft wirtschaftlich betreiben zu können. Diese Zahl sei nicht zu erreichen, hieß es aus der Kreisverwaltung.


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