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Patrick Viol

Arbeit essen Seele auf - Psychische Arbeitsbelastung

Die Arbeitswelt belastet nicht mehr nur die arbeitenden Körper, sondern auch die Psyche. Und wie der Körper, so kann auch die Psyche bei schlechten Arbeitsbedingungen krank werden.

Zusammenhang psychischer Belastung und psychischer Beanspruchung, angelehnt an das Belastungs-
Beanspruchungs-Modell und die DIN EN ISO 10075.

Zusammenhang psychischer Belastung und psychischer Beanspruchung, angelehnt an das Belastungs- Beanspruchungs-Modell und die DIN EN ISO 10075.

Bild: Patrick Viol

Die Arbeitswelt befindet sich seit dem Ende des Postfordismus in den 90er Jahren in einem tief greifenden Wandel: Sie wird digitaler, flexibler und internationaler. Der technische Fortschritt als auch die Globalisierung der Wirtschaft haben zu neuen Produktionsstrukturen geführt und in weiten Teilen die Industrie- in eine Dienstleistungsgesellschaft überführt.

Mit dieser Entwicklung haben sich auch die Arbeitsbedingungen verändert. Nicht mehr sind die Beschäftigten vor allem mit schwerer körperlicher Arbeit, Hitze, Staub und Lärm konfrontiert. Körperlich schwere Arbeit gibt es natürlich noch.

Aber an Beschäftigte werden immer mehr psychische Anforderungen gestellt. Wahrnehmen und Denken, das Erleben und Zeigen von Emotionen, sogenannte Softskills, kreative Problemlösungen und Entscheidungsfähigkeit werden in flexibilisierten Arbeitsprozessen abverlangt. Für sie sind nicht mehr bloß physisch auszuführende Fertigkeiten zentral, sondern die ganze Person des:r Beschäftigten.

 

Psyche im Fokus der Öffentlichkeit

 

Mit dieser Transformation der Arbeitswelt haben sich auch die arbeitsbedingten Leiden der Arbeitenden verändert. Neben den zentralen Muskel-Skelett- und Atemwegserkrankungen sind psychische Erkrankungen mittlerweile die dritthäufigste Ursache für Fehlzeiten, wie das Bundesministerium für Arbeit und Soziales in seinem Arbeitsprogramm Psyche, in der es um Psychische Arbeitsbelastung und Gesundheit geht, mitteilt. Entsprechend rückt psychische Gesundheit von Beschäftigten seit einigen Jahren verstärkt in den Fokus der Öffentlichkeit. Sowohl seitens des Staates als auch der soziologischen und sozialpsychologischen (Populär-)Wissenschaft. Richard Sennetts Buch "Der flexible Mensch" oder Alain Ehrenbergs Buch "Das erschöpfte Selbst", beide von 1998, wurden Bestseller. Ulrich Bröcklings These vom unternehmerischen Selbst von 2007 ist aus der Arbeitssoziologie nicht mehr wegzudenken. Als ein Symptom der Entwicklung ist auch die nicht enden wollende Flut an Psychoratgeber-Literatur, die den Menschen Selbsttechniken verspricht, um mit den neuen Anforderungen besser klar zu kommen. Die Gegenwartsdiagnosen: der moderne Kapitalismus überfordere, mache wahlweise narzisstisch oder depressiv sind - bei aller Streitbarkeit ihrer argumentativen Grundlagen - allseits verbreitet. Ebenso die Einnahme von Stimulanzien wie Amphetamin (AMPH) und Methylphenidat (MPH) bei ADHS, weshalb der assoziierte Professor für Theorie und Geschichte der Psychologie an der niederländischen Universität Groningen, Dr. Stephan Schleim, in seinem Text „Kapitalismus und psychische Gesundheit“ z. B. im Hinblick auf die Zahlen in den USA und Deutschland von einer „Stimulanzienepidemie“ spricht.

 

Psychische Belastung

 

Der Begriff psychische Belastung ist zunächst sehr vage. Jede:r kann sich darunter etwas vorstellen und die wissenschaftliche Bedeutung unterscheidet sich vom alltäglichen Verständnis. Hier wird Belastung vor allem negativ verstanden, als eine Last, die man loswerden will. Im arbeitswissenschaftlichen Sprachgebrauch wird psychische Belastung in der Regel definiert als „die Gesamtheit aller erfassbaren Einflüsse, die von außen auf den Menschen zukommen und psychisch auf ihn einwirken“. In der Arbeitswissenschaft ist „Belastung“ also ein neutraler und wertfreier Begriff. Die genannte Definition ist der Norm DIN EN ISO 10075 „Ergonomische Grundlagen bezüglich psychischer Arbeitsbelastung“ entnommen, die u. a. die Begrifflichkeiten rund um das Themenfeld „Psychische Belastung“ festlegt.

Welche konkreten die psychische Gesundheit gefährdenden Belastungsfaktoren lassen sich in der modernen Arbeitswelt aber benennen?

 

Die krankmachenden Faktoren

Die Gemeinsame Deutsche Arbeitsschutzstrategie (GDA), eine Initiative von Bund, Ländern und Unfallversicherungsträgern, hat diese in einer Checkliste zusammengestellt. Die sechs wichtigsten Faktoren sind: zu wenig Handlungsspielraum, zu hohe Arbeitsintensität, fehlende oder geringe soziale Unterstützung und Mobbing, lange Arbeitszeiten bzw. Überstunden, hohe Arbeitsplatzunsicherheit und schließlich ein destruktiver Führungsstil.

 

- Wenig Handlungsspielraum

Wird der Handlungsspielraum als zu gering und damit als Einschränkung erlebt, kann das zu Depressionen führen. Dieser Zusammenhang gilt wissenschaftlich als gesichert. Herz-Kreislauf-Erkrankungen können ebenso eine Folge sein. Dafür gibt es starke Hinweise, obgleich hier ein endgültiger Nachweis noch aussteht.

 

- Zu hohe Arbeitsintensität

Kommt es aufgrund eines unerfüllbaren Termin- und Leistungsdrucks zu einem Missverhältnisses zwischen Arbeitsmenge, geforderter Qualität und zur Verfügung stehender Zeit (Arbeitsintensität), können nicht nur Depressionen die Folge sein. Auch Angst- und Zwangsstörungen werden mit eine zu hohen Arbeitsintensität wahrscheinlicher.

 

- Fehlende Unterstützung

Unterstützung hat verschiedene Formen. Soziale Bestätigung durch Feedback oder emotionale Unterstützung durch Zuneigung, Vertrauen und Anteilnahme gehören dazu. Sind Beschäftigte in einem Unternehmen besonders isoliert, erhalten sie wenig bis gar keine Unterstützung, was zu Angst- und Zwangsstörungen und negativen Effekte für die Gesundheit des Herz-Kreislauf-Systems führen kann. Zudem kann fehlende soziale Unterstützung durchs Kollegium sowie Vorgesetzte Mobbing begünstigen, was seinerseits die genannten Krankheiten begünstigt.

 

- Lange Arbeitszeiten

Als mögliche psychische Beeinträchtigungen wurden sowohl allgemein psychische Anspannung als auch Beschwerden wie Angst, Depression, Schlaflosigkeit und Feindseligkeit nachgewiesen. Auf körperlicher Ebene wurde ein Zusammenhang mit Herz- Kreislauf-Erkrankungen festgestellt. Den Studien zufolge gilt ein hohes relatives Risiko für diese Krankheiten in Abhängigkeit von der Anzahl der Überstunden.

 

- Arbeitsplatzunsicherheit

Je größer die subjektiv erlebte Arbeitsplatzunsicherheit und mit ihr die Sorge um die Existenz ist, desto ausgeprägter sind die Symptome psychischer Erkrankungen. Aber auch das Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen ist gesteigert. Denn nicht selten leiden von Arbeitsplatzunsicherheit geplagte Menschen unter Schlaflosigkeit.

 

- Destruktiver Führungsstil

Schlechter Führungsstil ist, wenn ein:e Arbeitgeber:in z. B. unerfüllbare Zielvorgaben macht, die Arbeit der Mitarbeiter:innen stets schlecht macht, nicht ansprechbar und intransparent ist. Solche Führung kann weitreichende Folgen für das Selbstwertgefühl und Wohlbefinden der Mitarbeiter:innen haben. Psychische Folgen sind Stress, körperliche Beschwerden bis hin zum Burnout, wie Forschungsergebnisse zeigen.

 

Abhilfe durch Kommunikation

 

Was die Arbeitsschutzstrategie als Präventionsmaßnahmen gegen problematische Ausprägungen der genannten psychischen Arbeitsfaktoren empfiehlt, ist u.a. eine offene Konflikt- und Kommunikationskultur, um über gesundheitsgefährdende Entwicklungen in den genannten Merkmalsbereichen rechtzeitig sprechen zu können. Denn oftmals leiden auch Vorgesetzte unter den genannten Symptomen, räumen sich die aber seltener aus Angst vor dem Scheitern ein.

 

 

Die in diesem Stück verhandelten Einsichten über den Zusammenhang von Arbeit und psychischer Belastung wurden von Prof. Dr. Renate Rau vom Institut für Psychologie an Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg in dem Projektbericht „Psychische Arbeitsbelastungen – Risiko für Gesundheitsbeeinträchtigungen“ zusammengefasst.


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