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Lena Stehr

Homeschooling: Am dritten Tag gab‘s keine Tränen

Landkreis. Dass man den Lernort nicht so einfach von der Schule nach Hause verlegen kann, wird nach einer Woche Homeschooling überdeutlich. Ein Schulleiter und zwei Mütter berichten.
Beim Unterricht zuhause kochen nicht selten die Emotionen hoch. Wie sind Ihre Erfahrungen mit Homeschooling und dem Lockdown mit Kindern? Mailen Sie uns an lena.stehr@anzeiger-verlag.de.  Foto: AdobeStock/ulianna19970

Beim Unterricht zuhause kochen nicht selten die Emotionen hoch. Wie sind Ihre Erfahrungen mit Homeschooling und dem Lockdown mit Kindern? Mailen Sie uns an lena.stehr@anzeiger-verlag.de. Foto: AdobeStock/ulianna19970

Landkreis. Dass man den Lernort nicht so einfach von der Schule nach Hause verlegen kann, wird nach einer Woche Homeschooling überdeutlich. Ein Schulleiter und zwei Mütter berichten. Heisere Stimme (vom Schreien), erhöhter Taschentuchverbrauch (vom Weinen) und geplünderte Süßigkeitenvorräte bzw. Weinregale (vom allgemeinen Frust) - das ist in vielen Familien wohl die ungeschminkte Bilanz nach der ersten Woche Homeschooling. Fakt ist: Wo man auch hinhört, gibt es wenig Gutes zu berichten. Los ging es gleich am ersten Schultag mit massiven Störungen auf der staatlichen Lernplattform IServ, die von mehr als 4.500 Schulen und damit etwa 2,3 Millionen Schüler:innen genutzt wird. Weil Videokonferenzen nicht eröffnet werden konnten, bzw., weil man ihnen nicht beitreten konnte, war ein zentrales Element des Distanzunterrichts nicht verfügbar. „Ich kann den Frust der Eltern verstehen“ „Das hat mich sehr geärgert, und ich kann auch nachvollziehen, dass viele Eltern und Schüler:innen deshalb sehr frustriert waren“, sagt Dr. Denis Ugurcu, Schulleiter am Gymnasium Lilienthal. Inzwischen gebe es zwar keine Probleme mehr beim Online-Videounterricht, ein adäquater Ersatz für Präsenzunterricht sei das digitale Lernen insgesamt aber nicht. So lasse sich zum Beispiel feststellen, dass die mündliche Beteiligung im digitalen Klassenraum geringer ausfalle. Es fehle der persönliche Kontakt und die Möglichkeit, spontan nachzufragen, sagt Ugurcu. Im Präsenzunterricht könne eine Lehrkraft viel besser auf Mimik und Gestik ihrer Schüler:innen reagieren und im Zweifel auch besser erkennen, wo noch Erklärungsbedarf bestehe. Dieser direkte Kontakt sei von unschätzbarem Wert, sagt der Schulleiter und hofft, dass schnell wieder „normale“ Zeiten anbrechen und wieder mehr Präsenzunterricht stattfinden können. Momentan seien am Lilienthaler Gymnasium lediglich die 13. Klassen im Präsenzunterricht, für Fünft- und Sechstklässler:innen werde eine Notbetreuung angeboten, in der die Kinder ihre Aufgaben unter der Aufsicht einer Betreuungskraft erledigen könnten. Eltern sollen keine Ersatzlehrkraft sein Frustrierten Eltern möchte der Schulleiter noch mit auf den Weg geben, dass sie nicht „Ersatzlehrer:in“ sein sollen. Die Schüler:innen sollten mögliche Probleme selbst lösen und im Zweifel ihre Lehrkraft fragen, wenn sie etwas nicht verstehen. Dass hier Theorie und Praxis aber häufig weit auseinanderdriften, bestätigen zwei Mütter aus der Region. So berichtet die Mutter eines Fünftklässlers, dass ihr gar nichts anderes übrig bleibe, als sich mit dem kompletten Unterrichtsstoff ihres Kindes auseinanderzusetzen. Ansonsten sei es ihrem Sohn nicht möglich, die Aufgaben für insgesamt zehn Fächer wochenweise so zu strukturieren, dass er nicht die Nacht von Donnerstag auf Freitag durcharbeiten müsse. Ohne Hilfestellung unmöglich Weil es in ihrem Fall hauptsächlich Aufgabenlisten mit Abgabeterminen und kaum Videokonferenzen gäbe, müssten alle Anhänge ausgedruckt, handschriftlich bearbeitet, abfotografiert und dann hochgeladen werden - ein Aufwand, der ohne Hilfestellung der Eltern zumindest im Alter von zehn Jahren noch nicht alleine bewerkstelligt werden könne. Zudem erhalte ihr Sohn sehr lange Mails mit langen Aufgabenstellungen und Erklärungen. „Das ist eine zu große Informationsflut, die da in Form von diversen Wochenplänen auf ihn einprasselt“, sagt die Mutter. Zuhause fließen Tränen Zudem gebe es neben den Tücken der heimischen Technik oder der teilweise schlechten Internetverbindung aber noch ein anderes gravierendes Problem beim Homeschooling. „Das Kind verhält sich zu Hause und den Eltern gegenüber einfach anders als in der Schule. Es fällt beim Erklären ins Wort, wird schnell wütend, weil es etwas nicht versteht, ist leicht abgelenkt und es fließen Tränen“, sagt die Mutter. Bis jetzt sei nur der dritte Tag tränenfrei geblieben. Eine andere Mutter, deren drei Kinder (dritte bis neunte Klasse) auf unterschiedliche Schulen in der Region gehen, bestätigt ebenfalls, dass eine Betreuung der Kinder im Homeschooling unerlässlich sei. Es sei kaum möglich, sich den Unterrichtsstoff selbst zu erarbeiten. Viel Neues stehe deshalb wohl auch derzeit nicht auf den Lehrplänen, es werde viel wiederholt, so ihre Einschätzung. Und auch bei ihr kochen gelegentlich die Emotionen hoch. Die Kinder seien einfach nicht richtig ausgelastet. „Der Alltag und die Freunde fehlen sehr, zufrieden sind meine Kinder so nicht“, sagt die Mutter. Balanceakt zwischen Arbeit und Familie Doch während sie ihre Schichtarbeit im Wechsel mit ihrem Mann relativ gut in Einklang mit dem Homeschooling bringen kann, stürzen viele beim Balanceakt zwischen Arbeit und Familienmanagement ab, weil es schlicht unmöglich ist, sich voll auf seine Arbeit zu konzentrieren, während Kinder, die ständig Bedürfnisse haben, um einen herumwuseln. „Elternschaft darf kein Makel sein“ Deshalb fordert zum Beispiel die Initiative Pro Parents (proparentsinitiative.de) neue und bessere rechtliche Rahmenbedingungen, die Eltern vor Benachteiligungen schützen. Damit einher gehe ein gesellschaftlicher Wandel, der sich auch in Unternehmenskulturen widerspiegeln müsse. Elternschaft dürfe kein Makel und keine Stigmatisierung bedeuten, sondern müsse als Bereicherung gesehen werden. Der Niedersächsische Landesverband alleinerziehender Mütter und Väter rückt in diesem Zusammenhang die besondere Situation von Einelternfamilien in den Fokus und berichtet von Betroffenen, denen es durch die neuen Kontaktbeschränkungen größtenteils unmöglich geworden sei, zusätzliche Betreuungsmöglichkeiten oder Unterstützung durch Familie, Freunde oder Bekannte in Anspruch zu nehmen. Um die Vereinbarkeit von Betreuung und Arbeit zu ermöglichen, sollten die Kontaktbeschränkungen für Einelternfamilien gelockert und die Vergabe von Notbetreuungsplätzen für Kinder von Alleinerziehenden grundsätzlich gewährleistet werden, heißt es unter anderem in einem offenen Brief an den Niedersächsischen Ministerpräsidenten. Lernen im Alten Amtsgericht Übrigens: Schüler:innen ab der siebten Klasse, denen es zu Hause zu eng wird oder die technische Probleme haben, können über die kommunale Jugendarbeit Lilienthal von Montag bis Freitag zwischen 10 und 13 Uhr kostenlose Lernzeiten im Alten Amtsgericht reservieren und dort in Ruhe ihre Aufgaben erledigen. Mehr Informationen unter der Telefonnummer 04298/929180 oder per Mail an kommunale-jugendarbeit@lilienthal.de. Foto: AdobeStock/ulianna19970


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