Zwang im Namen der Freiheit?
Kim (17), Jannik (18) und Caro (17) gehen in Osterholz-Scharmbeck zur Schule. Sie haben eine klare Meinung zur aktuellen Debatte um Wehrdienst und Sicherheitspolitik: „Ich fände eine Art allgemeinen Dienst für die Gesellschaft besser. Nicht jeder mag das Militär, und da wäre es fairer, wenn man zwischen Bund, Krankenhaus, Schule, Altenheim oder Kita wählen kann“, so Kim. Jannik sieht in einem Wehrdienst Potenzial – allerdings freiwillig: „Ich denke, die Wehrpflicht kann jungen Menschen helfen, selbstbewusster zu werden, Verantwortung zu übernehmen und die Arbeit im Team zu lernen.“ Caro hingegen lehnt eine Verpflichtung kategorisch ab. Für sie steht fest: „Ich bin definitiv dagegen. Man kann doch niemanden zu etwas zwingen, das er oder sie nicht will.“
Das sieht Bundesverteidigungsminister Pistorius etwas anders. Zumindest, wenn nicht genügend Freiwillige sich zum Wehrdienst melden.
Wehrpflicht als Notlösung gesetzlich verankern
Noch vor der Sommerpause soll ein neues Wehrdienstgesetz ins Kabinett kommen. Im Zentrum steht zunächst die Freiwilligkeit – junge Männer sollen angeschrieben und zur Rückmeldung verpflichtet werden, Frauen freiwillig teilnehmen können. Doch Pistorius will mehr: Sollte sich zeigen, dass nicht genug Freiwillige zu gewinnen sind, soll eine im Gesetz bereits vorbereitete Wehrpflicht greifen können – ohne neues Gesetzgebungsverfahren.
Der Hintergrund: Ohne verlässliche Personalreserven könne Deutschland seine militärischen Verpflichtungen im Rahmen der NATO nicht erfüllen. Ziel ist eine Truppenstärke von 260.000 Soldatinnen und Soldaten – rund 60.000 mehr als heute. Zudem soll ein Reservistenpool von 200.000 Personen aufgebaut werden.
Strategische Verantwortung nach dem NATO-Gipfel
Der Plan des Bundesverteidigungsministers ist eng verknüpft mit Deutschlands wachsender Rolle im NATO-Bündnis. Auf dem jüngsten NATO-Gipfel in Den Haag haben die Mitgliedstaaten beschlossen, ihre Verteidigungsausgaben deutlich zu erhöhen. Bis 2035 sollen insgesamt fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts in Verteidigung, Infrastruktur und Resilienz fließen. Deutschland bekennt sich zu diesem Ziel und will bis 2029 allein 3,5 Prozent für militärische Kernfähigkeiten bereitstellen.
Pistorius‘ Vorstoß ist somit Teil eines strategischen Schwenks: Deutschland will militärisch wieder mehr Verantwortung übernehmen – insbesondere an der Ostflanke der NATO. Der Appell des Bündnisses, sich auf mögliche Bedrohungen aus Russland besser vorzubereiten, wirkt dabei wie ein Katalysator.
Zugleich geht es um Glaubwürdigkeit. Der NATO-Gipfel bekräftigte Artikel 5, die gegenseitige Beistandsverpflichtung. Wer diesen Schutz beansprucht, muss auch selbst verteidigungsfähig sein – mit Truppen, Ausrüstung und schneller Einsatzbereitschaft.
Zustimmung von der Union, Skepsis bei den Jusos
Rückendeckung erhält Pistorius aus Reihen der Union. CDU-Kanzleramtschef Thorsten Frei schlägt einen verbindlichen Mechanismus vor, der automatisch greift, wenn bestimmte Freiwilligenquoten nicht erreicht werden. CSU-Chef Markus Söder forderte im ZDF sogar eine zügige Rückkehr zur klassischen Wehrpflicht – angesichts der Bedrohung durch Russland reichten Fragebögen und Werbung nicht aus.
In der SPD dagegen ist der Kurs umstritten. Von einer Wehrpflicht durch die Hintertür ist gar die Rede. SPD-Fraktionschef Matthias Miersch will über eine Pflicht frühestens in der nächsten Wahlperiode sprechen. SPD-Vorsitzender Lars Klingbeil zeigt sich hingegen offen für eine Reaktivierung, betont aber die Notwendigkeit politischer Vorbereitung.
Jugend besteht auf Freiwilligkeit
Deutlicher Widerspruch kommt von den Jusos. Beim anstehenden SPD-Parteitag wollen sie sich mit Nachdruck gegen eine Rückkehr zur allgemeinen Wehrpflicht stellen. Jannis Gerken, Vorsitzender der Jusos im Kreis Osterholz, formuliert eine differenzierte, aber klare Position: „Der Dienst an der Waffe im Namen des Staates muss in einer freien Demokratie immer eine freiwillige Entscheidung bleiben. Eine allgemeine Wehrpflicht lehnen wir als Jusos daher ab.“ Gerken erkennt die sicherheitspolitischen Herausforderungen und die Bedrohung durch Russland durchaus an. Er warnt jedoch davor, militärische Stärke zum Selbstzweck zu erheben. Stattdessen fordert er demokratische Kontrolle, klare Verhältnismäßigkeit und eine gesamtgesellschaftliche Perspektive:
„Ich bin keiner der Menschen, die glauben, man müsse nur abrüsten und mit Putin diplomatisch verhandeln, um Frieden zu erreichen. Aber militärische Verteidigungsfähigkeit darf nicht auf Kosten demokratischer Freiwilligkeit erzwungen werden.“ Gleichzeitig erinnert er daran, dass Sicherheit auch soziale Sicherheit meint – starke Schulen, gute Krankenhäuser und bezahlbarer Wohnraum seien ebenso Teil einer wehrhaften Demokratie. Sein Fazit: „Wenn wir zu wenige Menschen finden, die bereit sind, unsere Demokratie zu verteidigen, brauchen wir keine Debatte über eine Wehrpflicht, sondern über die demokratische Verwurzelung unserer Gesellschaft.“
Pflicht bremst Jugend aus
Noch grundsätzlicher fällt die Kritik des Kreisschülerrats Rotenburg aus. In einem gemeinsamen Statement erklären die Vorsitzenden Mariella Schubert und Aiden Salazar: „Wir als Kreisschülerrat sprechen uns grundsätzlich gegen die Wiedereinführung der Wehrpflicht aus. Aus unserer Sicht ist dieses Modell nicht mehr zeitgemäß.“ Die Einführung einer Pflichtzeit würde junge Menschen in ihrer Ausbildung ausbremsen und bestehende Fachkräftelücken eher verschärfen als lindern, so die Kritik. Stattdessen plädieren die Schülervertreter für eine Stärkung freiwilliger Orientierungsprogramme wie FSJ, FÖJ, Bundesfreiwilligendienst oder ein Freiwilliges Handwerksjahr – auch in Kooperation mit der Bundeswehr. „Solche Angebote fördern Persönlichkeitsentwicklung und Berufswahl, ohne jemanden zu zwingen“, schreiben sie. Zugleich äußern sie verfassungsrechtliche und praktische Bedenken: Wer genau müsste im Falle einer verpflichtenden Wehrpflicht antreten? Wie würden Auswahlverfahren ausgestaltet? Und ist eine Wehrpflicht überhaupt praktikabel, solange es an Unterkünften und Ausrüstung fehlt? Die Haltung des Rats ist eindeutig: „Freiwilligkeit ist für uns ein zentrales Prinzip. Eine Haltung nach dem Motto ‚Wer nicht freiwillig mitmacht, wird eben verpflichtet‘ können wir nicht mittragen.“
Der Vorstoß zur Wehrpflicht zeigt damit nicht nur, wie ernst Deutschland seine Rolle im westlichen Verteidigungsbündnis nimmt – er legt auch offen, wie unterschiedlich das Verständnis von Sicherheit, Freiheit und staatsbürgerlicher Verantwortung in der Gesellschaft verhandelt wird. Wie belastbar der Konsens zwischen militärischer Bündnistreue und demokratischer Selbstverantwortung wirklich ist, wird sich in den kommenden Monaten zeigen – spätestens im Bundestag, wenn das Wehrdienstgesetz auf der Tagesordnung steht.
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