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Patrick Viol und Lena Stehr

Revolution der Pleiten?

Trotz Einigung auf Eckpunkte für eine Krankenhausreform  - ohne Soforthilfen erwarten die von ihr Betroffenen ein Krankenhaussterben.

Was bringen die Eckpunkte für eine Krankenhausreform?

Was bringen die Eckpunkte für eine Krankenhausreform?

Bild: Wavebreak Media LTD

Es sei eine „Art der Revolution“, so der sichtlich zufriedene Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach bei der Verkündung der Eckpunkte für die Krankenhausreform, auf die sich Bund und Länder Anfang der Woche, am 10. Juli, geeinigt haben.

Zufrieden mit den Eckpunkten ist auch der niedersächsische Gesundheitsminister Andreas Philippi. Mit der neuen Finanzierung der Krankenhäuser könne die „ruinöse Überökonomisierung der Krankenhäuser“ beendet werden. Zudem seien die Folgen der Reform überschaubar, da das niedersächsische Krankenhausgesetz der geplanten Reform in einigen Punkten sehr ähnlich sei.

 

Die wichtigsten Eckpunkte

 

Diese Eckpunkte sehen grundsätzlich eine Abkehr von den Fallpauschalen und einen „Umbau des Systems“ vor. Dieser Umbau soll ein „System der Vorhaltepauschalen“ einführen. Die Kliniken erhalten darüber 60 Prozent ihrer Gelder dafür, bestimmte Leistungen samt Personal und Material anzubieten - selbst dann, wenn sie sie nicht immer erbringen. Damit erhielten sie „eine Art Existenzgarantie“ „Das nimmt den ökonomischen Druck von den Klinken, erlaubt eine Entbürokratisierung und sorgt für mehr Sicherheit und Qualität bei der medizinischen Versorgung von Patienten“, so Lauterbach weiter. Patientinnen könnten sich sicher sein, dass die angebotenen Krankenhausbehandlungen immer nötig seien und vom Krankenhaus mit der entsprechenden Qualität durchgeführt werden würden.

Konkret heißt das, dass Krankenhäuser nicht mehr jede medizinische Versorgung anbieten, sondern künftig in Leistungsgruppen eingeordnet werden. Die Einordnung bleibt in der Hand der Länder.

 

Die Leistungsgruppen

 

In Krankenhäusern der Grund- und Notfallversorgung sollen vornehmlich medizinische Basisbehandlungen durchgeführt werden. Krankenhäuser mit Regel- und Schwerpunktversorgung bieten weitere Leistungen an. Und Krankenhäuser der Maximalversorgung nehmen auch hoch spezialisierte Eingriffe vor. So würden nicht nur alle Kliniken eine Mindestqualität aufbieten, sondern auch kleine Klinken und Klinken auf dem Land, die nicht so stark frequentiert werden, überleben können. Die Versorgung auf dem Land würde also auch sichergestellt.

 

Kein Überleben ohne Vorschaltgesetz

 

Aber wahrscheinlich erst, nachdem einige Kliniken dort gestorben sind, wie es seitens der Kritiker:innen an den Eckpunkten heißt. Kritik kommt von S Krankenhäusern und ihren Betreibern, da die Forderung nach Soforthilfen und einem die Reform vorbereitenden Vorschaltgesetz, das eine sofortige Verbesserung der Finanzierung regeln soll, vom Bund abgelehnt wurde. DEin solches Gesetz sei aber notwendig, so Ralf Selbach, Vorstandsvorsitzender des DRK-Landesverbandes Niedersachsen und in diesem Jahr Vorsitzender der LAG FW. Den Strukturwandel gebe es nicht zum Nulltarif, sondern er koste Geld. „Damit es nicht zu einem massiven Krankenhaussterben insbesondere im ländlichen Bereich kommt, braucht es dringend ein Vorschaltgesetz für die finanzielle Absicherung der Krankenhäuser, um überhaupt einen geordneten Umbau der Krankenhauslandschaft vollziehen zu können“, so Selbach. Die Situation sei dramatisch: „Die Krankenhäuser liegen im Schockraum der Notaufnahme, und viele Kliniken werden die politische Therapie des Abwartens nicht überleben“ , wie der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), Dr. Gerald Gaß, erklärt.

 

Kritik vom Landkreis Osterholz

 

Auch der Landkreis Osterholz, der das Kreiskrankenhaus betreibt, sieht die Eckpunkte der Reform kritisch. „Eine Verbesserung der allgemeinen Situation unseres Kreiskrankenhauses Osterholz ist nach dem jetzigen Sachstand und den derzeitigen Erkenntnissen nicht zu erwarten“, wie Sabine Schäfer für den Landkreis mitteilt. Auch der Landkreis fordert, dass „die Krankenhäuser durch ein Vorschaltgesetz finanziell stabilisiert werden“, bevor das neue Gesetz in Kraft tritt. In den Krankenhäusern liefen aufgrund der Inflationsentwicklung und der Tarifsteigerungen „hohe Defizite“ auf.

Eine bedarfsorientierte regionale Krankenhausplanung erfordere aber Zeit und Geld. „Die Einführung von Vorhaltepauschalen ist grundsätzlich zu begrüßen. Die Ausgestaltung ist dabei essenziell“, so Schäfer. Die aber sei an vielen Stellen noch unklar. Zum Beispiel sei ungeklärt welche bundeseinheitliche Qualitätskriterien die Krankenhäuser für die Zuordnung zu den 65 Leistungsgruppen erfüllen sollen.

Kritisch zu betrachten sei außerdem, dass mit den Vorhaltepauschalen zwar eine gute Deckelung der Fixkosten erreicht würde. Da aber der 2020 neu eingeführte Pflegebudget als Teil des Vorhaltebudgets betrachtet wird, werde der Vorhalteanteil deutlich geschmälert.

Problematisch sei außerdem, dass das bestehende Erlösvolumen nur umverteilt werden soll, also bundesseitig keine zusätzlichen Gelder in das aktuell stark geschwächte System fließen werden. „Es müssen also zwingend Krankenhäuser und Leistungsgruppen wegfallen, da ansonsten nicht ausreichend Geld im System zur Umverteilung zur Verfügung steht“, so Schäfer abschließend.

 

„Es drohen landesweit Schließungen“

 

Jörn Wessel, Geschäftsführer des Agaplesion Diakonieklinikum Rotenburg, begrüßt grundsätzlich die Qualitätsoffensive des Gesundheitsministers sowie eine Neuregelung der Krankenhausfinanzierung und geht davon aus, „dass wir als breit aufgestellter Maximalversorger in der Region unserer Bevölkerung auch weiterhin eine große Bandbreite an medizinischen Leistungen zur Verfügung stellen können.“

Allerdings stelle sich die Frage, ob die geplanten Regelungen tatsächlich eine Verbesserung für die Patientinnenversorgung erwirken würden. Kritisch sei, dass insgesamt nicht mehr Geld in das System fließen werde, sondern es sich um eine Umverteilung handele. Es seien keine wirtschaftlichen Soforthilfen vorgesehen und die aktuell deutlich steigenden Kosten aufgrund von Inflation und Tarifabschlüssen drohten, bei den Krankenhäusern hängen zu bleiben. „Dadurch drohen landesweit Krankenhausschließungen und die Umverteilung von Leistungsangeboten“, so Wessel.

Die seit Jahrzehnten bestehende Unterfinanzierung bei den Investitionskosten der Krankenhäuser durch die Bundesländer werde zwar angesprochen, aber es gebe keine Einbeziehung in das Gesamtkonzept. Auch die kurzfristige Umsetzung der Reform sei fragwürdig. Hier sollte lieber auf Qualität und Sinnhaftigkeit als auf Schnelligkeit gesetzt werden. „Zudem benötigen wir mehr Informationen zur Ausgestaltung des Gesetzes, insbesondere zu den Anforderungen für die einzelnen Leistungsgruppen, um Planungssicherheit zu bekommen.“

 

Kritik vom OsteMed-Geschäftsführer

 

Deutliche Worte findet auch Siegfried Ristau, Geschäftsführer der Elbe Kliniken Stade-Buxtehude und der OsteMed Kliniken und Pflege GmbH. Es mache ihn fassungslos, dass es seitens der Länder eine überwiegende Zustimmung zur Reform gebe, obwohl keinerlei zusätzliche Finanzmittel berücksichtigt wurden, die die ohnehin stark unterfinanzierten Kliniken entlasten. Die Länder würden damit auch große, leistungsfähige und auch zukünftig bedarfsnotwendige Kliniken in eine wirtschaftliche Notlage führen.

Und ob eine Reform gelingen könne, bei der man wohlwissend vorab viele Kliniken in einen wirtschaftlichen Ruin treibe, sei äußerst fraglich. „Die Politik verspielt dabei aus meiner Sicht sehr viel Vertrauen in der Bevölkerung und insbesondere bei den vielen Mitarbeitenden in Krankenhäusern. Während in der Corona-Pandemie seitens der Politik noch sehr viel Wertschätzung gegenüber Mitarbeitenden in Kliniken gezeigt wurde, zwingt sie uns nun zu Kreditaufnahmen, um die monatlichen Gehaltszahlungen sicherzustellen. Das kann nicht lange gut gehen“, so Ristau.

Für die Umsetzung der Reform müssten Bund und Länder zwingend Geld in die Hand nehmen und den Kliniken jetzt sofort helfen, damit es zum Start der Reform nicht zu spät sei.

In Kraft treten soll die Krankenhausreform zum 1. Januar 2024, über den Sommer wird ein konkreter Gesetzentwurf ausgearbeitet. Bis die Patientinnen Auswirkungen der Reform spüren, dürfte es allerdings noch Jahre dauern.


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