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Lena Stehr

Regierung hackt helfende Hände ab 

Dass über Pflichtdienste für die Gesellschaft diskutiert wird, während gleichzeitig die Mittel für Freiwilligendienste gekürzt werden sollen, stößt auf viel Unv

Kürzung bei Bundesmitteln für Freiwilligendienste trifft auf Unverständnis

Kürzung bei Bundesmitteln für Freiwilligendienste trifft auf Unverständnis

Bild: www.freepik.com/pressmaster

Die Union will seit geraumer Zeit ein verpflichtendes Gesellschaftsjahr einführen, die SPD will nach der parlamentarischen Sommerpause die Einführung eines sozialen Pflichtdienstes in Deutschland von mindestens drei Monaten angehen und damit den Respekt im Umgang und ein stärkeres Miteinander im Land fördern. Dass die Regierung aber gleichzeitig die Bundesmittel für die Freiwilligendienste um 78 Millionen Euro - und damit um fast ein Viertel - kürzen will, stößt insbesondere bei Sozialverbänden und Trägern wie dem DRK und der Lebenshilfe auf Unverständnis.

 

Jede vierte Stelle könnte wegfallen

 

Rund 100.000 Menschen leisten Jahr für Jahr einen Freiwilligendienst, 60.000 von ihnen sind Jugendliche und junge Erwachsene. Zum Einsatz kommen diese zum Beispiel in Kindergärten, Schulen, Pflegeeinrichtungen oder Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen.

Der Paritätische Wohlfahrtsverband Niedersachsen e.V. geht davon aus, dass angesichts der im Haushaltsentwurf vorgesehen Kürzungen circa 250 Plätze in den paritätischen Strukturen in Niedersachsen wegfallen würden. Derzeit gebe es rund 1.200 Plätze, davon 900 im Bereich Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) und 300 im Bundesfreiwilligendienst (BFD).

Zum jetzigen Zeitpunkt sei noch nicht klar, wie und an welcher Stelle die Kürzungen wirksam werden, betont Jens Starkebaum vom Paritätischen. Sollte das zur Verfügung stehende Platz-Kontingent gekürzt werden, würden direkt Plätze wegfallen. Sollte die Kürzung über eine geringere Förderung der Pauschale pro Teilnehmer:in im Monat erfolgen, könnten die Kosten der Träger nicht mehr gedeckt werden. In diesem Fall müssten die Einsatzstellen ihre Beteiligung erhöhen, was diese finanziell - zusätzlich zu den ohnehin gestiegenen Kosten - überfordern werde.

„Wenn es bei den Kürzungen bleibt, dann ist jede vierte Freiwilligendienststelle nicht mehr finanziert“, sagt die Vorsitzende des Paritätischen Wohlfahrtsverbands Niedersachsen e.V., Kerstin Tack. Dass gleichzeitig über einen sozialen Pflichtdienst diskutiert werde, passe einfach nicht zusammen.

Im DRK sind niedersachsenweit in diesem Jahr 448 Freiwillige im Einsatz, davon arbeiten im Landkreis Osterholz aktuell acht und ab Herbst voraussichtlich zwölf. Im Landkreis Rotenburg (Wümme) sind es 18 Freiwillige.

 

Freiwilligendienste stärken

 

Der DRK-Landesverband Niedersachsen plädiert dafür, das Freiwillige Soziale Jahr sowie den Freiwilligendienst generell eher auszubauen, zu stärken und zu fördern und nicht die Förderung zu kürzen. Denn der Freiwilligendienst biete jungen Menschen die Chance, sich beruflich zu orientieren. In Hinblick auf den Fachkräftemangel könne er außerdem dazu beitragen, junge Menschen für eine Tätigkeit in sozialen Berufen zu gewinnen. Natürlich müssten die Freiwilligen erst einmal in ihre Tätigkeiten eingewiesen werden, aber schon bald könnten sie sich als „helfende Hände“ nützlich machen und die hauptberuflichen Fachkräfte unterstützen sowie entlasten, betont Christina Körber, die seit sieben Jahren die Abteilung Freiwilligendienste im DRK-Landesverband Niedersachsen leitet. Auch die Zielgruppen der jeweiligen Einrichtung – seien es Familien, ältere Menschen oder Kinder – würden den Freiwilligen profitieren, indem sie besser sowie individueller betreut und versorgt werden könnten. „Zudem ermöglichen Freiwillige neue, zusätzliche Angebote. Sie treiben Projekte voran, die im Arbeitsalltag aufgrund begrenzter Kapazitäten zurückgestellt werden“, sagt Körber.

 

Ein Gewinn für alle

 

Das bestätigt auch Annika Ziemann, stellvertretende Leiterin des SOS-Kinderdorfs Worpswede. In der Regel unterstützen fünf Freiwillige die Fachkräfte bei der tiergestützten und der stationären Arbeit mit Kindern, übernehmen Fahrdienste und gestalten Freizeit- sowie Ferienangebote. Außerdem werde angestrebt, immer eine FSJ-Kraft in den drei Kitas in Trägerschaft des Kinderdorfs (drei in Worpswede, vier in Osterholz-Scharmbeck und eine in Bremen-Nord) zu beschäftigen. „Für uns sind die Freiwilligen eine wertvolle Hilfe und gute Möglichkeit Fachkräfte zu gewinnen“, sagt Ziemmann. Zudem würden die jungen Leute von ihren Erfahrungen und den erworbenen Qualifikationen profitieren.

So wie Tom Boyer aus dem Landkreis Osterholz. Er hat gerade einen Freiwilligendienst im Ausland hinter sich und dadurch die Chance bekommen, vor seinem Studium in einen ganz anderen beruflichen Bereich einzutauchen. Dass nun die Mittel für Freiwilligendienste gekürzt werden sollen, sei sehr bedauerlich. „Es wäre sehr schade, wenn Jugendliche die Erfahrung eines Freiwilligendienstes machen wollen, aber alle naheliegenden Stellen sich wegen der Kürzungen nicht mehr halten können“, sagt Tom Boyer.


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