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Luisa Mersmann & Lena Stehr

Mündliche Beteiligung mangelhaft

Die Landesregierung lässt mit einem Konzept zur Umsetzung des Ganztags an Grundschulen bis 2026 auf sich warten und stellt Kommunen vor große Herausforderungen.

 

Eltern von Kindern ab der ersten Klasse haben ab 2026 einen Rechtsanspruch auf eine Ganztagsversorgung ihrer Kinder.

Eltern von Kindern ab der ersten Klasse haben ab 2026 einen Rechtsanspruch auf eine Ganztagsversorgung ihrer Kinder.

Bild: Freepik

Anfang September 2021, also noch während der großen Koalition von CDU und SPD, haben sich Bund und Länder auf einen Rechtsanspruch für eine Ganztagsversorgung von Kindern geeinigt. Das Ganztagsförderungsgesetz sieht vor, dass Grundschulkinder ab der ersten Klasse an fünf Werktagen, acht Stunden pro Tag, in der Schule betreut werden müssen, wenn die Eltern es für notwendig halten. Mit dem Gesetz soll eine Betreuungslücke geschlossen werden, die oft entsteht, wenn Kinder eingeschult werden. Deshalb sollen vorerst auch nur Kinder in der ersten Klassenstufe ab August 2026 Anspruch auf eine ganztägige Betreuung erhalten. Nach und nach sollen die anderen Klassenstufen dazukommen, damit ab 2029 jedes Grundschulkind den Anspruch wahrnehmen kann.

 

Kritik an der Umsetzung

 

Kritik kommt nun unter anderem vom familienpolitischen Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Matthias Seestern-Pauly aus Niedersachsen. So lägen auch knapp zwei Jahre nach Verabschiedung des gesetzlichen Ganztagsanspruchs in Niedersachsen nach wie vor weder ein schlüssiges Konzept zur Umsetzung des Rechtsanspruchs noch eine Fördermittelrichtlinie für die Kommunen vor. Viel Zeit bleibe den Schulen nicht mehr, falls noch bauliche Änderungen vorgenommen werden müssten. Kultusministerin Julia Hamburg müsse nun endlich liefern und sowohl den Kommunen als auch Schulen Planungssicherheit geben. Andernfalls riskiere sie ein Scheitern des gesetzlichen Ganztagsanspruchs.

Die Umsetzung des Rechtsanspruchs auf Ganztagsbetreuung im Grundschulalter stelle die Kommunen vor eine große finanzielle und organisatorische Herausforderung, betont auch Dr. Stephan Meyn vom Niedersächsischen Städte- und Gemeindebund. Durch die bislang ausgebliebenen Weichenstellungen herrschte vielerorts lange Zeit Stillstand, sodass der Ausbau etlicher Schulgebäude und andere organisatorische Entscheidungen verzögert seien. Zu dem knappen Zeitfenster komme der anhaltende Fachkräftemangel im pädagogischen Bereich.

Das Land könne die Ganztagsbetreuung nicht in Gänze auf die Kommunen abwälzen. Man erwarte deutliche Signale und Zusagen des Landes, was die Investitions- und Betriebskosten angehe, so Meyn.

 

Probleme in der Region

 

Von einer finanziellen Mammutaufgabe spricht Marc Breitenfeld, Bürgermeister der Gemeinde Gnarrenburg. Ein erheblicher Eigenanteil werde die Haushalte der Gemeinden treffen. „Sowohl die Landkreise als auch die Kommunen benötigen zudem dringend das von der Landesregierung bereits angekündigte Ausführungsgesetz zum Ganztagsförderungsgesetz“, so Breitenfeld. Die rechtlichen Standards für den Betrieb der Ganztagsschulen durch die Landesregierung seien bis heute nicht definiert.

Aktuell laufen mit Unterstützung des Regionales Landesamtes für Schule und Bildung, Architekten und einem Energieberater die Umbauplanungen aller drei Grundschulstandorte in der Gemeinde Gnarrenburg. Der gesamte Prozess zur Umsetzung des Rechtsanspruchs auf Ganztagsbetreuung für Kinder im Grundschulalter sei äußerst komplex und beinhalte zahlreiche Austausch-, Abstimmungs- und Planungsschritte.

Insbesondere der Ausbau von Differenzierungsräumen, die Errichtung von Mensen zur Ausgabe der Mittagessen, aber auch die Erweiterung des Betreuungsangebotes in den Nachmittagsstunden sei eine planerische Herausforderung. Für die Ganztagsschule stelle das Land auf einer Basis von 40 Stunden je Woche (5 Tage/8 Stunden) Lehrerbedarfsstunden bereit. Die auf den Ganztag entfallenden Stunden würden mit Stand heute jedoch nur zu 75 Prozent ausgestattet. Die restliche Zeit müsse anderweitig kompensiert werden. Ausdrücklich nicht umfasst seien zudem Ferienzeiten (12 Wochen), die weiterhin von den Kommunen abzudecken sind und insofern weder rechtlich noch faktisch Teil einer Ganztagsschule werden sollen.

Bremervördes Bürgermeister Michael Hannebacher erwartet, dass die Betriebs- und Investitionskosten für die Umsetzung des Rechtsanspruches durch Bund und Land getragen werden. Die sich abzeichnende Regelungslücke zwischen dem bundesgesetzlichen Rechtsanspruch und der landesgesetzlichen Ausgestaltungsvorgabe dürfe nicht zu Lasten der Kommunen gehen. In den beiden Bremervörder Grundschulen, die in Trägerschaft der Stadt liegen, würden derzeit aufeinander abgestimmte Ganztagskonzepte vorbereitet, sodass bis 2026 die Voraussetzungen für den Ganztagsbetrieb geschaffen werden können, so Hannebacher.

Auch Kim Fürwentsches, Bürgermeister der Gemeinde Lilienthal, geht davon aus, dass der Ganztag an allen Grundschulen bis 2026 eingeführt werden kann. Die Grundschulen Falkenberg, Trupermoor und Worphausen seien bereits an 3 bis 4 Tagen Ganztagsschulen. Die Schroeterschule werde nach Fertigstellung des Neubaus ab dem Schuljahr 2025/2026 Ganztagsschule. Von der Landesregierung fordert Fürwentsches, dass die Rahmenbedingungen hinsichtlich personeller, räumlicher und finanzieller Anforderungen kurzfristig verbindlich festgelegt werden, um Planungssicherheit zu bekommen.

Die Stadt Osterholz-Scharmbeck bietet bereits an allen Grundschulen eine Nachmittagsbetreuung an und geht deshalb davon aus, dass der Rechtsanspruch umzusetzen ist, so Bettina Preißner von der Stadt. Drei von sieben Grundschulen seien bereits Ganztagsgrundschulen, alle anderen sollen sukzessive nach einer mittelfristigen Ausbauplanung nach dem Grundsatzbeschluss des Rates folgen. Die Betreuungsbedarfe seien groß, alleine an der Menckeschule würden z.Z. 80 Kinder am Nachmittag durch den Förderverein betreut. Ähnlich sehe es an der Findorffschule aus, wo der Förderverein 40 Kinder nachmittags betreue. Auch der Bedarf an der Grundschule Sonnentau übersteige jetzt schon die Kapazitäten. „Dank des Engagements der Fördervereine sind wir gut aufgestellt. Es kann nicht sein, dass diese Aufgabe vom Land nicht wahrgenommen wird“, so Preißner.

Fraglich sei, ob die Förderprogramme des Landes langfristig angelegt seien. Dass die finanzielle Ausstattung der Ganztagsschulen auf 75 Prozent begrenzt des festgestellten Bedarfes begrenzt sei, schrecke viele Schulen vor der Entwicklung des Ganztages ab. „Hier müssen wir als Schulträger unterstützen, obwohl es eine Aufgabe des Landes ist. Wir fordern seitens der Kommunen eine 100% Finanzierung und Personalausstattung des Landes.“, so Preißner.

 

Offenes und gebundenes Modell

 

Grundsätzlich wird zwischen zwei verschiedenen Ganztagsschulmodellen - dem offenem und dem gebundenem - unterschieden. Welches Modell zum Tragen kommen soll, entscheidet jede Schule für sich. Bei der gebundenen Ganztagsschule ist die Teilnahme am Ganztagsangebot verpflichtend, Eltern haben also nicht die Möglichkeit, ihre Kinder schon mittags aus der Schule nach Hause kommen zu lassen. Bei der offenen Ganztagsschule können Eltern selbst entscheiden, ob und an wie vielen Tagen in der Woche ihre Kinder nachmittags in der Schule bleiben sollen. Kritiker:innen dieses offenen Konzepts sehen die Ganztagsschule hier lediglich als „Aufbewahrungsstätte“ für bestimmte Kinder. Die Gemeinschaft der Schüler:innen untereinander sei nicht mehr gewährleistet, da manche Kinder bereits mittags nach Hause gehen könnten - und andere eben nicht.


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