Lena Stehr

Kommentar: Das „Aufholpaket“ hilft den Abgehängten nicht

Die geplante einmalige Finanzspritze für durch die Pandemie abgehängte Kinder und Jugendliche ist völlig unzureichend.
Bezüglich Bildung haben die Regierenden mehr als ein Brett vorm Kopf (Bild: I. Bernhard, 1981, wiki commons)

Bezüglich Bildung haben die Regierenden mehr als ein Brett vorm Kopf (Bild: I. Bernhard, 1981, wiki commons)

Ein zwei Milliarden Euro schweres „Aufholpaket“ für Kinder und Jugendliche hat die Bundesregierung geschnürt, um die Folgen der Corona-Pandemie abzufedern. Mit dem Geld sollen insbesondere Nachhilfe- und Förderprogramme sowie soziale Projekte und Ferienfahrten gefördert werden, heißt es.
Das Deutsche Kinderhilfswerk kritisiert die geplante einmalige Finanzspritze als völlig unzureichend - zu Recht. Pro Kind werden tatsächlich weniger als 150 Euro in die Hand genommen - nicht mehr als ein Sprühstoß auf einen völlig überhitzten Stein.
Mit einer Ferienfahrt oder einem Lerncamp in den Sommerferien können nicht die Defizite ausgeglichen werden, die bei vielen Kindern schon vor der Pandemie vorhanden waren und die insbesondere daher rühren, dass die Regierung über Jahre das öffentliche Bildungssystem grob vernachlässigt und erst recht nicht reformiert hat.
Viel zu wenig Personal an Kitas und Schulen (vor allem im Bereich Sozialarbeit), viel zu große Klassen und häufig hinterwäldlerische digitale Strukturen sind keine Folge der Pandemie, aber entscheidende Faktoren dafür, dass viele Kinder und Jugendliche weit abgehängt sind. Corona hat diese Probleme nur knallhart offengelegt und weiter verschärft.
Ebenfalls verschärft durch Corona leiden auch immer mehr Kinder und Jugendliche an psychischen Störungen und unter Ängsten, sind unmotiviert, depressiv, aggressiv, übergewichtig und haben einen Mangel an sozialen Kontakten.
Anstatt jetzt zu versuchen, ihnen versäumte Lernstoffe mit viel Druck in kurzer Zeit einzutrichtern und ihnen damit auch noch freie Zeit zu stehlen, sollte ihnen individuell angemessene pädagogische und psychologische Hilfe und Betreuung zukommen - und zwar niedrigschwellig und kostenlos. Und so, dass nicht nur privilegierte Kinder von gut informierten, gut vernetzten und gut verdienenden Eltern davon profitieren.
Es müssten deutlich mehr Sport-, Bewegungs- und Kreativangebote gemacht, soziale Kontakte ermöglicht sowie Kinder- und Jugendhilfestrukturen ausgebaut werden - und zwar langfristig und nachhaltig und so, dass diese auch während einer Pandemie weiter genutzt werden können. Es darf nicht noch einmal passieren, dass Familien von heute auf morgen mit Kinderbetreuung und Homeschooling allein gelassen werden und manche Kinder deshalb teilweise über Monate auf keinem Radar mehr auftauchen und in eine womöglich gefährliche Isolation abtauchen.
Die psychischen Schäden, die durch Corona in vielen Familien entstanden sind, müssen sichtbar gemacht, besprochen und verarbeitet werden. Auch damit dürfen die Familien nicht allein gelassen werden. Es muss ausreichend und einfach zugängliche Therapieplätze sowie Gesprächs- und Beratungsangebote für alle geben, unabhängig vom Kontostand und insbesondere in sozial benachteiligten Gegenden. Was das angeht, haben nicht die Kinder und Jugendlichen, sondern in erster Linie die Verantwortlichen der Regierung noch einiges aufzuholen.


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