Lena Stehr

Die in die Röhre gucken

Im Zuge der Haushaltsplanungen wird auf Bundesebene über die Abschaffung der sogenannten Mütterrente diskutiert. Dieser Vorstoß stößt in der Region auf große Ablehnung.

Schon jetzt müssen viele Rentnerinnen jeden Cent zweimal umdrehen.

Schon jetzt müssen viele Rentnerinnen jeden Cent zweimal umdrehen.

Bild: Adobestock

Woher sollen die fehlenden Milliarden im Bundeshaushalt kommen? Wenn es nach Bundeskanzler Scholz (SPD) und seinen beiden Ministern Robert Habeck (Grüne) und Christian Lindner (FDP) geht, soll zum einen der Druck auf Bürgergeldbeziehende erhöht werden (siehe unsere Titelgeschichte vom 10. August). Insbesondere Finanzminister Lindner will im Sozialetat Kürzungen vornehmen und plant deshalb zum anderen die Abschaffung der sogenannten Mütterrente.

 

Neun Millionen Frauen profitieren von Mütterrente

Eine aktuelle Studie der Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) hat nun die Folgen einer möglichen Abschaffung der Mütterrente berechnet, die 2014 von der damaligen Koalition aus CDU und SPD eingeführt wurde und Frauen zugutekommt, die vor 1992 Kinder geboren haben.

Laut DIW profitierten fast neun Millionen Rentnerinnen im Jahr 2022 von der Mütterrente (86,5 Prozent aller Frauen über 65 Jahre). Ganz konkret bessere die Mütterrente die Renten der Betroffenen um rund 107 Euro pro Monat (brutto) auf.

Dass nun ausgerechnet die Frauen, die unter anderem aufgrund mangelnder Betreuungsangebote, der damaligen Rollenverteilung und fehlender Arbeitsangebote keine Möglichkeit hatten, Beruf und Familie miteinander zu vereinbaren, die Lücke im Bundeshaushalt mitstopfen sollen, stößt auf viel Unverständnis und Empörung.

 

„Für viele Frauen zählt jeder Euro“

„Die Abschaffung der Mütterrente würde Frauen, die dazu auch noch verwitwet, geschieden oder ledig sind, besonders hart treffen, da ein Wegfall der Mütterrente nicht durch die Einkünfte eines Partners gesichert wird. Viele Frauen sind auf die Mütterrente angewiesen, denn für viele zählt jeder Euro“, sagt zum Beispiel Andrea Vogelsang, Gleichstellungsbeauftragte der Gemeinde Ritterhude.

Auch die beiden Niedersächsischen LandFrauenverbände Hannover (NLV) und Weser-Ems (NLF Weser-Ems) lehnen entschieden die Abschaffung der Mütterrente ab, da die Mütterrente „ein unverzichtbarer Bestandteil unserer sozialen Absicherung und ein Zeichen der Wertschätzung für die Lebensleistung von rund neun Millionen Frauen“ sei. Ihre Abschaffung würde nicht nur deren finanzielle Belastung erhöhen, sondern auch die soziale Gerechtigkeit im Land gefährden.

 

Keine Rolle rückwärts auf Kosten der Mütter

„Die Regierung soll bitte keine Rolle rückwärts auf Kosten unserer Mütter machen“, meint auch Vanessa-Kim Zobel. Die Ortsbürgermeisterin von Mehedorf sowie stellvertretende Bürgermeisterin von Bremervörde, die für die CDU in den Bundestag einziehen möchte (der Anzeiger berichtete) hält es für absolut falsch, Frauen finanziell dafür zu bestrafen, dass sie sich als Mütter um die Familie gekümmert haben. „Diese Frauen, zu denen auch meine Mutter gehört, brauchen Anerkennung und Verlässlichkeit“, sagt Zobel.

Ähnlich sieht das auch Dörte Gedat, Fraktionsvorsitzende GRÜNE/UWG im Kreistag Osterholz und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Gemeinderat Schwanewede. Die Mütterrente erkenne die unentgeltliche Arbeit von Frauen in der Kindererziehung in der Rente an und das sei gut so.

Ein Wegfall der Mütterrente würde insbesondere Einkommen der unteren Einkommensgruppen anteilig stark belasten, sagt Miriam Bömer vom Deutschen Gewerkschaftsbund Region Bremen-Elbe-Weser. Das Armutsrisiko älterer Frauen würde um 14,4 Prozent und der Gender Pension Gap um mehr als 20 Prozent steigen, wenn die Mütterrente wegfallen sollte, die soziale Schere würde sich weiter vergrößern. Die Studie des DIW zeige, dass die Bruttorenten der Rentnerinnen um durchschnittlich 85 Euro pro Monat sinken würden und die Einbußen vor allem bei Frauen mit drei oder mehr Kindern groß seien.

 

Frauenerwerbstätigkeit erhöhen

Statt die Mütterrente rückgängig zu machen, sollten Maßnahmen für höhere Frauenerwerbstätigkeit ergriffen werden, um langfristig Altersarmut vorzubeugen, so Bömer. Mit der Zahl der Arbeitnehmer:innen in Deutschland steige die Zahl der Beitragszahler:innen in das Rentensystem. Hier gebe es ungenutztes Potenzial: etwa bei Frauen in Teilzeit oder Menschen, die passende Aus- und Weiterbildung benötigen. Damit Frauen auskömmlich arbeiten und sich selbstständig und unabhängig finanzieren können, sei vor allem eine verlässliche Kinderbetreuung entscheidend.

Ebenso wichtig sei es, bezahlte Erwerbs- und unbezahlte Sorge- und Hausarbeit zwischen Frauen und Männern umzuverteilen, z. B. durch Einführung der Familienstartzeit, den Ausbau der nicht übertragbaren Elterngeldmonate sowie eine Entgeltersatzleistung für Erwerbstätige, die ihre Arbeitszeit für Pflege reduzieren.

„Auch brauchen wir gute Arbeitsbedingungen, damit möglichst viele Menschen überhaupt bis zur Rente arbeiten können, statt vorher krank auszuscheiden. Hier stehen vor allem die Unternehmen in der Pflicht, endlich besser für ihre Beschäftigten zu sorgen“, sagt Miriam Bömer.

 

Ehegattensplitting reformieren

Die LandFrauenverbände Hannover (NLV) und Weser-Ems (NLF Weser-Ems), Angela Vogelsang und Dörte Gedat fordern zudem eine Reform des Ehegattensplittings und der Minijobs.

„Für mich ist das Ehegattensplitting nicht mehr zeitgemäß und entspricht auch nicht dem Gebot des Gleichberechtigungssatzes“, sagt Vogelsang. Eine Abschaffung des Ehegattensplittings würde die Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern auf dem Arbeitsmarkt reduzieren. Die Idee zum Schutz der Ehe sei zu einer Zeit entstanden, in der man zwischen Ehe und Familie nicht differenziert habe. Die Realität heute sei aber eine andere. Denn viele Kinder würden gar nicht in Ehen aufgezogen. Und das Ehegattensplitting entlaste keine Familien, sondern Ehepaare. Und dann auch nur die Ehetypen, in denen ein Einkommensgefälle besteht. Und gerade Minijobs seien oft noch Armutsfallen für Frauen, ergänzt Dörte Gedat.

Vannesa Kim Zobel hält das Ehegattensplitting hingegen für erhaltenswert. Die Ehe sei immer noch ein „tolles Konstrukt“. Und im Falle einer Scheidung würden ja auch Rentenpunkte des Mannes an die Frauen übertragen und Unterhaltszahlungen geleistet. Richtig findet Zobel aber, dass die Steuerklassen 3 und 5 abgeschafft werden sollen. Dies sei ein Anreiz für Frauen, mehr zu arbeiten und sich hoffentlich gegen Minijobs zu entscheiden, so Zobel.

Im Zuge der Wachstumsinitiative der Ampel-Regierung sollen Frauen durch die Abschaffung der Steuerklassen 3 und 5 zu mehr Arbeit bewegt werden, genauso wie durch die Einführung einer Prämie für Teilzeitbeschäftigte, die ihre Arbeitszeit erhöhen.


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