Jörg Monsees

Die Auferstehung Europas?

(jm). Plötzlich sind sich alle einig: Auf den Krieg in der Ukraine reagiert Europa mit einer nie da gewesenen Geschlossenheit. Ob der Konflikt der europäischen Idee nachhaltigen Aufwind gibt und die EU ihre Haltung gegenüber Autokratien ändert, bleibt jedoch abzuwarten.

Bild: Foto: wiki commons

Frieden auf dem eigenen Kontinent war das wichtigste Ziel der europäischen Bewegung - heute steht es wieder im Mittelpunkt. Marcus Oberstedt ist Vorsitzender des Kreisverbandes der Europa Union. Der überparteiliche Verein setzt sich seit seiner Gründung 1946 für die europäische Einigung ein. Er sehe durchaus die Chance, dass die europäischen Staaten infolge des Angriffs auf die Ukraine zusammenrücken, sagt Oberstedt.
 
„Wir finanzieren diesen Krieg“
 
Zunächst sei es jedoch wichtig, gemeinsam etwas zu unternehmen, um die Gewalt zu beenden. „Wir sollten zweigleisig fahren“, meint Oberstedt. „Kommunikation ist auch jetzt noch wichtig.“ Im ersten Schritt gehe es darum, einen Waffenstillstand zu erreichen und den Menschen aus den umkämpften Gebieten die Flucht zu ermöglichen. Deshalb begrüße er auch die Telefonate und persönliche Treffen europäischer Staatschefs mit Putin, sagt Oberstedt. „Er ist natürlich ein Kriegsverbrecher, aber wir dürfen jetzt nicht den Fehler machen, alle Kanäle zu kappen.“
Das schließe auf der anderen Seite nicht aus, harte Druckmittel anzuwenden, so Oberstedt weiter. Er befürworte auch ein Embargo auf fossile Energiequellen aus Russland. „Uns muss klar sein: Wir finanzieren diesen Krieg mit. Deshalb dürfen wir nicht weiter Gas und Öl aus Russland importieren, auch wenn das für uns große Nachteile hat.“ Besonders Deutschland als bevölkerungsreiches Land mit starker Industrie würde davon hart getroffen. Auch deshalb bremse die Bundesregierung härtere Maßnahmen bisher aus. „Wir sollten es trotzdem machen“, findet Oberstedt.
 
„Er dachte, wir zerfetzen uns gegenseitig“
 
Allgemein seien die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union nach Ausbruch des Krieges jedoch sehr geschlossen aufgetreten. „Das haben wir in anderen Krisen so noch nicht erlebt“, sagt Oberstedt und nennt die Sanktionen, die Hilfen für die Ukraine und die Aufnahme von Flüchtlingen als Beispiele. „Das hat Putin falsch eingeschätzt. Er hat gedacht, wir zerfetzen uns gegenseitig wie in anderen Krisen. Ich bin froh, dass die EU sich diesmal so geschlossen zeigt.“ Ob es langfristig dabei bleibt? „Ich sehe da durchaus Chancen.“
Für ein geeintes - und handlungsfähiges - Europa sei es notwendig, weitere Mehrheitsentscheidungen im Europäischen Rat zu ermöglichen. Dazu wiederum brauche es einen Bewusstseinswandel, auch in Deutschland. „Wir müssen erkennen, dass es richtig ist, Befugnisse an die EU abzugeben und ihre Entscheidungen dann auch zu akzeptieren“, sagt Oberstedt. Die Europa Union fordert seit Jahren vetofreie Entscheidungsmechanismen - jüngst vor allem im Bereich der gemeinsamen Sicherheits- und Außenpolitik - statt Einstimmigkeitsprinzip. „Das bedeutet aber auch, dass wir uns alle einstimmig zu diesem Schritt entschließen müssen“, erklärt Oberstedt das Dilemma. Dafür in der Öffentlichkeit zu werben und die Bürger:innen zu informieren sei Aufgabe der Europa Union.
Für die weitere Entwicklung der EU sei auch das Ergebnis der Präsidentschaftswahl in Frankreich entscheidend. „Es wäre schon wichtig, dass dort ein pro-europäischer Präsident regiert“, sagt Oberstedt. Ein Sieg von Marine Le Pen wäre eine „mittelschwere Katastrophe, aber nicht der Untergang des Abendlandes. Sollte es so kommen, wird auch nicht am nächsten Tag die EU aufgelöst.“
 
Gesprächsbereit bleiben
 
„In Putin haben wir uns alle getäuscht“, kommentiert Oberstedt die europäische und deutsche Außenpolitik der letzten Jahre. Den russischen Präsidenten nach der Annexion der Krim weiter zu hofieren, sei rückblickend ein schwerer Fehler gewesen. Autoritären Staaten von vornherein mit „harter Hand“ zu begegnen, hält Oberstedt jedoch nach wie vor nicht für den richtigen Weg. „Wir müssen dialogfähig bleiben. Machen wir uns nichts vor: Freie Demokratien wie die in der Europäischen Union sind weltweit in der Minderheit. Wir können nicht nur Beziehungen zu Staaten unterhalten, die ähnliche Werte vertreten wie wir.“ Mit Funkstille könne man der Bevölkerung in autokratisch regierten Staaten auch nicht helfen. „Dabei gibt es natürlich rote Linien wie zum Beispiel einen Angriffskrieg.“
Auch wenn Entspannungspolitik und Dialog bei Putin fehl am Platz gewesen sei, solle Russland „in die Sicherheitsarchitektur des europäischen Hauses eingebunden“ werden, findet Oberstedt. Europa solle gesprächsbereit sein - wenn Russland eine neue Führung hat.


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