Lena Stehr & Patrick Viol

Bundeswahnsinnsspiele

Ab diesem Schuljahr werden in den Klassenstufen 1 bis 4 die Bundesjugendspiele nur noch als Wettbewerb durchgeführt. Die Reaktionen sind gespalten, auch vor Ort

Nicht nur Runden auf der Tartanbahn, auch ein Reförmchen
des Sportunterrichts erhitzt die Deutschen.

Nicht nur Runden auf der Tartanbahn, auch ein Reförmchen des Sportunterrichts erhitzt die Deutschen.

Bild: Alex Wang

Jetzt, da die Reform der Bundesjugendspiele zum ersten Mal praktisch wird, überschlagen sich die Reaktionen in Politik, Medien aber auch in Familien- und Freundeskreisen.

Da gibt es jene, die in der Reform den Kuschelpädagogik induzierten Untergang der Leistungsgesellschaft befürchten, wie die FDP zum Beispiel. Bundesfinanzminister Christian Lindner hält die Regeländerung bei den Bundesjugendspielen für „symptomatisch“, „kein Segen“ liege „auf dieser gesellschaftspolitischen Entwicklung.“ Wie sollen die Kinder nur den Wert von Konkurrenz schätzen lernen, wenn ihre Leistung in der gesamten Grundschulzeit insgesamt vier mal nicht genau auf den Zentimeter ausgemessen wird - diese Frage scheint Lindner zu umtreiben.

Und in der „Welt“ fühlt sich Lutz Wöckener dazu berufen, sich direkt an die Drittklässler zu wenden: „Liebe Drittklässler“ schreibt er, „Ihr werdet die ersten sein, denen in der Schule das Recht auf sportlichen Wettkampf genommen wird.“

Sein Tenor: Die da oben vergehen sich an der Natur von Kindern. Für sie sei es „natürlich“, immer, „überall und aus allem einen Wettkampf“ zu machen. Dadurch lernt man Gewinnen und Verlieren, Respekt, Zielstrebigkeit und Ehrgeiz. „Sport und Wettkampf sind eine wunderbare Schule. Für das Leben.“ Die wurde nun zerstört.

Aber die andere Seite, die die Änderung befürwortet, hält sich mit Übertreibungen auch nicht zurück. taz-Redakteurin Eiken Bruhn hält die Bundesjugendspiele in der alten Form für eine „Demütigung aller“, für sie waren sie ein „traumatisches Ereignis“.

 

Die Reform

 

Trauma Tartanbahn oder Untergang der Leistungsgesellschaft - darunter scheint es nicht zu gehen. Dabei hat sich gar nicht so viel geändert und bei vielen kritischen Kommentaren zur Reform - die in den Zeitungen ausschließlich von Männern geäußert werden - erhärtet sich der Eindruck, so richtig verstanden haben sie die Reform nicht. Von daher hier der Einblick.

Die Motivation der Änderungen der Bundesjugendspiele für Kinder im Grundschulalter von Klasse 1 bis 4 sei, Spaß und Motivation am Sporttreiben zu erhöhen. Dabei wird aber nicht auf Vergleiche verzichtet. Sie werden lediglich als Wettbewerb veranstaltet. Darunter verstehen die Mitglieder des Ausschusses für Bundesjugendspiele einen „alters- sowie entwicklungsgemäßen und damit am Kind orientierten Vielseitigkeitswettbewerb in einer der drei Sportarten“ Leichtathletik, Schwimmen, Turnen. Dabei werden „nicht-normierte Übungen“ ausgetragen. Das heißt es wird nicht das einzelne Ergebnis gemessen, sondern - am Beispiel Weitsprung - in welchem vorher fest gelegten Bereich ein Kind gelandet ist. Das wird dann in Punkte umgerechnet. So ändert sich am Grundsatz wenig: Nach dem Wettbewerb gibt es gute und weniger gute Schüler:innen, die - je nach Leistung - ihre Teilnahmeurkunde, Siegerurkunde oder Ehrenurkunde erhalten - viel Rauch um nichts, wie es scheint.

 

„Vollkommene Fehlentwicklung“

 

Oder doch nicht? Die Reaktionen vor Ort fallen unterschiedlich aus. So hält Britta Kleinwächter, Fachlehrerin Sport an der Grundschule Engeo in Bremervörde, „gar nichts“ von der Neuausrichtung der Bundesjugendspiele und spricht von einer „vollkommenen Fehlentwicklung und Fehleinschätzung der Verursacher.“ Das Austragen eines Spaßwettbewerbes habe nichts mit Sport zu tun. Sport sei immer ein Wettkampf, egal in welcher Disziplin. Schließlich würden auch im Sportunterricht - unbeeindruckt von irgendwelchen drolligen Wettbewerben - mit den Kindern die Übungen in der Leichtathletik geübt und natürlich auch gemessen, sagt Britta Kleinwächter. Es interessiere fast alle Kinder, wie schnell oder wie weit sie eine Übung absolviert haben. Zudem würden die Kinder wissen wollen, ob sie sich verbessert haben und es liege - insbesondere in dieser Altersklasse - in der „Natur der Kinder, sich im Wettkampf zu messen.“

Der Wettkampftag der Bundesjugendspiele sei immer ein sehr schöner Tag für die Schüler:innen, so die Sportlehrerin. Vor allem Kinder, die in den anderen meist kognitiven Fächern immer im Hintergrund stünden, könnten an so einem Tag einmal ganz oben stehen und ihr Selbstbewusstsein dadurch enorm steigern.

 

„Weiterhin ein Leistungsvergleich“

 

Thomas Schröder, Schulleiter und Sportlehrer an der Grundschule Klenkendorfer Mühle in Gnarrenburg, betrachtet die ganze Sache etwas nüchterner. Zunächst habe ihn die Berichterstattung in den Medien dazu verleitet, sich ebenfalls über die Neuausrichtung der Bundesjugendspiele aufzuregen - nachdem er sich aber genau informiert habe, komme er zu dem Schluss, dass sich gar nicht so viel geändert habe. Es finde weiterhin ein Leistungsvergleich statt - vieles sei aber nun kindgerechter. Für ihn mache es keinen großen Unterschied, ob in Zonen oder Zentimetern gemessen werde, sagt Thomas Schröder.

Auch er ist der Meinung, dass Sport mehr Spaß macht, wenn man sich vergleichen kann. Kinder könnten beim Sport zudem lernen, mit Niederlagen umzugehen und begreifen, dass man sich anstrengen und hart arbeiten muss, um etwas zu erreichen. Aufgabe der Lehrkräfte sei dabei, sensibel mit den Kindern umzugehen, darauf zu achten, dass niemand ausgegrenzt werde und dass soziale Kompetenzen und Fair Play gefördert sowie die Anstrengungen und Entwicklungen der Kinder berücksichtigt würden. All dies spiegele sich am Ende auch in der Sportnote wieder, so Schröder, der derzeit der einzige ausgebildete Sportlehrer an seiner Schule ist.

So ist es in Anbetracht der wirklichen Reform schon ironisch, dass jene, die ihretwegen einen Verlust von Fair Play und Respekt fürchten, nicht einmal den Gegenstand ihrer Kritik kennen. Denn das wäre fair gewesen.


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