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In unruhiger Gesellschaft

Die Gewaltbereitschaft ist im Jahr 2023 gestiegen. Auch an Schulen. Die Innenministerin sieht Notwendigkeit zur Zusammenarbeit mit dem Kultusministerium.

Mehr Gewalt in Niedersachsen

Mehr Gewalt in Niedersachsen

Bild: Adobestock

Niedersachsen. Seit dem historischen Tiefstand im Jahr 2021 nimmt die Zahl der Straftaten bundesweit wieder zu. In Niedersachsen zählt die Polizei für 2023 insgesamt 553.202 Fälle - ein Anstieg von rund 5,6 % im Vergleich zum Vorjahr. Etwas weniger als ein Viertel wird nach Angaben der Polizei zur Anzeige gebracht. Die Aufklärungsquote gibt die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) mit 62,5 % an, sie ist damit leicht gestiegen.

 

Höchststand in Rotenburg

 

Im Landkreis Rotenburg (Wümme) sind die Fallzahlen um 12,7 % gestiegen und haben den höchsten Stand seit zehn Jahren erreicht. „Die gefühlten Eindrücke an Bearbeitungsvolumen und Belastung für die einzelnen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden durch die jüngste Veröffentlichung unserer Kriminalstatistik leider bestätigt“, sagt Jörg Wesemann, Leiter der Polizeiinspektion Rotenburg. „Wir müssen unbedingt am Ball bleiben, um diese Entwicklungen wieder einzufangen.“ Mit 10.411 registrierten Straftaten zählt der Landkreis Rotenburg - gemessen am sogenannten Häufigkeitsindex - allerdings immer noch zu den sichersten Regionen in Niedersachsen. Der Häufigkeitsindex misst die Straftaten pro 100.000 Einwohner und liegt in Rotenburg bei 6.212.

 

Osterholz trotzt dem Landestrend

 

Im Landkreis Osterholz gibt die Polizei den Häufigkeitsindex mit 4.177 an. Er liegt damit weit unter dem Landesdurchschnitt (6.796). Zudem sind die Zahlen im Landkreis Osterholz rückläufig: 2023 wurden 6,1 % weniger Straftaten registriert als im Vorjahr. Im Bereich der Rohheits- und Gewaltdelikte sind die Fallzahlen jedoch auch in Osterholz gestiegen. 631 Körperverletzungen (2022: 580) waren im letzten Jahr zu verzeichnen. Das entspricht einer Steigerung um 8,7 %. Etwa ein Viertel davon wurde von alkoholisierten Tätern begangen. Die einfache Körperverletzung zählt nicht zu den Gewaltdelikten, von denen im Landkreis Osterholz 242 gezählt wurden. Einen leichten Anstieg gab es bei den Raubtaten, Messerangriffe hingegen wurden 2023 fast 11 % weniger verübt, als im Vorjahr.

 

Deutlich mehr tatverdächtige Kinder

 

In der Landesstatistik finden sich 3.048 Messerangriffe. Diese Delikte werden seit 2020 gesondert aufgeführt, weil sie das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung besonders beeinträchtigen. Die Fallzahl ist um 8,7 Prozent gestiegen, der Anstieg fällt damit stärker aus als der der Gesamtkriminalität. Unter Jugendlichen und Heranwachsenden (bis 21 Jahre) ist die Zahl der Tatverdächtigen noch stärker angestiegen (12 bzw. 18 Prozent). Bedrohungen mit einem Messer machen dabei ungefähr die Hälfte der bekannten Fälle aus.

Insgesamt wurden mehr Kinder und Jugendliche als Tatverdächtige identifiziert, als in den Jahren vor der Pandemie. Um 9,7 Prozent ist die Zahl der Fälle, in denen junge Menschen unter 21 Jahren als Beschuldigte ermittelt wurden, im letzten Jahr gestiegen. Die Zahl der tatverdächtigen Kinder unter 14 Jahren hat sogar den höchsten Wert in den letzten zehn Jahren erreicht. Entsprechend wurden auch mehr Fälle in den Schulen gezählt. Diese Steigerung machen vor allem Kinder unter 14 Jahren aus, bei den Jugendlichen und Heranwachsenden liegen die Fallzahlen im Schulkontext nach wie vor unter dem Niveau von 2019.

Einen nicht unerheblichen Teil der Kinder- und Jugendkriminalität machen Verbreitung und Besitz pornografischer Inhalte aus. In diesem Bereich wird das bisher große Dunkelfeld durch neue Meldemechanismen zunehmend aufgehellt und die registrierten Fallzahlen steigen enorm. Kinder und Jugendliche machen sich selbst strafbar, wenn sie kinder- oder jugendpornografisches Material über Messengerdienste weiterleiten oder besitzen. Minderjährigen haben hier einen Anteil von über 40 % der Tatverdächtigen. Aktuell kann auch der ungewollte Besitz von Kinderpornografie, etwa durch einen automatischen Download über einen Messenger, strafbar sein. Eine Gesetzesänderung ist geplant.

 

Migration und Kriminalität

 

Die Anzahl nichtdeutscher Tatverdächtiger ist in Niedersachsen um 15,5 % gestiegen. Daten des Bundeskriminalamtes zu Gewaltdelikten zeigen für das erste Halbjahr 2023 einen Anstieg um 23 %, bei minderjährigen Nichtdeutschen sogar 37 %. Die Ermittler weisen jedoch daraufhin, dass der Anteil Nichtdeutscher an der Bevölkerung durch Migration in den letzten Jahren erheblich zugenommen hat. Setzt man die Zahlen ins Verhältnis zum Anteil an der Gesamtbevölkerung, sehen die Werte anders aus: Deutsche Täter haben demnach im ersten Halbjahr 8 % mehr Gewaltdelikte verübt, Nichtdeutsche 9 %. Bei Minderjährigen haben beide Gruppen 12 % mehr Taten begangen.

 

„Niedersachsen bleibt sicher“

 

„Wir haben eine unruhige Gesellschaft, das merkt man auch in der Kriminalstatistik“, kommentiert Niedersachsens Innenministerin Daniela Behrens (SPD) die Zunahme der Gewaltbereitschaft. Bei den Kindern und Jugendlichen spielten Corona-Nachholeffekte eine Rolle, insgesamt sei die Zunahme der Kriminalität auf wirtschaftliche und soziale Belastungen zurückzuführen. Die Mobilität der Bevölkerung habe wieder zugenommen und somit mehr Tatgelegenheiten geschaffen. Geflüchtete seien besonderen Risikofaktoren für Gewaltkriminalität ausgesetzt. Dazu gehören die Lebenssituation in Erstaufnahmeeinrichtungen sowie wirtschaftliche Unsicherheit und Gewalterfahrungen.

Insgesamt bewertet die Innenministerin die Sicherheitslage aber nach wie vor als gut: „Niedersachsen ist und bleibt ein sicheres Bundesland“, sagt Behrens und verweist auf die hohe Aufklärungsquote. Um der Kinder- und Jugendkriminalität entgegenzuwirken, sei effektive Prävention wichtig. „Die aggressive Grundstimmung, die wir in der Gesellschaft haben, merkt man auch in der Schule“, sagt die Ministerin. Sie habe dem Kultusministerium angeboten, gemeinsam Konzepte zu erarbeiten. Die Polizei allein könne das Problem nicht lösen.

 

„Mehr Technik ist nicht die Lösung“

 

Die CDU übt derweil Kritik an Behrens. Der innenpolitische Sprecher der Landtagsfraktion André Bock findet insbesondere Messerdelikte von nichtdeutschen Tätern, die gleichbleibend hohen Fallzahlen von Gewalt gegen Einsatzkräfte und die Zunahme der Kinder- und Jugendpornografie besorgniserregend. „Waffenverbotszonen allein reichen nicht aus. Die CDU-Fraktion fordert stattdessen den verstärkten Einsatz von Formen intelligenter Videoüberwachung in öffentlichen kriminalitätsbelasteten Räumen“, so Bock. Er fordert weiterhin die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung, um Kinderpornografie zu bekämpfen sowie den Einsatz von Bodycams für Feuerwehr und Rettungskräfte.

Behrens hält an ihren Plänen für Waffenverbotszonen fest. Die Kommunen könnten schon jetzt Videoüberwachung in bestimmten Bereichen einsetzen, Bodycams seien bei der Polizei ebenfalls bereits vereinzelt im Einsatz. „Mehr Technik ist nicht die Lösung“, entgegnet die Innenministerin auf die Forderungen der Union.


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