Lena Stehr

Tropfen auf den heißen Stein

„Mental Health Coaches“ kümmern sich seit Schuljahresbeginn an 100 Schulen in Deutschland um die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen. Doch das reicht längst nicht aus.

Es braucht an mehr als 100 Schulen  Mental Health Coaches

Es braucht an mehr als 100 Schulen Mental Health Coaches

Bild: Wavebreak Media LTD

Unter dem Motto „Sagen was ist - tun was hilft“ ist zu Beginn des Schuljahres ein bundesweites Modellprogramm mit sogenannten Mental Health Coaches an rund 100 Schulen (von ca. 32.000) in allen 16 Bundesländern gestartet. Ziel ist, Kinder und Jugendliche zu ermutigen, sich bei psychischen Problemen Hilfe zu suchen und ihre mentale Gesundheit zu stärken.

An Schulen ab der Sekundarstufe I werden dafür Fachkräfte aus den Bereichen Sozialpädagogik, Sozialarbeit und Psychologie eingesetzt. Für die Umsetzung stehen im Haushaltsjahr 2023 bis zu zehn Millionen Euro zur Verfügung.

 

Angebote reichen nicht aus

 

Dass der Bedarf da ist und die bestehenden Angebote nicht annähernd ausreichen, bestätigt Andreas von Glahn, Vorsitzender des Bremervörder Tandem-Vereins. Gemeinsam mit dem Diplom-Psychologen Henner Spierling ist er Ansprechpartner für das Präventionsprogramm „Verrückt? Na und! Seelisch fit in der Schule“, das in Kooperation mit dem Rotenburger Ratsgymnasium und dem Bündnis gegen Depression im Landkreis Rotenburg nach der Corona-Pandemie an den Start ging.

„Die Nachfrage ist so groß und wir haben so viel zu tun, dass wir momentan Schulen, die an uns herantreten, leider absagen müssen“, sagt von Glahn. Er begrüße daher das bundesweite Modellprojekt, hoffe aber auch, dass es bald mehr als nur 100 Mental Health Coaches für die rund 8,4 Millionen Schüler:innen in ganz Deutschland sein werden. Es sei sinnvoll, das Thema in die Schulen zu bringen, da die meisten psychischen Erkrankungen im Schulalter auftreten, sagt von Glahn. Zudem sei die Schule der richtige Ort, weil es im häuslichen Umfeld der Kinder und Jugendlichen keine Chancengleichheit gebe.

Dass der Bedarf an Hilfsangeboten für Schüler:innen steigt und dass es - befeuert durch die Corona-Pandemie - immer mehr Kinder und Jugendliche gibt, deren mentale Gesundheit angegriffen ist, bestätigen auch die Verantwortlichen von Schulen aus der Region.

„Die Angebote reichen leider nicht aus, um den Bedarf zu decken“, sagt Karin Bunsas, Leiterin des Gymnasiums Osterholz-Scharmbeck. „Wir können z.B. ein Berufscoaching durch die Bundesjugendagentur für Arbeit anbieten, jedoch leider keinen Health Coach. Präventiv wäre es wünschenswert, wenigstens einige Stunden eine Jugendsozialarbeiterkraft im Hause zu haben oder den regelmäßigen Besuch eines Schulpsychologen“, so Bunsas. An der Schule gebe es eine Beratungslehrerin und eine zweite, die gerade eine Ausbildung absolviert. Zudem würden ein individuelles und gruppenspezifisches Lerncoaching sowie Mediationen angeboten.

 

Keine Transparenz im Verfahren

 

Bunsas begrüßt die Idee der „Mental Health Coaches“, kritisiert aber, dass es weder Transparenz im Verfahren gab, welche Schulen an dem Pilotprojekt teilnehmen können noch wie die Umsetzung erfolgen solle.

An der Integrierten Gesamtschule Osterholz-Scharmbeck ist das Thema ebenfalls dauerpräsent, die psychische Belastung der Schüler:innen habe sich deutlich gesteigert, sagt der didaktische Leiter Andre Schlenker. Es gebe bereits einzelne Angebote von engagierten Lehrkräften, die sich individuell oder in Kleingruppen um Schüler:innen kümmern und Lösungsmöglichkeiten für ihre Probleme erarbeiten sowie Workshops zum Umgang mit Stress. Auch Entspannungsübungen wie Yoga würden angeboten, allerdings seien die dafür zur Verfügung stehenden Stunden äußerst begrenzt. Und obwohl auch eine Diplom-Psychologin und Erziehungs- und Familienberaterin sowie ein Schulsozialarbeiter vor Ort unterstützen, müsse man „feststellen, dass die Thematisierung psychischer Gesundheit im Unterrichtsalltag nicht in dem Maße erfolgt, wie es wünschenswert wäre. Der Bedarf an Hilfsangeboten für unsere Schüler:innen ist deutlich gestiegen, aber die verfügbaren lokalen und regionalen Angebote sind begrenzt“, so Schlenker.

 

Monatelange Wartezeiten

 

Eine Fortbildung zum Mental Health Coach absolvieren derzeit zwei Sozialpädagogische Fachkräfte der Integrierten Gesamtschule Lilienthal. Die Schule sei bei psychischen Problemen häufig erste Ansprechpartnerin, sagt der Sozialpädagoge Andreas Kostian. Man höre zu und unterstütze die Schüler:innen sowie die Eltern, aber die Weiterleitung an Therapeutinnen, Psychologinnen und Psychiaterinnen gestalte sich schwierig, da es wenig Kapazitäten gebe und häufig mit monatelangen Wartezeiten zu rechnen sei.

Jakok Lohse von der Oberschule an der Julius-Brecht-Allee in Bremen fordert für jede Schule eine Gesundheitsfachkraft. Ob es dazu kommt und das Modellprojekt ausgeweitet wird oder ob am Ende doch nicht genug Geld für die mentale Gesundheit von Kindern und Jugendlichen übrig ist, bleibt abzuwarten. Abgerechnet wird, wenn die Schüler:innen von heute erwachsen sind.


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