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Benjamin Moldenhauer

Lützerath ist ein Brennglas für klimapolitische Verfehlungen

Benjamin Moldenhauer kommt in seinem Leitartikel zu dem Urteil, dass sich in Lützerath das Elend der Klimapolitik herauskristallisiert.

 

Noch einmal baggern, aber dann ist wirklich Schluss, versichert Klimaschutzminister Robert Habeck. Überzeugen kann er Klimaschützer:innen damit nicht.

Noch einmal baggern, aber dann ist wirklich Schluss, versichert Klimaschutzminister Robert Habeck. Überzeugen kann er Klimaschützer:innen damit nicht.

Bild: Julia Nelson

Es gibt Ereignisse, in denen sich politische Lagen wie unter dem Brennglas zeigen. Am Kampf um das Dorf Lützerath in Nordrhein-Westfalen ist so ein Ereignis. Spätestens seit Beginn der Räumung durch die Polizei zeigt sich das Elend der deutschen Klimapolitik in all seiner Pracht. Seit Mittwoch dieser Woche räumt die Polizei in Stärke von etwa 1.000 Beamtinnen das Dorf, das der Energiekonzern RWE abreißen will, um die unter dem Ort liegenden Tonnen Braunkohle zu verfeuern.

Der Hintergrund: 2020 haben meist junge Menschen ein Protestcamp in Lützerath aufgebaut. Initiativen wie „Ende Gelände“ und „Alle Dörfer bleiben“ haben den Ort zu einem Symbol für die Versäumnisse und den fortdauernden Skandal der Klimapolitik werden lassen. Die Energiekrise in der Folge des Kriegs Russlands gegen die Ukraine brachte die Situation dann zum Eskalieren. Die von den in Nordrhein-Westfalen wie auch im Bund das Wirtschaftsministerium leitenden Grünen haben mit RWE einen Deal ausgehandelt: Kohleausstieg 2030, dafür darf der Energiekonzern jetzt noch die Kohle, die unter Lützerath liegt, abbauen.

 

Keine neutralen Studien

 

Das Argument der Bundesregierung: Der Abbau sei energiepolitisch notwendig, um die Versorgungssicherheit in Zeiten der Gasknappheit zu gewährleisten. Ein Gutachten der TU Berlin und der Europa-Universität Flensburg, in Auftrag gegeben von der NGO Europe Beyond Coal, kam zu dem Ergebnis, dass die Kohle unter Lützerath tatsächlich nicht notwendig ist, um die Versorgungssicherheit in Krisenzeiten zu gewährleisten. Das Gutachten wiederum, auf das sich Wirtschaftsminister Robert Habeck und NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur berufen, um den Deal mit RWE und damit auch Räumung des Ortes durch die Polizei zu begründen, basiert unter anderem auf von RWE selbst herausgegebenen Daten und ist in großer Eile, nachdem die politische Entscheidung zur Räumung bereits gefällt worden war, erstellt worden. Ein Greenpeace-Vertreter spricht von „Gefälligkeitsgutachten, die zum gewünschten Ergebnis“ geführt hätte. Eine Organisation wie Europe Beyond Coal hat allerdings ebenfalls eine Agenda und ist zumindest als Auftraggeber des Gutachtens nicht neutral. Die Frage der energiepolitischen Notwendigkeit (ein Begriff, der unterstellt, dass Entscheidungen nur so und nicht anders gestellt werden können) wird sich erst im Nachhinein profund beantworten lassen.

 

Katastrophales Gesamtbild

 

Unabhängig davon bleibt ein recht katastrophales klimapolitisches Gesamtbild, in dem die Aktivistinnen jetzt schon sehr viel falsch machen müssten, um nicht als die symbolpolitischen Gewinner dazustehen. Da ist zum einen die krude Logik, mit welcher der RWE-Deal von Grünen-Vertreterinnen gerechtfertigt wird. Der nämlich wird als klimapolitischer Erfolg verkauft, da ja nun der Kohleausstieg bereits auf 2030 festgelegt worden sei. Der naheliegende Einwand: Die Abbau-Dauer ist nicht entscheidend, wenn nun in kürzester Zeit so viel Kohle verbrannt wird wie sonst in einem wesentlich längeren Zeitraum.

Wesentlich besser aufgestellt sind die Protestierenden auch bei der Bildproduktion. Seit Mittwoch werden Bilder in die Sozialen Medien eingespeist, in denen junge Menschen mit einem gesellschaftlich weithin akzeptierten Anliegen von anonymen und, weil vermummten, gesichtslos wirkenden Polizistinnen in voller Montur weggetragen und -geschubst werden. Vor dem Hintergrund gleichfalls martialisch wirkender Bagger und sonstiger Industriegeräte.

In Lützerath kristallisiert sich das Elend der Klimapolitik. Auf der einen Seite politische Entscheider:innen, die eben gerade das insofern nicht mehr zu sein scheinen, als sie in wesentlichen Fragen wirken, als sei für sie das Konzerninteresse maßgeblich. Auf der anderen Seite Protestierende, die sich nicht nur auf einen inzwischen unhinterfragten wissenschaftlichen Forschungsstand berufen können – in einem Satz zusammengefasst: Es gibt den menschengemachten Klimawandel, und seine Auswirkungen werden verheerend sein. Sondern die darüber hinaus auf ganz gegenwärtige Einschläge verweisen können. „Wir fragen uns, wie viele hitzetote Großeltern es braucht, bis genug Krise für ein kleines Tempolimit ist“, hat Klimaaktivistin Klima Neubauer zuletzt in der Taz geschrieben.

Fehlen zum Gesamtbild noch die, die Klimaschutz vielleicht für eine wichtige Sache halten, aber auf jede Form des Protests allergisch reagieren, die nicht im Rahmen des von staatlicher Seite Vorgesehenen verbleibt. Dazu gehören die Kommentatoren im Netz, die bei jeder Aktion der Letzten Generation Schaum vorm Mund bekommen, weil die Vorstellung, nicht rechtzeitig ins Büro zu kommen, offenbar große Wut hervorruft. Dazu gehört aber auch der geschliffen formulierte Tageszeitungskommentator, der den Aktivistinnen „Probleme“ attestiert.

 


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