Seitenlogo
jm

„Kulturgesichter0421“ startet in Bremen

Bremen/Niedersachsen (jm). Nach der „Night of Light“ und den „#AlarmstufeRot“-Demonstrationen macht die Veranstaltungswirtschaft erneut auf ihre katastrophale Situation in der Coronapandemie aufmerksam.

Der Spaß ist vorbei: Mit verschränkten Armen, ernster Miene und in schwarz-weiß zeigen sich die Teilnehmer*innen der Aktion, deren Gesichter aktuell auf Plakaten in Bremen zu sehen sind. „Stellvertretend für viele tausend Mitarbeiter*innen zeigen sich hier einige von uns, um unserer Branche ein Gesicht zu geben. Wir treten in den Vordergrund, um auf unsere andauernde und prekäre Lage aufmerksam zu machen“, erklären sie in einer Pressemitteilung.
 
„Ohne uns ist‘s still“
 
Ins Leben gerufen wurde die Aktion von einer Gruppe Kulturschaffender, die sowohl auf der Bühne als auch hinter den Kulissen tätig sind. „Kulturgesichter0421“ ist Teil der bundesweiten Initiative „#Ohneunsistsstill“, der Slogan ist auch auf den Porträts zu lesen. „Wir haben bisher 136 Menschen in Bild und Ton abgebildet und werden das weiter verfolgen“, erklärt Stefan Paul, Geschäftsführer der Revue Konzertagentur Bremen. Die Plakate hängen an Stromkästen, in Tunneln, an Türen von geschlossenen Spielstätten und sind im Straßenverkehr auf der Rückseite von großen LKW zu sehen. Außerdem wurde ein Kinospot für die Aktion produziert.
 
Immer noch im Lockdown
 
Der sechstgrößte Wirtschaftszweig der Bundesrepublik hat schon lange nichts mehr zu lachen: „Wir sind die Menschen, denen niemand sagen kann, wann es für sie wieder weitergeht“, schreiben die Veranstalter*innen, Künstler*innen, Techniker*innen, Caterer und Sicherheitsunternehmen in ihrer gemeinsamen Mitteilung. „Wir waren die ersten, die ihre Betriebe schließen und alle bestehenden Veranstaltungen, Projekte und Jobs absagen oder verschieben mussten. Wir sind diejenigen, die noch immer im Lockdown sind.“ Ohne passgenaue Hilfen und Stufenpläne zur Lockerung der Veranstaltungsverbote sei kein Ende der Situation in Sicht.
 
„Hartz IV ist keine Lösung!“
 
Unter den Teilnehmer*innen finden sich auch bekannte Gesichter, die an vielen Veranstaltungen in unserer Region mitwirken. Thorsten Siemer, besser bekannt als DJ Toddy, fotografierte seine Kolleg*innen für die Plakate und stand auch selbst vor der Kamera. Für ihn als sogenannten Soloselbstständigen ist die Lage besonders dramatisch, denn die Finanzhilfen aus dem Konjunkturprogramm der Bundesregierung gehen an ihm vorbei. „Ich habe ja keine Geschäftskosten, die ich da geltend machen kann. Als Soloselbstständige nehmen wir privat was aus der Kasse, um davon zu leben. Was über ist, geht in die Rente“, erklärt Siemer. „Hartz IV ist keine Lösung“ sagt Siemer und nennt zum Beispiel die Kosten der Altersvorsorge, die nur zum Teil übernommen würden.
 
Verbände fordern Optimierung des Konjunkturprogramms
 
Soloselbstständige hätten nur in Ausnahmefällen überhaupt Betriebskosten und könnten die aktuellen Hilfen deshalb nicht in Anspruch nehmen, kritisiert auch der Verband für Medien- und Veranstaltungstechnik e.V., der vergangene Woche gemeinsamen mit weiteren Verbänden aus der Branche eine umfassende Überarbeitung des Konjunkturprogramms forderte. Die Hilfen seien aber auch für größere Unternehmen nicht passgenau, meinen die Verbände und verweisen darauf, dass bisher lediglich fünf Prozent des Hilfsbudgets abgerufen wurden.
 
"Das Geld reicht nicht"
 
„Es ist was angekommen, aber es reicht nicht“, kann Malte Holsten bestätigen. Seine Firma Sound Patrol Veranstaltungstechnik mit Sitz in Rotenburg an der Wümme hat drei Mitarbeiter. „Wir haben Überbrückungshilfe und Soforthilfe bekommen“, berichtet der Geschäftsführer. „In den Medien wurde berichtet, dass 80 bis 90 Prozent der Fixkosten übernommen werden, das stimmt so nicht“, stellt er klar. In seinem Fall deckten die Hilfen rund 40 Prozent der Kosten ab, sagt Holsten. „Die Regierung hat da etwas andere Vorstellungen von Fixkosten.“
Er erwarte keineswegs, dass der Staat ihm seinen gesamten Jahresumsatz ersetze und habe auch Verständnis für die Corona-Maßnahmen, sagt Holsten. Die Veranstaltungsbranche brauche jetzt vor allem eine Zukunftsperspektive. „Darum geht es auch bei Alarmstufe Rot und anderen Aktionen: Das Verständnis ist da, es geht um den Dialog mit der Politik.“
 
„Die Querdenker schreiben mich schon an“
 
„Es ist eine große Katastrophe, wie mittelständische Unternehmen allein gelassen werden. Ich bin maßlos enttäuscht, was bundesweit politisch passiert“, sagt Thorsten Siemer. „Daran hängt ja auch eine Wertschöpfungskette“, gibt er zu bedenken. Deutsche Zulieferer und Hersteller wie etwa Sennheiser, einer der größten Produzenten von Mikrofonen und Audiotechnik, hätten schon jetzt massive Probleme.
Siemer befürchtet, dass die Krise auch politische Konsequenzen haben wird und populistische Strömungen mehr Zulauf bekommen könnten. „Die Querdenker schreiben mich schon an, dass ich da mitlaufen soll.“
 
Neues Förderprogramm in Niedersachsen
 
Das Land Niedersachsen will bei der Hilfe für Soloselbstständige nun nachbessern: Vergangene Woche startete die große Koalition ein neues Hilfsprogramm, für das 10 Millionen Euro zur Verfügung stehen. Spielstätten mit Sitz in Niedersachsen, die ein regelmäßiges Kulturangebot haben, können Fördergelder bekommen, wenn sie Soloselbstständige zur Durchführung einer Veranstaltung engagieren. Wird ein entsprechender Vertragsentwurf vorgelegt, können Beträge zwischen 1.500 und 30.000 Euro gefördert werden. Der Tatsache, dass Soloselbstständige häufig auch im nicht-öffentlichen Bereich - wie etwa auf privaten Feiern oder ähnlichen Veranstaltungen - tätig sind, soll dabei auch Rechnung getragen werden. „In eng begrenzten Ausnahmefällen“, wie der SPD-Landtagsabgeordnete Oliver Lottke es formuliert, könnten Soloselbstständige, die im nichtöffentlichen Bereich tätig sind, einen Antrag beim Ministerium stellen. Voraussetzung ist, dass sie ihren Sitz in Niedersachsne haben und darlegen können, dass ihr kulturelles Angebot ohne öffentliche Förderung nicht stattfinden kann. Weitere Informationen und Antragsforumale unter https://bit.ly/2S0QmhY.


UNTERNEHMEN DER REGION