Patrick Viol

Kommentar: Sprache mit Zukunft

Ein guter politischer Vorsatz für das neue Jahr wäre, dass Erwachsene wieder miteinander wie Erwachsene reden, findet Patrick Viol.
Der gesellschaftliche Abbau der Sprache im politischen Diskurs ist ein Angriff auf die Bedingung der Möglichkeit von Mündigkeit. (Bild:Frank Schwarz Maulwurf/commons)

Der gesellschaftliche Abbau der Sprache im politischen Diskurs ist ein Angriff auf die Bedingung der Möglichkeit von Mündigkeit. (Bild:Frank Schwarz Maulwurf/commons)

Die Menschen machen sich im Januar bekanntlich gute Vorsätze. Dazu muss man wissen, was im letzten Jahr nicht ganz so gut lief. Bei vielen haperte es - wie in jedem Jahr - an der sogenannten Selbstfürsorge. So wollen die meisten gerade ihrer Ernährung, ihrer Fitness, der Balance zwischen Arbeit und Freizeit oder dem Kontakt mit Freund:innen und Familie ein Upgrade verpassen.
Und es scheint ziemlich passend, dass auch die neue Ampelregierung ihre richtige Arbeit im Januar aufgreift. Hat sie, die „mehr Fortschritt wagen“ will, sich doch so einiges vorgenommen, was sie besser machen will als die alte Regierung. Sie will sozialer, ökologischer und digitaler; sie will eine „Zukunftsregierung“ sein, die sich für ein nachhaltig gutes Leben einsetzt. Das klingt gut. Kann man so machen. Hat die alte Regierung es doch mit der Sozial- und Klimapolitik ziemlich schleifen lassen, von der Digitalisierung ganz zu schweigen. Die hat sie einfach verpennt.
Damit es aber mit den Vorsätzen - im Privaten wie im Politischen - wirklich klappt, müssen Veränderungen gewisser Einstellung ihrer Umsetzung notwendig vorausgehen.
Wer beispielsweise fitter werden will, muss seine Einstellung zu Anstrengung und Verzicht ändern. Wer beides nur als lästiges Übel betrachtet, trainiert vielleicht vier Wochen, lässt es dann aber auch wieder sein. In der Politik verhält es sich selbstredend etwas komplexer, aber auch hier bedarf es einer Änderung der Einstellung: Soll das mit der guten Zukunft klappen, muss sich die Einstellung der Politiker:innen zu den Bürger:innen ändern. Denn der sozial-ökologischen Transformation unserer Gesellschaft haben breite Debatten vorauszugehen, in den vernünftige Erkenntnisse von mündigen Bürger:innen mit der Politik darüber errungen werden, was zu tun ist. Die Politiker:innen scheinen die Bürger:innen aber - und das verrät ihre Sprache nicht zuletzt in der Pandemie - für Kinder zu halten. Denn wer - wie Olaf Scholz - von „Rumms“, „Wumms“ und „Bazookas“; wer von „Gute-Kita-Gesetz“ und „Starke-Familien-Gesetz“ statt von den Zusammenhängen spricht, die sie erforderlich machen; wer Sorgen durch Worte wie „Piksen“ und „Boostern“ zerstreuen will und statt Argumenten nur „Anreize“ für die Impfung liefert, so wie man Kinder mit Bonbons überzeugt; wer sich in Phrasen wie „Gemeinsam schaffen wir das“ ergeht und von den Schwierigkeiten schweigt, denen eine gespaltene Gesellschaft ausgesetzt ist; wer sich - Social Media kompatibel - nur in Hauptsätzen artikuliert und Komplexität, Wechselwirkungen und Widersprüche auszudrücken scheut, der lässt den Angesprochenen gegenüber nicht nur Achtung und Respekt vermissen, sondern bezeugt ihnen, dass er sie für blöde und unmündig hält.
Das aber ist für das Projekt einer besseren Zukunft aus mehreren Gründen fatal: Denn zum einen wird mit solchem gesellschaftlichen Abbau der Sprache im politischen Diskurs die Bedingung der Möglichkeit von Mündigkeit angegriffen. Mündigkeit setzt die entfaltete Fähigkeit zu sprechen voraus, weil sie mehr bedeutet als das Protokollsatzgestammel, das sich von Twitter über Pressekonferenzen bis hin zu Leitartikeln großer Zeitungen erstreckt. Sie ist das Vermögen zu kritischer (Selbst-)Reflexion und erfahrungsgesättigtem Ausdruck, der sich eben nicht auf Schlag- und Reizworte reduzieren lässt, sondern deren kritische und reale Komplexität darlegende Dechiffrierung bedeutet. So beraubt man sich zum weiteren durch den verkindlichenden Angriff auf die Sprache der Fähigkeit zu komplexem Denken und damit der Möglichkeit komplexe Lösungen für komplexe Probleme zu finden, vor denen wir zweifellos stehen. Weshalb schließlich von der onomatopoetischen Verrohung der Sprache, die „wummst“ statt feindgliedrig offenzulegen, das antidemokratische Bedürfnis nach einfachen Lösungen ebenso erzeugt wird, wie Ausbeutung und Ohnmacht es tun. Die staatliche (aber auch journalistische) Austreibung des Relativsatzes und dessen Ersetzung durch bildhaften Sprechblasenjargon arbeitet der Unmöglichkeit wahren Fortschritts ebenso zu wie der Wahnsinn von Leuten, die momentan dauernd „spazieren“ gehen. Um es ganz einfach zu sagen: Wenn das mit der Zukunft klappen soll, sollten Erwachsene wieder anfangen, miteinander wie Erwachsene zu reden - kein so schwer zu erfüllender Vorsatz fürs neue Jahr, oder?


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