Patrick Viol

Kommentar: Das Eigenheim - ein deutscher Albtraum

Patrick Viol erkennt im Einfamilienhaus samt seiner sarkophagen Gemütlichkeit den Vorboten antidemokratischen Unheils.

„Trautes Heim, Glück allein“ - Sinnspruch über die Verkehrtheit deutscher Wohnverhältnisse.

„Trautes Heim, Glück allein“ - Sinnspruch über die Verkehrtheit deutscher Wohnverhältnisse.

Bild: Freepik/rawpixel

„Trautes Heim, Glück allein“ - in diesem Sinnspruch urdeutscher Gemütlichkeit, dass es in den „eigenen vier Wänden“, im Einfamilienhaus am schönsten sei, fasst sich die objektive Falschheit der Art und Weise zusammen, wie die Deutschen wohnen bzw. sich zu wohnen wünschen.

Wer das alleinige oder wahre Glück nur dort verortet, wo ihm alles vertraut ist und alles Fremde draußen gehalten wird, der ist der Welt entfremdet und ums wahre Glück betrogen, das ohne die Erfahrung seiner selbst als etwas Unbekanntem durch die Einlassung auf Unvertrautes nicht zu haben ist.

Der „Traum vom Eigenheim“ und mit ihm die vorherrschende Architektur und Stadtplanung sind spezifischer Ausdruck der privatwirtschaftlich organisierten Gesellschaft und des Sozialcharakters wie der Ideologie ihrer atomisierten Einzelnen.

Das eigene Einfamilienhaus, auch wenn vier von fünf Deutschen von ihm „träumen“, ist nicht natürlicherweise der Traum eines jeden Menschen. In ihm zu wohnen ist - wie das Eigentum an ihm - zum einen eine geschichtliche Form der nivellierten Klassengesellschaft, in der alles eine Ware zu sein hat und in der das Eigentum an den besonders teuren ein gutes Leben verspricht. Dieses Versprechen auf Glück in den „eigenen vier Wänden“ leistet zum anderen aber nicht ihr Tauschwert allein. Dass die Menschen vor dem Bau in ihnen kein selbst gewähltes Gefängnis sehen, hat zur unbewussten Voraussetzung, dass die Welt den Menschen feindlich erscheint. Nur vor dem Hintergrund der Erscheinung der Welt nicht als Domäne des freien Willens, sondern als Ort der Überforderung, von Unfreiheit und Fremdbestimmung: als Unglück, präsentiert sich das traute Heim als Ort des Rückzugs, der Freiheit und der Selbstbestimmung, wie ein Paar ihr Einfamilienhaus in einem Artefeature zum Thema beschreibt. Doch da die Welt als Individuum negierendes Sachzwangverhältnis wirklich feindlich ist, bleibt das Heim als Refugium eine Illusion der in sich verschlossen Arbeitskraftmonaden, die zwar alle sind, aber objektiv niemand mehr sein müsste.

Den Schutz, den das Eigenheim als Privatraum der Reproduktion vor der Gesellschaft bietet, erkauft man sich mit der Verstärkung ihres Drucks auf den Einzelnen: Als arbeitseinpeitschendendes Abzuzahlendes erhöht es den Zwang, sich zu schinden. Mit der Zeit wird das Eigenheim zum Gegenteil dessen, was es sein sollte: Zum Mahnmal daran, dass man als Individuum über sein Leben nicht frei verfügt, weshalb im Eigenheim mit der Zeit das Leben erstirbt. Metaphorisch und nicht selten buchstäblich. - Und glauben Sie mir, nicht nur als Kritiker, sondern als Landkind gescheiterter Eigenheimbesitzer weiß ich, wovon ich rede.

Vor diesem Hintergrund ist es auch kein Wunder, dass sich sowohl die CDU/CSU als auch die Deutschnationalen der Jungen Freiheit (JF) besonders für den deutschen Traum vom Eigenheim, „der in die DNA der deutschen Seele eingebrannt ist“(JF), einsetzen. So forderte der baupolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagfraktion, Jan-Marco Lucza, Anfang Juni „Wohneigentum für alle“, was schon begriffslogisch Quatsch ist, da Eigentum ohne Armut, also ohne Nichteigentümer nicht zu haben ist. Dieser Einsatz kommt u.a. daher, weil das Eigenheim samt seiner sarkophagen Gemütlichkeit die Mobilisierungsmasse für besonders patriotische Deutsche anrührt. Da das Eigenheim das „Glück allein“ für die allein auf sich Zurückgeworfenen ist, verkommt es nicht selten zum Brutkasten für kollektivistische Schiefheilungswünsche der Verzweifelten. Deshalb erkannte Alexander Mitscherlich im Einfamilienhaus auch den Vorboten antidemokratischen Unheils.

Folglich reicht es in der gesellschaftlichen Debatte übers Wohnen nicht aus, mangelnde Finanzierbarkeit von Wohnungen und Eigenheimen zu beklagen und einfach mehr Bautätigkeit zu fordern. Es muss radikal über neues Wohnen nachgedacht werden. Über eine Form, die die Menschen weder vereinsamen  noch kaserniert vermassen lässt. Dass dabei deutsche Träume zerstört werden, macht nichts. Für die meisten erweisen sie sich eh als Albträume.


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