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Patrick Viol

Holocaustrelativierung und Israelhass Teil III: Die noch besseren Deutschen

Patrick Viol beleuchtet die These von Michael Rothberg, das Gedenken an die beispiellose Shoa blockiere die Aufarbeitung anderer Verbrechen.

Achille Mbembe sollte 2020 also die Eröffnungsrede der Ruhrtriennale halten. Dagegen wandte sich der FDP-Abgeordnete Lorenz Deutsch. Er wies im nordrhein-westfälischen Landtag nach Bekanntgabe der Einladung Mbembes daraufhin, der kamerunische Historiker habe in der Vergangenheit den Boykott der Ben-Gurion Universität in Israel unterstützt und antiisraelische Texte veröffentlicht. Zudem relativiere er den Holocaust und stelle die israelische Politik schlimmer dar als die Apartheidpolitik Südafrikas. Wie in Teil zwei dieses Essays gezeigt wurde, haben diese Vorwürfe ihre Berechtigung. Entsprechend erhob sie auch der Antisemitismusbeauftragte des Bundes, Felix Klein. Er deutete dabei zudem daraufhin, dass die Bundesregierung sich 2017 der Arbeitsdefinition Antisemitismus der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) angeschlossen habe, aufgrund derer sich Mbembes politische Unterstützung der BDS-Bewegung, die Israel wirtschaftlich, kulturell und politisch isolieren will, und seine theoretischen Einlassungen als israelbezogenen Antisemitismus begreifen ließen.

 

Ein erfundenes Tabu

 

In der Öffentlichkeit traf die Kritik an Mbembe auf ein geteiltes Echo. Die einen warfen - zusammen mit Mbembe - Lorenz und Klein Rassismus vor. So würde er als „ein Antisemit von einem Neger“ angegriffen, wie der Historiker im Interview mit dem Deutschlandfunk sagte.

Die anderen belegten ihre Kritik an Mbembe an seinem Werk. - Dass seine Kritiker:innen Mbembe in ihrer Kritik, die sie an seinem Werk übten, nicht rassistisch angingen, sondern als denkenden Menschen ernst nahmen, fiel Mbembe nicht ein. Er zog die Skandalisierung der Kritik - er sprach auch von „Hexenjagd“ - der inhaltlichen Auseinandersetzung mit ihr vor.

Gestritten wurde zwischen den Lagern aber nicht lediglich über die Frage, ob Mbembes Texte antisemtisch seien oder nicht. Im Zentrum der Debatte stand schnell die geschichtswissenschaftliche und vergangenheitspolitische Frage nach der Vergleichbarkeit der Shoa bzw. danach, ob ein Vergleich eine Gleichsetzung oder gar eine Verharmlosung sei. In dieser Frage warfen Mbembes Verteidiger:innen seinen Kritiker:innen letztlich vor, sich in ihrer Kritik von einem Tabu über jede Form des Vergleichs des Holocaust leiten zu lassen. Das ist zum einen natürlich unlogisch: Da das Urteil der Beispiellosigkeit der Shoa nur ein Resultat von Vergleichen sein kann. Zum anderen ging es Mbembes Kritikerinnen an keiner Stelle um ein „Verbot des Vergleichens“, wie Alex Gruber schreibt. Sie hinterfragten die Art und Weise und den Zweck von Mbembes Vergleichen des NS mit dem Kolonialismus, wie es z. B. Dr. Steffen Klävers, Literaturwissenschaftler und Antisemitismusforscher, in seinem Text „Vergleichsgeschichten. Postkolonialtheoretische Deutungen des Holocaust“ erklärt. Mbembes funktionalistische Vergleichsweise des NS mit Kolonialismus frage laut Klävers kaum nach Ideologien - er habe lediglich einen abstrakten Rassismusbegriff, mit dem der Antisemitismus des NS aber nicht gefasst werde. Somit komme er zum falschen Ergebnis der Wesensgleichheit von NS und Kolonialismus. Und wenn er auf dieser Grundlage nicht empirisch, sondern über eine krypto-christliche Metaphysik zu dem Ergebnis gelangt, das koloniale Apartheidregime Südafrikas sei weniger schlimm als die israelische Politik, unterstellt er Israel eine nationalsozialistische Vernichtungsintention gegenüber den Palästinensern. - Vor dem Hintergrund dieser Schlussfolgerung und der IHRA Definition von Antisemitismus kann nicht davon gesprochen werden, dass Mbembe aus einem emphatischen Interesse an einer historischen Erkenntnis heraus NS und Kolonialismus vergleicht. Vielmehr davon, dass er vergleicht, um den Holocaust relativieren und die neuen Vernichtungsakteure in Israel verorten zu können.

 

Der Vorwurf der Provinzialität

 

Diese Differenzierung der Kritik stieß bei Mbembes Verteidiger:innen aber auf taube Ohren. Sie hatten sich zu sehr darauf eingeschossen, Mbembes Kritiker:innen ginge es nur um die Aufrechterhaltung eines - von den Verteidiger:innen gleichwohl ausgedachten - Vergleichsverbots. So formuliert der Holocaustforscher und Literaturwissenschaftlers Michael Rothberg in seinem Debattenbeitrag „Das Gespenst des Vergleichs“: „In Deutschland setzt der allgemeine öffentliche Diskurs voraus, dass ein Vergleich des Holocaust mit anderen Ereignissen dieses von den Deutschen verübte Verbrechen verharmlost“. Der wissenschaftliche Diskurs unterliege „einer strengen Kontrolle. Ähnliches behauptete auch Aleida Assmann, eine andere bekannte Mbembe-Verteidigerin. In ihrem Text „Ein neuer deutscher Sonderweg“ spricht sie davon, dass die „These von der Unvergleichbarkeit des Holocausts“ Hierarchien schaffe, den Blick verenge und die Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit einschränke.

Es ginge den Kritiker:innen um ihre „deutschen Befindlichkeiten“, weshalb die von der Vorstellung der Singularität der Shoa getragene Erinnerungskultur in Deutschland von „provinziellem Charakter“ und eventuell nicht mehr „zeitgemäß“ sei, so der wissenschaftliche Mitarbeiter am Zentrum für Antisemitismusforschung Felix Axster in seinem Text „War doch nicht so schlimm.“

Was Mbembes Verteidiger:innen eint ist die Vorstellung, dass in der -wie Axster schreibt - „auf die Holocaust-Erinnerung bezogenen nationalen Erzählung (...) Erinnerungen an andere Gewaltverbrechen kaum Platz“ finden - Das Holocaust-Gedenken verdränge die Aufarbeitung des Kolonialismus. In dem sie scheinbar nur hierfür Platz machen wollen, können sich Mbembes Verteidiger:innen als Kämpfer:innen für eine reflektiertere Perspektive auf die Geschichte inszenieren. Und die Deutschen unter ihnen als die noch besseren Deutschen, deren Blick auf die Geschichte nicht vom Judenmord auf den eigenen Nabel abgeknickt ist. Ihnen gehe es um nicht nur um sich selbst.

 

Eine neue Form der Holocaustrelativierung

 

Die Vorstellung von einer identitätsbezogenen Einschränkung der Aufarbeitung der Gewaltgeschichte durch eine die Beispiellosigkeit der Shoa betonenden Erinnerungskultur geht letztlich auf eine These aus Rothbergs Buch „Multidirektionale Erinnerungen. Holocaustgedenken im Zeitalter der Dekolonisierung“ zurück, in dem Axster auch ein Nachwort geschrieben hat.

„Eine der größten Barrieren, die Menschen daran hindern, die Wechselwirkung zwischen verschiedenen kollektiven Erinnerungen anzuerkennen, ist der Glaube, es handle sich bei der eigenen Gesichte, Kultur und Identität um etwas ‚Eigenständiges und Einzigartiges‘“, schreibt Rothberg. So fungiere die Vorstellung von der Präzedenzlosigkeit der Shoah vornehmlich als verdrängende „Deckerinnerung“ für amerikanische koloniale Verbrechen. Hierbei betont Rothberg, die Verdrängung ginge von „diasporic and minority groups“ aus, die daran ein Interesse hätten. Dass er hierbei auf Juden anspielt, davon ist Ingo Elbe in seinem Text „Die Verschwörung der Asche von Zion“ überzeugt.

Elbe kritisiert aber nicht nur diese Suggestion, sondern Rothbergs Verdrängungsthese insgesamt: So heißt es in Elbes Text „Solidarität statt Provinzialität?“: „Dass in der offiziellen Erinnerungspolitik Fragen der Anerkennung und Entschädigung von Opfern deutscher Kolonialverbrechen über Jahrzehnte ignoriert wurden, liegt nicht an der Betonung der Singularität des Holocaust und ihrer Verteidigung gegen fragwürdige Gleichsetzungen, sondern an der Ignoranz oder an rassistischen Ressentiments, die fraglos die deutsche Nachkriegsgesellschaft geprägt haben.“

Zudem habe „zeitgleich eine Intensivierung der Holocaust-Täterforschung und der antirassistischen Theoriebildung stattgefunden“, so Elbe. Ebenso kritisieren Mbembes Kritiker die„fehlende Beschäftigung mit den deutschen Kolonialverbrechen bis heute“ als einen fortgesetzten „Skandal“, so beispielsweise Jan Gerber.

Rothberg wie seinen Adepten in der Mbembe Debatte gehe es mit diesem Ansatz um die Vermeidung von Opferkonkurrenz und Leidhierarchien. Doch ein Diskurs, der mit der Blockierungs-These arbeitet, könne „nicht zu einem empathischen Gedenken an verschiedene Gewaltgeschichten in gegenseitigem Respekt gelangen, weil in ihm das sachlich begründete Beharren auf der Singularität der Shoah ja schon mit ‚Opferkonkurrenz‘ und Verharmlosung des Leids der von Rassismus Betroffenen assoziiert wird und bekämpft werden muss“, so Elbe. „Mit diesem Mythos zu beginnen, dem Holocaustgedenken eine solche Erinnerungs-Barriere zu unterstellen - um anschließend zu postulieren, ausgehend von dieser Prämisse könne es einen produktiven, empathischen und die Spezifik der Leidensgeschichten nicht nivellierenden Bezug von postkolonialer Erfahrung auf der einen und Erforschung sowie Erinnerung der Shoah auf der anderen Seite geben, ist der Versuch einer Quadratur des Kreises.“

Was Rothbergs These dagegen leiste, weil sie auf die Vorstellung hinaus läuft, dass es erinnerungspolitische Gerechtigkeit erst durch die Aufgabe der Rede von der Singularität der Shoa gebe, sei die „Erinnerung an die epistemischen Dimensionen der Vernichtung“ als „Störfaktor“ erscheinen zu lassen, so Jan Gerber in seinem Text „Anerkennung statt Erkenntnis“ in dem Band „Probleme des Antirassismus“. Er liefere damit letztlich „Stichworte für eine neue Form der Holocaustrelativierung“, so Gerber abschließend.

 

 


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