Patrick Viol

Heilige und gefährlichster Staatsfeind - Die Funktion der Frau im Iran

„Frau, Leben, Freiheit“ heißt es auf den Straßen im Iran. Die zentrale Rolle der Frauen bei den iranischen Protesten erklärt sich aus ihrer spezifischen Unterdr

Den Iran verstehen (Teil II): Frauenhaare machen Männer verrückt und müssen deshalb verdeckt werden, so die Überzeugung der Mullahs.

Den Iran verstehen (Teil II): Frauenhaare machen Männer verrückt und müssen deshalb verdeckt werden, so die Überzeugung der Mullahs.

Bild: M Young/Deposit

Julia Neumann, taz-Korrespondentin, müsste, sofern ihr inbrünstiger Kulturrelativmus ihr Gewissen nicht vollends verschlungen hat, in Anbetracht der Proteste im Iran und der Brutalität, mit welcher das iranische Regime gegen die revoltierenden Frauen vorgeht, die ihr Kopftuch öffentlich verbrennen, schlecht geworden sein. Denn noch einen Monat bevor Masha Amini von der Sittenpolizei im Zuge ihrer Verhaftung wegen eines verrutschen Kopftuchs totgeprügelt wurde, wetterte die vermeintliche Nahost-Expertin in dem Kommentar „Das bisschen Wind im Haar“ gegen die iranisch-amerikanische Aktivistin Masih Alinejad, die Frauen im Iran - auch schon vor den Protesten - dazu ermutigt, ihren Hidschab (Kopftuch) abzunehmen und davon ein Video zu machen, damit sie es über ihre Kanäle mit Millionen Follower:innen teilen kann: „Als ob das Abnehmen eines Kleidungsstückes aus Protest den Weg zur Gleichberechtigung und dem Schutz von Frauen ebnen könnte“, frotzelt Neumann gegen Alinejad. Nun - die Realität hat Neumann brutal Lügen gestraft und einmal mehr bewiesen, dass kultursensible weiße Frauen „Woman of Color“ oftmals nur dann zur Seite stehen, wenn sie weiße Männer angreifen, die Frauen „bei der Pussy“ (Neumann) packen wollen. Nicht aber dann, wenn sie gegen Klerikalfaschisten aufbegehren, die Frauen töten, wenn sie sich ihrer staatlich-religiösen Unterdrückung zu entziehen suchen.

 

Kopftuch als System

 

Recht gegeben hat die Realität hingegen Alinejad, die schon immer gesagt hat: „Fällt das Kopftuch, fällt die islamische Republik.“ Denn der Hidschab ist nicht - wie Neumann realitätsverweigernd behauptet - in Funktion und Bedeutung der Kopfbedeckung von Nonnen vergleichbar. Und nicht nur, weil der Islam im Iran im Gegensatz zum Katholizismus z. B. im rheinländischen Oberbillig ein politisches Herrschaftsystem bildet. Der Hidschab ist ein System zur Institutionalisierung der Frau im Iran, ohne welche das Regime nicht bestehen könne, wie die iranische Aktivistin Fathiyeh Naghibzadeh z. B. in ihrem Film „Kopftuch als System“ darlegt. Als gesellschaftliche Institution sei die Frau im Iran verantwortlich für die islamische Männlichkeit“, wie Naghibzadeh in ihrem Text „Die göttliche Mission der Frau“ weiter ausführt. Islamische Männlichkeit bestehe in einem doppelten Djihad: Der Mann müsse einen Kampf nach innen gegen seine sexuelle Wünsche führen als Bedingung für den äußeren Krieg gegen die Ungläubigen im Namen Gottes. Bei diesem Kampf, den zu führen der einzige Zweck der Islamischen Republik darstellt, spiele das Kopftuch die zentrale Rolle: Es sei nicht für den Schutz der Frau gedacht . Es „soll den Mann vor der sexuellen Versuchung schützen“, so Naghibzadeh. So werde die auf den Djihad ausgerichtete Geschlechtertrennung über die Zwangsverschleierung sichergestellt.

Mit der Verschleierung werden Frauen also nicht weniger sexualisiert, wie sie manche westliche Feministinnen mit einem Fimmel für regressive Kulturen und Praktiken verklären. Im Gegenteil. Die Verschleierung reduziert Frauen auf den Status eines bloßen Sexualobjekts. Wären sie mehr als ihre sexuellen Reize, müssten sie sich nicht hinter Stoff verstecken.

Und weil das Kopftuch für den von Männern geführten und vom Staat auf allen Ebenen vorbereiteten Djihad gegen Ungläubige und Israel unerlässlich ist, liege die absolute Entscheidungsgewalt über die Verschleierung der Frau beim Staat. Deshalb sei er zu „Übergriffen gegen alle Frauen ermächtigt, die sich ‚unislamisch‘ verhalten“, wie Naghibzadeh erklärt.

Entsprechend, so Naghibzadeh weiter, fungiere im Iran nicht „der Vater als Vermittler zwischen rechtloser Frau und Gesellschaft, sondern die durch die Sharia entrechtete Ehefrau ist die zentrale Institution, die für die Reproduktion der islamischen Gesellschaft, so wie sie von der religiösen Führung definiert wird, verantwortlich ist.“ Dadurch werde die Frau zum einen „sakralisiert“ und zum anderen zum „Ausgangspunkt der islamischen Gesellschaft“; „Heilige und potenziell gefährlichster Staatsfeind“, weshalb sie unter stetem Generalverdacht der Sittenpolizei stehe.

Vor diesem Hintergrund zeigt sich: Der Slogan „Frauen, Leben, Freiheit“ steht nicht neben der Forderung nach dem Tod der Islamischen Republik. Er fordert dasselbe.

 

 

Das Theater Bremen lädt am 4. November um 20 Uhr ins Kleine Haus zu der Solidaritätsveranstaltung „Jin, Jiyan, Azadî. Frauen, Leben, Freiheit“. Eintritt ist frei.

 


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