Gestörtes Gleichgewicht: Wie die Menschen ihre maritime Lebensgrundlage gefährden
Der 8. Juni ist Welttag des Ozeans. Nur einen einzigen Tag der Anerkennung gönnen wir ihm, dabei bedeckt er nicht nur mehr als 70 % der Erdoberfläche. Er ist zudem die Grundlage unseres Lebens. Aber unser Menschenleben spielt sich nun mal auf den anderen - trockenen - 30 % ab. Denken wir zumindest. Tatsächlich spielt das Meer für uns alle jedoch eine unverzichtbar wichtige Rolle, egal wie fern die Küste von unserer Haustür liegen mag.
Sauerstoffspender
Das Meer war einst der Geburtsort des Lebens und ist auch heute noch Grundlage unseres Lebenselixiers. Denn mehr als 50 % des Sauerstoffs in unserer Atmosphäre wird im Meer gebildet. Jeden zweiten Atemzug also haben wir ihm zu verdanken. Verantwortlich für die Produktion von Sauerstoff sind keine riesigen Algenwälder, sondern die kleinsten der Kleinen: Mikroorganismen. Fotosynthetisch aktive Bakterien und einzellige Algen, sogenanntes Phytoplankton, übernehmen hier die Hauptarbeit. Das Phytoplankton nutzt Sonnenlicht, Kohlendioxid (CO2) und Wasser, um im Fotosynthese-Prozessorganisches Material zu erzeugen. Hiervon ernähren sie sich nicht nur und bauen ihre Zellen auf. Zum einen ist das Abfallprodukt dieses Prozesses der für unser Überleben notwendige Sauerstoff. Zum anderen bilden diese Mikroben, die mit dem bloßen Auge nicht zu erkennen sind, die Basis des Nahrungsnetzes im Meer und füttern so direkt oder über Ecken die Meereslebewesen, die wiederum bei uns auf den Tellern landen. Fischbrötchen, Rollmops, Matjes oder Schellfisch gebe es ohne das Plankton nicht. Gerade der Hering, einer der wirtschaftlich wichtigsten Speisefische in Norddeutschland, ist ein Planktonfresser.
Wasserspender
Aber auch abseits der Fischtheke leistet das Meer weitere unverzichtbare Beiträge für unser Leben: Es steuert unser Klima und ist wichtiger Bestandteil des Wasserkreislaufs. Wasser ist ein hervorragender Wärmespeicher, deswegen nutzen wir es auch in unseren Heizungen. Und genauso wie unsere Heizung Wärme von der Therme in unsere Wohnzimmer transportiert, transportiert der Golfstrom warmes Wasser aus den Äquatorebenen hinauf zu uns in die nördliche Hemisphäre und verschafft Europa einen milden Winter und ein angenehmes Lebensklima für unsere heimische Flora und Fauna. Selbst der - von Sommerurlauberinnen verhasste und von Landwirtinnen heiß ersehnte - Regen hat seinen Ursprung im Meer: Bevor er auf uns herabnieseln kann, muss er an der Oberfläche des Meeres verdampfen.
Blue Economie
Vor Jahrhunderten schon verdankten die Hansestädte ihren Reichtum dem Meer und bis heute werden die meisten Güter über die Weltmeere transportiert. Besonders als Erholungsort ist das Meer in den letzten Jahrzehnten ein bedeutender Wirtschaftsfaktor geworden.
Aber auch die Zukunft der Wirtschaft liegt im Meer, da sind sich viele Expertinnen sicher. Blue Economie, die blaue Wirtschaft, ist das Schlagwort, das immer öfter fällt. Offshore Anlagen für erneuerbare Energie, Aquakultur oder gar noch unentdeckte biologische Stoffe, die für Medizin und Industrie von Bedeutung sein könnten, schlummern versteckt im tiefen Blau.
Gestörtes Gleichgewicht
Aber ebenso wie das Meer unser Leben bestimmt, beeinflussen wir auch das Leben in ihm. Leider nicht auf eine positive Art und Weise. Zu glauben, man könne es unendlich ausbeuten und zugleich verschmutzen, ist eine fatale Fehlannahme. Die Folgen des Raubbaus, den wir über Jahrhunderte an ihm betrieben haben, zeigen sich immer mehr. Überfischung hat manche Arten an den Rand der Existenz gedrängt oder gar ganz verschwinden lassen. Der enorme Ausstoß von Kohlenstoffdioxid durch die Verbrennung von fossilen Rohstoffen hat den CO2 Gehalt und damit den pH-Wert des Wassers ansteigen lassen: Ozeanversauerung ist die Folge.
Auch die globale Erwärmung macht vor Wasser nicht halt und führt zu erhöhten Temperaturen. All dies bringt das Gleichgewicht des Meeres durcheinander: Strömungen verändern sich, Eiskappen in der Arktis und Antarktis schmelzen ab. Selbst der mächtige Golfstrom hat seine Strömungsgeschwindigkeit als Folge schon jetzt etwas verlangsamt.
Schließlich verändert sich der Lebensraum teilweise so rasant, dass viele Pflanzen und Tierarten keine Chance besitzen, sich anzupassen.
Bröckelndes Fundament
Darüber hinaus müssen sie noch mit dem Müll der Menschheit klarkommen: Fischernetze, Munition, Düngemittel, Schwermetalle und Erdöl - um nur ein paar der Dinge zu nennen - versenken wir im Meer. Das Resultat ist ein Verlust der Biodiversität, also ein Rückgang der marinen Artenvielfalt. Aber genau die ist wichtig, um das Leben im Meer im Gleichgewicht zu halten. Gerade die Ozeanversauerung und der Temperaturanstieg machen dem lebensspendenden Phytoplankton schwer zu schaffen und seine Menge ist in den letzten Jahrzehnten deutlich zurück gegangen. Dadurch werden wir zwar nicht ersticken, aber wenn die Basis der Nahrungskette, also unser Fundament bröckelt, dann gerät das ganze Haus, in dem wir leben, bedrohlich ins Wanken.
Täglicher Respekt
Und trotz alledem gönnen wir dem Meer nur einen Tag im Jahr, an dem wir es feiern. Das ist zu wenig, finde ich. Wir können auch anders. Jedes Stück Müll, das wir am Strand aufsammeln, jedes Mal, wenn wir uns aufs Rad geschwungen haben anstatt auf den Autositz, jedes Mal, wenn wir uns für die Falafel anstatt den Döner entscheiden, zeigen wir dem Meer unserem Respekt und können so jeden Tag zum Ozean Tag machen.
Von Dr. Julia Schnetzer ist kürzlich das Buch „Wenn Haie leuchten - Eine Reise in die geheimnisvolle Welt der Meeresforschung“ im Hanser Verlag erschienen.