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Patrick Viol

Genschere spaltet Landwirtschaft

Der Einsatz grüner Gentechnik soll in der EU gelockert werden. Das wirft in der Politik, bei Landwirten und Verbrauchern Fragen auf.

Bei der „Grünen Gentechnik“ steht im Fokus, gezielt einzelne Gene abzuschalten oder abzuwandeln.

Bei der „Grünen Gentechnik“ steht im Fokus, gezielt einzelne Gene abzuschalten oder abzuwandeln.

Bild: adobe/ Jacqueline Weber

Das EU-Parlament hat sich für eine Lockerung der Vorschriften für den Einsatz von Gentechnik in der Landwirtschaft ausgesprochen. Die aber ist in dieser Frage gespalten. Auch Politik und Verbraucher sind skeptisch. Was also halten von genveränderten Pflanzen?

Essen soll natürlich sein. Das ist das Begehren der meisten Menschen in der EU und schon längst keine Marotte von Grünwählern mehr. Sie kaufen bio und achten vermehrt darauf sogenannte künstliche Inhaltsstoffe zu vermeiden, sofern es ihnen möglich ist. Entsprechend skeptisch sind sie hinsichtlich der Anwendung von Gentechnik in der Landwirtschaft bzw. bei der Herstellung von Lebensmitteln.

Diesem Bedürfnis kommt zum Beispiel das Label „Ohne Gentechnik“ nach, das in Deutschland seit 2009 vergeben wird. Eingeführt wurde es aufgrund der in EU unterschiedlich strengen Vorgaben für den Einsatz von Gentechnik. Vor der Einführung des Labels konnten Verbraucher Fleischprodukten beispielsweise nicht ansehen, ob die Futtermittel der Rinder gentechnisch verändert wurden.

 

Notwendige Reform

 

Aber trotz der weitverbreiteten Zweifel an Gentechnik hat sich das EU-Parlament nun dafür ausgesprochen, die Vorschriften für ihren Einsatz in der Landwirtschaft, für die sogenannte „grüne Gentechnik“ zu lockern. In einer langen Debatte mit mehreren hundert Änderungsanträgen setzten sich die Stimmen durch, die in der Gentechnik - im Einklang vieler Wissenschaftler z. B. der Leopoldina Universität - eine Chance sehen - sowohl wirtschaftlich als auch in der Ernährungs- und Klimakrise. Das heißt zwar nicht, das die Lockerungen beschlossene Sache sind. Die Länder werden nun in die sicherlich kontroverse Debatte einsteigen. Aber da viele andere EU-Länder weniger strenge Vorschriften als Deutschland haben, ist es sehr wahrscheinlich, dass sich hierzulande die Regelungen lockern werden. Das wird sehr wahrscheinlich auch bedeuten, dass Pflanzen, die mit „neuen genomischen Techniken“ (NGT) gezüchtet werden, konventionell gezüchteten Pflanzen praktisch gleichgestellt werden.

Zurück geht dieser Reformierungsprozess auf eine gemeinsame Stellungnahme der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina, der Deutsche Forschungsgemeinschaft und der Union der deutschen Akademien der Wissenschaften von 2019, die darlegte, dass der bis dato geltende verfahrensbezogene Regulierungsansatz der EU wissenschaftlich nicht mehr begründbar sei.

 

Die Genschere

 

„Grüne Gentechnik“, das heißt, es soll mit modernen genverändernde Verfahren neue Pflanzenzüchtungen erschaffen werden, die resistenter gegen „Klimastress“ sind, sprich gegen Hitze-und Dürrephasen. Aber auch umgekehrt soll der Anbau von Nutzpflanzen so umwelt- und klimaverträglicher werden. Vorstellbar sei auch, Pflanzen vitaminreicher und weniger allergen zu züchten.

Hierzu würde der Einsatz neuer Verfahren wie der Genschere CRISPR/Cas in der EU zur Normalität werden, die der konventionellen Gentechnik der ersten Generation weit überlegen sein soll. Diese neue Technologie mache es im Gegensatz nur alten möglich, Gensequenzen gezielt von einer Art auf eine andere Art zu übertragen und damit sogenannte transgene Organismen zu erzeugen. Bei der „Grünen Gentechnik“ steht im Fokus, gezielt einzelne Gene abzuschalten oder abzuwandeln. Solch präzise Eingriffe, die bestimmte Stellen im Erbgut genau anpeilen und umschreiben, nennt man Genomeditierungsmethoden. Ähnliches betreibt auch die konventionelle Pflanzenzüchtung, nur viel langsamer.

 

Die gespaltene Landwirtschaft

 

Die Landwirtschaft, die von der Gentechnik profitieren soll, reagiert auf die Nachricht aus Brüssel gespalten. Der Kreisverband des niedersächsischen Landvolks Bremervörde-Zeven beispielsweise würde es „begrüßen, wenn im Bereich der grünen Gentechnik in Deutschland mehr geforscht wird. Andere europäische Länder sind in diesem Bereich mittlerweile viel weiter. Durch fehlende Forschungsgelder hinken wir inzwischen bei der grünen Gentechnik hinterher.“ Gerade im Hinblick auf den Klimawandel erwartet das hiesige Landvolk sich von der grünen Gentechnik für die Landwirtschaft neue Möglichkeiten und Chancen. Aber: „Es müssen aber auch die Risiken gründlich erforscht werden.“

Risiken, ökologischer aber auch ökonomischer Natur, sieht die Junge Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (jAbl) bereits jetzt. Ökologisch riskant sei sie, wie sich außerhalb der EU zeige, wo die Gentechnik verstärkt zum Einsatz kommt, weil sie vor allem zu Pestizidtoleranz und damit zur Produktion von Schädlingsgiften geführt habe, „welche keine Antwort auf strukturelle Fragen wie den Klimawandel und das Artensterben leisten können, sondern diese eher vorantreiben.“

Und ökonomisch diene Gentechnik vor allem Großkonzernen, „welche sich durch Patentierung dieser Pflanzeneigenschaften an der Vielfalt bereichern können und Abhängigkeiten aufbauen.“ Damit würde die bisherige Konzentration des weltweiten Saatgutmarktes noch weiter zugenommen, sodass die vier größten Unternehmen über 60% des Saatgutes in der Hand hielten. Dabei sollte „Saatgut als Kulturgut und Grundlage für alles Leben auch zugänglich bleiben und nicht zum Eigentum von Konzernen werden.“

Aber auch grundsätzlich zweifle die jAbl auch an der Hypothese, Gentechnik könne die Resistenzkraft von Pflanzen gegen den Klimawandel erhöhen. „Pflanzen, welch durch gentechnische Veränderung weniger Spaltöffnungen besitzen, verdunsten bei der Aufnahme von Luft zur Photosynthese weniger Wasser, woraus die Hypothese entspringt, dass sie potenziell besser mit Trockenstress umgehen können. Doch gleichzeitig haben sie große Herausforderungen sich selbst bei Hitze zu kühlen, wofür das verdunstende Wasser sonst sorgen würde“, so jAbl Sprecher Raffael Kreißl.

 

Eine Frage der Regulierung

 

Reinhard Bussenius von den Bremervörder Grünen teilt die Skepsis von Kreißl. Auch er kritisiert, dass Gentechnik bisher zu vermehrtem Pestizideinsatz geführt habe und betont die Gefahr, einer „Monopolisierung bei der Produktion von Nahrungsmitteln und unserer Lebensgrundlagen.“ Zudem seien gentechnisch veränderte Pflanzen, wenn sie freigesetzt werden, nicht einzugrenzen. „Sie breiten sich auf Nachbarfelder aus, in denen nicht manipulierte Pflanzen angebaut werden.“ Sie seien nicht „rückholbar“, was den Verbraucherschutz tangiere, der entscheiden können muss, ob er gentechnisch veränderte Lebensmittel essen will oder nicht.

Seitens der Leopoldina heißt es, dass die Monopolisierung nicht an der Technik selbst liege, sondern eine Frage der politischen Regelung sei. Zudem seien die Verfahren der Genomeditierung weniger kostenintensiv. Würden sie, wie vonseiten der Wissenschaft empfohlen, weniger streng reguliert, hätten künftig auch kleine und mittlere Unternehmen Chancen, genetisch veränderte Sorten beziehungsweise deren Saatgut zu entwickeln und zu vermarkten.

Auf den Zusammenhang von grüner Gentechnik und vermehrtem Pestizideinsatz und negativen Auswirkungen auf die Artenvielfalt wird entgegnet, dass „das mit der Züchtungstechnologie an sich nichts zu tun“ habe, sondern an der Art der Landwirtschaft, die betrieben wird, also an Monokulturen und intensivem Einsatz von Pflanzenschutzmitteln. Viele Projekte mit den neuen Methoden der Genomeditierung hätten hingegen umweltfreundliche Ziele: Es geht um die Züchtung von Pflanzen, die widerstandsfähig gegen Schädlinge und Krankheiten sind, ohne dass große Mengen chemischer Mittel eingesetzt werden müssen.

Und hinsichtlich Artenvielfalt seiwichtig zu wissen: Weil der Einsatz von Werkzeugen wie der Genschere relativ einfach sei und wenig koste, rentierten sich damit auch Projekte mit seltenen oder nur regional verbreiteten Arten sowie mit ursprünglichen Kulturpflanzenarten. Auf diese Weise könnten die neuen genomischen Verfahren sogar zum Erhalt von Artenvielfalt beitragen.

So scheinen grüne Gentechnik und grüne Landwirtschaft nicht per se einander auszuschließen. Ihre reale Kompatibilität ist eine Frage politischer Regulierung und welchen Primat die Politik legen wird: aufs Management der Ernährungs- und Klimakrise oder auf die Erwirtschaftung von Profiten multinationaler Konzerne.


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