Es gab einen Traum
Das Amerika der 1950er Jahre ist geprägt von Diskriminierung und Rassentrennung. Beleidigungen, Handgreiflichkeiten und Proteste standen auf der Tagesordnung. Die Geschichte des Rassismus in den USA ist lang und beinahe genauso lang kämpft die schwarze Bevölkerung für ihre Rechte. Auch nach dem Ende der Sklaverei mit dem 13. Verfassungszusatz vom 31. Januar 1865. Denn seither kam es anhaltend bis in die 1980er Jahre immer wieder zu Rassenunruhen, zu pogromartigen Angriffen von Weißen auf Schwarze mit vielen Toten. 1866 beispielsweise griffen bewaffnete Demokraten ein gemischtrassiges Treffen von Republikanern in New Orleans an, mit fast 40 Toten. Zur vollen formalen Gleichberechtigung mit den Civil und Voting Rights Acts war es noch ein weiter Weg.
Mehr antirassistisch-transformative Dynamik auf den Weg brachten die 1950er Jahre. Proteste und Demonstrationen nahmen ganz andere Ausmaße an. Die schwarzen Bürger:innen fingen vermehrt an, sich aktiv gegen die Schikanen der Weißen zu stellen. Der friedliche aber eindringliche Protest von Rosa Parks, die sich im Dezember 1955 in Montgomery weigerte, in einem Bus ihren Sitzplatz für einen weißen Bürger frei zu machen und daraufhin verhaftet wurde ging als der Tag in die Geschichte ein, an dem die Bürgerrechtsbewegung geboren wurde.
Von da an nahm die Geschichte ihren Lauf. Die erste große Protestaktion der afroamerikanischen Bürgerrechtsbewegung war der Boykott des öffentlichen Nahverkehrs in Montgomery. Dieser stand unter der Leitung von keinem geringeren als Martin Luther King Jr.
Martin Luther King Jr.
Geboren am 15. Januar 1929 in Atlanta war Martin Luther King Jr. der Sohn eines Predigers und einer Lehrerin. Seine ersten persönlichen Erfahrungen mit Rassismus machte er bereits nach seiner Grundschulzeit. Die Eltern seines besten Freundes, ein Weißer, verboten ihm, Kontakt zu ihm zu haben.
Als junger Mann wurde er durch Rosa Parks Protestaktion dazu inspiriert, sich Rassismus nicht mehr gefallen zu lassen und beteiligte sich aktiv an dem Boykott des Nahverkehrs und wurde seinerseits zu einer anderen inspirierenden Figur des antirassistischen Protests. Vor allem sein Mut begeisterte viele Menschen und aus der kleinen Gruppe von Bürgerrechtlerinnen wurde innerhalb weniger Jahre eine große Bewegung.
1963 wurde er schließlich vom Times Magazine zum Mann des Jahres gewählt und 1964 wurde ihm als jüngster Mann überhaupt der Friedensnobelpreis verliehen. Diese Würdigungen sind besonders seiner Rede beim Marsch auf Washington zu verdanken.
Der Marsch
Mehr als 250.000 Menschen versammelten sich am 28. August 1963 am und um dem Platz des Lincoln Memorials. Sie demonstrierten für Rassengleichheit und gegen Diskriminierung. Der Protestmarsch wurde nicht nur in den USA im Fernseher gezeigt, sondern auch nach Europa übertragen. Er gilt als Kulminationspunkt der Bürgerrechtsproteste, wie die 17 minütige Rede von Martin Luther King Jr. den Höhepunkt der Versammlung darstellt.
Die Rede
Doch zu Anfang mochte Martin Luther Kings Rede beim Publikum nicht recht zu verfangen. Die Zuhörenden hatten bereits mehrere Leute gehört und scheinen erschöpft. Erst nachdem die in der Nähe stehende Gospelsängerin Mahalia Jackson ihm zurief, King solle über seinen Traum von einer gleichberechtigten Welt sprechen, springt der Funke aufs Publikum sofort über.
Es ist zum einen seine pastorale Vortragsweise, die das kirchenaffine Publikum mitreißt. Biblische Metaphern, die Wiederholung wichtiger Satzteile, dramatische Sprechpausen, die Erhöhung der Tonlage während er zu den Pointen seiner Aussagen kommt sind Momente, die die Zuhörer:innen fesseln.
Zum anderen ist es natürlich der Inhalt der Rede, mit dem es King gelingt - ganz Priestersohn und Amerikaner -, radikale schwarze Kritik mit der Möglichkeit der Versöhnung auf Grundlage des „american dream“ zwischen Schwarz und Weiß zu verbinden.
Anders als Malcom X, der einen schwarzen, segregationistischen Nationalismus vertritt, wonach die Freiheit der Schwarzen in einer lebensweltlichen Trennung von den Weißen liege, ist für Martin Luther King Jr. das Schicksal der Schwarzen mit dem der Weißen verschränkt. „Viele unserer weißen Brüder, wie es sich durch ihre Anwesenheit hier zeigt, haben erkannt, dass ihr Schicksal mit unserem Schicksal verbunden ist. Sie haben auch erkannt, dass ihre Freiheit unentwirrbar mit unserer Freiheit verbunden ist. Wir können nicht alleine gehen ...“.
Rassismus ist für King Ausdruck gesamtgesellschaftlicher Unfreiheit und nur durch die Freiheit aller von Armut und Ohnmacht zu beseitigen. Womit er an die Erfüllung des amerikanischen Traums appelliert und die Nation dazu auffordert „der wahren Bedeutung seines Glaubensbekenntnisses gerecht zu werden: „dass alle Menschen gleich geschaffen sind“.
Gewalt gegen Weiße, wie Malcom X sie auf dem Weg der Befreiung nicht ausschließt, kann für King keine Option sein. „Wir dürfen nicht erlauben, dass unser kreativer Protest in physische Gewalt degeneriert ...“
Die Auswirkungen
Nicht zuletzt diese Ausrichtung von Kings Antirassismus, in der sich Gesellschaftskritik aus der Erfahrung eines Schwarzen mit einer allgemeinen Versöhnungsperspektive verbinden, hat ihn für die weißen politischen Machthaber annehmbar gemacht.
Etwa ein Jahr nach dem Marsch wurde die Rassentrennung mit dem „Civil Rights Act“ per Gesetz aufgehoben. Schon 1963 legte Präsident John F. Kennedy einen Entwurf dem Kongress vor, er wurde jedoch abgelehnt. Am 2. Juli 1964 wurde er dann offiziell von Präsident Johnson unterzeichnet. Im Dezember 1964 ging King noch einen Schritt weiter und forderte bei einem Treffen mit dem Präsidenten die gleiche Beteiligung von Minderheiten bei Wahlen. Johnson sprach sich zwar dafür aus, zweifelte aber die Machbarkeit an. Doch am 6. August 1965 war es dann so weit und er unterzeichnete den „Voting Rights Act“, nach dem alle wählen gehen durften.
Damals und heute
60 Jahre nach der Rede gelten formal die gleichen Rechte für Weiße und Schwarze. Es gab sogar mit Barack Obama einen schwarzen Präsidenten. Doch die systematische Trennung von Weißen und Schwarzen reist insgesamt nicht ab. Besonders die Ermordung von George Floyd 2020 durch einen Polizisten zeigte, dass Diskriminierung und Rassismus nach wie vor Realität sind. Zahlreiche soziologische Studien belegen, dass die Mehrheit der wohlhabenden und erfolgreichen Bevölkerung weiß ist.
Die Erfüllung von Martin Luther Kings Traum ist also noch immer nicht erreicht. Eben weil bis heute
nicht „die Gerechtigkeit wie ein Gewässer und Rechtschaffenheit wie ein mächtiger Strom herunterquellen“, wodurch King das Ende des Rassismus verbürgt sah und woran so manche:r Antirassist:in zum Jahrestag von Kings Rede zu erinnern ist, der heute glaubt, Anleihen beim Segregationismus von Malcom X nehmen zu müssen.
Der wird niemals zu einer Welt führen, in der Menschen nicht „wegen der Farbe ihrer Haut, sondern nach dem Wesen ihres Charakters beurteilt werden.“ Im Gegenteil.
Quellen: bpb, dlf, geo, jungle world, lehrer news