Patrick Viol

Die Verschärfung der Abschiebepraxis

Das Bundeskabinett will mehr und schneller abschieben und hat dazu einen Gesetzesentwurf auf den Weg gebracht, der für Diskussionen sorgt. Auch vor Ort.

Neue deutsche Härte: "Wir müssen mehr und schneller abschieben", so Olaf Scholz.

Neue deutsche Härte: "Wir müssen mehr und schneller abschieben", so Olaf Scholz.

Bild: Bundesregierung/Steins

Bundeskanzler Scholz hat mit seiner Aussage im Spiegel-Interview in der Ausgabe vom vergangenen Wochenende, dass die Bundesregierung endlich anfangen müsse, „im großen Stil diejenigen ab(zu)schieben, die kein Recht haben, in Deutschland zu bleiben“ große Wellen geschlagen. Neben Israels Verteidigungskrieg gegen die Hamas ist sogenannte Migrationskrise das Thema der Woche.

Das Kabinett will jene, die keine Bleibeperspektive in Deutschland haben, weil sie sich nicht auf Schutzgründe berufen können, schneller zur Ausreise drängen. Manche Abschiebeverfahren dauerten 39 Monate. „Das geht nicht. Wir müssen mehr und schneller abschieben“, so Scholz.

Diese Verschärfung der Asylpolitik - als bessere Regulierung „irregulärer Migration“ verhandelt - sei weder von Ressentiment getragen oder - im Hinblick auf die Erfolge der AfD - taktisch, sondern notwendig. Die kommunalen Behörden müssten entlastet werden.

 

Die geplanten Maßnahmen

 

Der entsprechende Gesetzesentwurf, vorgelegt von Nancy Faeser, wurde diese Woche vom Kabinett beschlossen und liegt nun dem Bundestag zur Beratung vor. Das darin enthaltene Maßnahmenpaket sieht u.a. vor, die Höchstdauer des sogenannten Ausreisegewahrsams von derzeit zehn auf 28 Tage zu verlängern. Dies soll verhindern, dass Abzuschiebende vor einer Rückführung untertauchen. Zudem sollen Polizei und Behörden mehr Durchsetzungsrechte im Abschiebeprozess erhalten und fortan auch in Gemeinschaftsunterkünften nach Ausreisepflichtigen suchen dürfen bzw. in Räumen, die diese selber nicht bewohnen.

Zudem sollen Abschiebungen zuvor Geduldeter nicht mehr vorher angekündigt werden, außer bei Familien mit Kindern unter zwölf Jahren. Auch gegen Schleuser soll härter vorgegangen werden. Dem Gesetz folgen müssen Abkommen mit Herkunfts-und Transitländern, die bislang fehlen. Gleichzeitig soll neben der Verschärfung die Einwanderung von Fachkräften und die Integration in den Arbeitsmarkt verbessert werden. Das dazugehörige Maßnahmenpaket wird noch nachgeliefert.

 

Fragwürdige Rhetorik

 

Der Kanzler wisse wie sein Vize Robert Habeck, dass der Vorstoß seiner Regierung der Härte nicht entbehrt. So sehr Habeck den Wunsch nach einem guten Leben als Fluchtgrund nachvollziehen kann - „er ist keine politische Antwort“, wie er es im Interview mit den Tagesthemen formuliert. Und der Kanzler glaube seine Partei hinter sich: „Die SPD steht voll hinter dieser Linie.“

Das stimmt so nicht. Die Jusos gehen Scholz z.B. hart an. Mehr abzuschieben sei „eine Forderung direkt aus dem Vokabular des rechten Mobs“, schreibt der Jugendverband auf X (ehemals twitter). Aber auch das Osterholzer SPD Mitglied Frederik Burdorf stehe in dieser Sache „nicht 100 prozentig“ hinter dem Kanzler und kritisiert die Anpassung an die fragwürdige Rhetorik an die Opposition als „falsch“. Er finde konsequentes Vorgehen gegen Schleuser gut und sehe die hohe Belastung der Ämter und in der Flüchtlingsarbeit, die derzeitige Debatte werde aber auf dem Rücken der Schwächsten geführt und führe nicht zur Entlastung der Kommunen. „Mehr Abschiebungen bedeuten nicht, dass sich die Lage in den Kommunen sofort verbessert. Ein Abbau bürokratischer Hürden, gezielte Steuerung an den Außengrenzen und Fluchtursachenbekämpfung wäre die bessere Antwort.“ Burdorf plädiert für eine sachliche Debatte, die zum einen dafür sorgt, dass die vielen Probleme wie u.a. Reallohnverlust und Wohnungsnot nicht in Sozialneid umschlagen. Zum anderen müssten auf EU-Ebene Konzepte für humanitäre Fluchtrouten entwickelt und eine „faire Verteilung“ der Flüchtenden etabliert werden.

 

Verrohung der Praxis

 

Kritik kommt auch vom niedersächsischen Flüchtlingsrat. Letztlich würden nur die Grundrechte geflüchteter Menschen weiter eingeschränkt. Denn die nun beschlossenen Verschärfungen werden nicht signifikant mehr Abschiebungen bewirken. Allerdings würden sie dazu führen, dass die Praxis der Abschiebungen noch weiter verrohen werde und dass die Grundrechte der Geflüchteten künftig noch häufiger und intensiver verletzt würden, als dies heute schon der Fall ist. „Schon heute werden jährlich tausende (Kleinst)Kinder und ihre Eltern bei Abschiebungen traumatisiert. Schon heute entpuppt sich jeder zweite Inhaftierung in Abschiebungshaft als rechtswidrig“, so Muzaffer Öztürkyilmaz.

Er kritisiert wie Burdorf, dass mehr Abschiebungen die Probleme der Kommunen nicht lösten.

Die Politik sollte sich drauf konzentrieren, Geflüchtete möglichst frühzeitig eine gleichberechtigte gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen - und zwar unabhängig davon, aus welchem Land diese Menschen kommen. Zudem sollten Geflüchtete ausnahmslos arbeiten dürfen und sich weiter qualifizieren können. Das sieht auch Burdorf so.

 

Offener Brief der Union

 

Bei den Osterholzer und Rotenburger Kreisverbänden der CDU dürften sich die Mitglieder vom Vorgehen des Kanzlers - zumindest der Tendenz nach - gehört fühlen. Die Rotenburger Kreistagsgruppe CDU/FDP/WFB (BLZG)/FW beanstandete bereits vor dem Interview, dass die gestiegenen Flüchtlingszahlen - von 548 2022 auf 934 - „die Kommunen insbesondere in Bereichen wie Unterbringung, bei Betreuungsangeboten und in der Gesundheitsversorgung vor immense Herausforderungen“ stellten. Ebenso kritisierten sie, dass nicht alle Kosten von Land und Bund übernommen werden. „Um die Aufnahmebereitschaft und Integrationsfähigkeit nicht zu gefährden, muss die Zahl der Asylanträge deutlich sinken. Wer keine Bleibeperspektive hat, muss zudem konsequent abgeschoben werden“, heißt es als Forderung. Ansonsten komme die Kommune „an ihre Kapazitätsgrenze“.

Ähnlich sehen das der Osterholzer Parteichef und der Fraktionsvorsitzende der Union Fabian Albrecht und Rainer Sekunde. Sie haben zum Thema einen offenen Brief an EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sowie an Bundeskanzler Olaf Scholz und Ministerpräsident Stephan Weil geschrieben, wie das Osterholzer Kreisblatt am 7. Oktober berichtete. Sie sorgten sich um die Leistungsfähigkeit des Landkreises und seiner Mitgliedsgemeinden sowie um die Aufnahmebereitschaft der Bevölkerung und machen Vorschläge zur Neuausrichtung der Migrationspolitik. Sie schlagen u.a. vor, dass bereits in den Herkunftsländern geklärt wird, ob ein Asylantrag Aussicht auf Erfolg hat oder ein Schutzgrund nach der Genfer Flüchtlingskonvention vorliege. Weiter sollen abgelehnte Asylbewerber:innen sich grundsätzlich in sogenannten Rückkehrzentren aufhalten und Flüchtlinge aus sicheren Herkunftsländern umgehend ausgewiesen werden - Geflüchtete ohne Bleibeperspektive dürften nicht weiter auf niedersächsische Kommunen verteilt werden. Zuwanderung sei zwar nötig, jedoch „nicht ungeregelt und automatisch in die Sozialsysteme“. Zudem seien Geldleistungen auf das Notwendigste zu reduzieren.

 

Kritik an der Union

 

Das Vorpreschen der Union bezeichnet die Osterholzer Linke als „schamlose Anmaßung“. Sekunde und Albrecht griffen mit „Genuss“ eine „rassistisch aufgeladene Debatte auf, um sich als Sprecher der offenbar schweigenden Mehrheit der Osterholzer Bevölkerung aufzuspielen.“ Die Christdemokraten missbrauchten „berechtigte Zukunftsängste vieler Menschen, um ihr politisches Süppchen zu kochen“, mit der sie lediglich die alte Mär vom „Der Ausländer ist‘s“ aufwärmten.

Auch der Flüchtlingsrat hält die Ausführungen der CDU für „dreist“. Die Union betreibe „Symbolpolitik auf dem Rücken Geflüchteter.“ Sie verbreite das „Märchen der unkontrollierten Zuwanderung“ - wohl wissend, dass auch im Rahmen von Kontrollen an den europäischen Binnengrenzen Deutschlands, Menschen die Einreise dann nicht verweigert werden darf, wenn sie Asyl beantragen. Zudem unterschlage die CDU die Tatsache, dass z.B. Menschen aus Syrien und Afghanistan keinerlei Möglichkeit haben, legal in die EU bzw. nach Deutschland einzureisen. Außerdem kämen die Menschen nicht nach Deutschland wegen der Sozialleistungen, sondern fliehen aufgrund von Verfolgung, Krieg oder existenzieller Armut. „Völlig absurd“ sei der Vorschlag, die Asylverfahren in der Herkunftsstaaten der Betroffen durchführen zu wollen. „Wie sollen Asylverfahren in Syrien, Afghanistan, Somalia oder bspw. Eritrea durchgeführt werden?“

 

Landkreis bewältigt Herausforderung

 

Dass der verstärkte Zustrom von Geflüchteten für den Landkreis und die Kommunen eine große Herausforderung darstellt, sei unbestritten, so der Pressesprecher des Osterholzer Landkreises Sven Sonström. Dabei gehe es vor allem um Unterbringung, Betreuung und Integration der Geflüchteten. Die Herausforderungen konnten bisher aber bewältigt werden. Zudem habe der Landkreis nicht den „Eindruck eines breiten Akzeptanzverlusts. Gleichwohl ist nicht ausgeschlossen, dass diese bei unvermindert hohen Zugangszahlen abnimmt.“

Dennoch werde eine Entlastung der Verwaltung begrüßt - dazu würden schnellere „Rückführungen ausreisepflichtiger Personen einen Beitrag leisten. Vor allem im Hinblick auf den knappen Wohnraum. Die nun beschlossenen Maßnahmen räumten allerdings nur einen Teil der Hinderungsgründe aus für schnellere Abschiebungen aus.

Im Landkreis Osterholz gibt es aktuell 243 ausländische Personen, die dem Grund nach ausreisepflichtig seien, sich aber im Status einer Duldung befinden. Bei dem weit überwiegenden Teil dieser Personen liegen Gründe vor, die einem sofortigen Vollzug der Ausreise entgegen stehen. Darunter fallen z.B. Krankheit, eine begonnene Ausbildung oder Passlosigkeit.

Gerade im Hinblick auf den letzten Punkt sei die Bundesregierung gefragt. Sie müsste Abkommen mit den Herkunftsstaaten zur Rückübernahme auch ohne Dokumente schließen - das würde „zu einer besseren Handlungsfähigkeit und Entlastung führen“, so Sonström.

Handlungsunfähig ist die Kommune aufgrund ein paar Ausreisepflichtiger ohne Duldung aber nicht.


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