

Bremen. Heinz-Günter Prager gehörte zu den Künstlern, die ihrem durch enorme Seherfahrung fundierten persönlichen Urteil immer wieder ein „ist doch klar“ folgen ließen. Prager wusste was gut ist. Wem das nicht klar war, dem erklärte er es und dabei verließ er die Ebene der typischen bundesrepublikanischen Künstlerarroganz und zeigte, wie reich ein Leben sein kann, das mit Kunst gefüllt ist. Er machte deutlich, dass die doppelte Frage „Was ist das Kunstwerk und wie wirkt es?“ ein scharfes Filetmesser ist – vor allem dann, wenn nichts wirklich ist und nur wirkt, was dazu erzählt wird.
Theorie der Dreiecksverbindung
Nach seinem Studium an der Werkkunstschule in Münster kam Prager 1968 nach Köln. Während viele seiner Zeitgenossen danach suchten, wie man die als eng empfundenen Grenzen der Bildhauerei auflösen könne, suchte er umgekehrt nach ihrem Kern und verband dazu die Renaissance des Konstruktivismus in der deutschen Kunst seit 1965 mit dem neuen Phänomen der Konzeptkunst.
Aus der Analyse von Skulptur und ihrer Wirkung entwickelte er 1974 und 1978 eine Theorie der Dreiecksverbindung zwischen Objekt, Raum und Betrachter. Mit einfachen Kategorien wie Aufsicht, Ansicht oder Untersicht sowie der Frage, wie die Tiefenausdehnung eines Objekts wahrgenommen werden kann, entstand ein theoretisches Gebilde von großer analytischer Präzision, das bis heute lesenswert ist. Aus seiner Analyse zog Prager die Konsequenz nie höher als 210 cm zu arbeiten. Mehr Höhe, so Prager, sei nur ein Zeichen von Macht, während die dazugehörige Untersicht eines der Unterwerfung sei. Bemerkenswert ist, dass er nur einmal von dieser Prämisse abgewichen ist: Bei einer Arbeit für die Bundesagentur für Arbeit in Herford (1988) passte er sich der Architektur an. Sonst dachte er seine Kunst immer vom Menschen her.
Jenseits der Symmetrie
Prager bevorzugte die Bodenplastik, bei der ein Betrachter die Ausdehnung und Struktur sofort wahrnehmen und bei der es kaum räumliche Illusion geben kann. Dabei ging es ihm nie um möglichst einfache Bildmittel und mathematische Anordnung, sondern umgekehrt darum, mit geometrischen Grundformen eine komplexe Komposition zu schaffen, die zum Befragen anregt. In diesem Zusammenhang vertiefte er sich in mathematische Ordnungssysteme jenseits der einfachen Symmetrie. Innerhalb seiner Skulpturen herrschen präzise, nachvollziehbare Maßverhältnisse. Sie verbinden seine Kunst bei aller industriellen Anmutung eher mit der italienischen Renaissance als mit dem amerikanischen Minimalismus. Seine Untersuchungen zu Ordnungssystemen führten ihn zur islamischen und hinduistischen Kunst und stärkten seine Überzeugung, dass hinter dem, was gut ist, eine nachvollziehbare Systematik steckt.
Kunst und Stahlwerk
Pragers Kunst wurde von der engen Zusammenarbeit mit der westdeutschen Metallindustrie geprägt. 1973 erhielt er über den Bundesverband der deutschen Industrie (BDI) die Möglichkeit, in einem Stahlwerk zu arbeiten und diese Verbindung, die 1975 zu seiner ersten großen Ausstellung im Museum Folkwang in Essen führte, sollte anhalten. Die Auseinandersetzung mit dem Material und seinen Möglichkeiten, von industriell gefertigten Rohren in den 1970er-Jahren bis hin zu den riesigen geschmiedeten Skulpturen der späten 1990er-Jahre verbindet seine Kunst eng mit dem wirtschaftlichen Aufschwung Westdeutschlands, dem Ruhrgebiet als Stahlschmiede Europas und dem Wilhelm Lehmbruck Museum in Duisburg. Bis 2010 folgte dieses Museum der Idee einer fortschreibenden modernen Skulptur mit einer eigenen immanenten Logik und dazu passte kein deutscher Bildhauer so gut wie Heinz-Günter Prager. Von 1983 bis 2010 war er Professor an der HBK Braunschweig.
Radikale Konsequenz prägte auch seine letzten Jahre. 2017 schuf er seine letzte Skulptur und widmete sich fortan der Fertigstellung seiner Werkverzeichnisse. Darin wird sichtbar, wie prominent Prager in deutschen Museumssammlungen vertreten ist und sich in die Kunstgeschichte eingeschrieben hat. Sein künstlerisches Werk übergab er der Gerhard-Marcks-Stiftung in Bremen und seinen schriftlichen Nachlass dem Deutschen Kunstarchiv des Germanischen Nationalmuseums in Nürnberg. Damit ist gesichert, dass dieser Bildhauer, dessen einfache doppelte Frage im heutigen Kunstbetrieb immer wieder zu Irritationen führt, nicht den Mechanismen dieses Betriebs zum Opfer fällt.
Heinz-Günter Prager ist am Mittwoch, 11. Juni, im Alter von 80 Jahren in Köln gestorben.