

(pvio/jm) Kann ein Musikfestival an einem ehemaligen Kriegsgefangenen- und KZ-Auffanglager zur Stärkung von Demokratie und Frieden beitragen?
Anlässlich des Friedensfestivals am Sonntag, 15. Juni, in der Gedenkstätte Sandbostel haben sich der Friedenspädagoge Michael Freitag-Parey und Pastor Kristian Goletz den kritischen Fragen nach Sinn und Grenzen friedenspädagogischer Arbeit gestellt. Sie sind überzeugt: Friedensengagement braucht nicht weniger, sondern mehr Realismus.
„Sandbostel konnte nur zur Gedenk- und Erinnerungsstätte werden, weil dieser Ort von bewaffneten Soldaten befreit wurde“, sagt Pastor Kristian Goletz. Lässt sich diese Lehre aus der Geschichte mit den Forderungen der Friedensarbeit vereinbaren? Der Holocaust-Überlebende Paul Spiegel hat - „völlig zu Recht“, wie Goletz bemerkt - davor gewarnt, dass sich „hinter dem Ruf nach Frieden oft die Mörder verschanzen“. Doch diese Erkenntnis stehe nicht im Gegensatz zur Friedensarbeit: „Das bedeutet aber nicht, dass Frieden nicht weiterhin ein lohnenswertes Ziel ist, für das es sich zu kämpfen lohnt.“
Friedenspädagogik zwischen Anspruch und Realität
In einer Zeit, in der sich autoritäre Gewalt weltweit wieder ausbreitet, wollen die Organisatoren keine falsche Friedensromantik verbreiten – aber sie bestehen auf Haltung. „Die Haltung innerhalb der Evangelischen Kirche Deutschlands ist da ähnlich ambivalent, wie im Rest der Gesellschaft“, sagt Goletz. „Ich finde, die damalige Ratsvorsitzende Annette Kurschus hat es 2023 treffend ausgedrückt: ‚Wir können die Angegriffenen ja nicht schutzlos lassen, wenn sie mit Raketen beschossen, ihres Landes beraubt, vergewaltigt und verschleppt werden.‘“
Auch Freitag-Parey verteidigt die Friedenspädagogik gegen den Vorwurf der Naivität: „Man wird dann schnell mit radikal pazifistischen, esoterischen Friedensapellen und dazu passenden Bildern von Demonstrationen und Protestaktionen behelligt, gleichgesetzt, abgetan und schlussendlich belächelt. Das ist mehr als bedauerlich.“ Friedenspädagogik sei vielmehr eine Einladung zu Empathie, Perspektivwechsel und Kritik: „Sie fragt nach gewaltfreien Alternativen und Ansätzen ziviler Konfliktberatung in der Welt und im kleinen Alltag.“ Sie lehre aber auch, „wo die Toleranz endet, wenn es nämlich um den Schutz anderer oder auch den eigenen geht.“ Den Widerspruch, dass Frieden in einer Welt der Nationalstaaten auch die Vorbereitungs des Krieges erfordere, müsse man akzeptieren und klar benennen. „Als Kirchengemeinden müssen wir dann auch auf der seelsorgerlichen Ebene dabei unterstützen, diesen Widerspruch auszuhalten“, so Pastor Goletz.
Keine Romantik, aber Verantwortung
Auf die Frage, ob man auch Diktatoren wie Putin oder Khamenei „eine Chance für den Frieden“ geben solle, sagt Goletz: „Natürlich sollte man Putin und Khamenei eine Chance für den Frieden geben. Immer wieder. Was sonst ist die Aufgabe internationaler Diplomatie?“ Die entscheidende Frage sei: „Was versteht die andere Seite unter Frieden und will sie ihn wirklich?“ Vor „Lippenbekenntnissen und Täuschungsmanövern“ müsse man auf der Hut sein.
Den militärischen Selbstschutz von Demokratien stellen beide nicht infrage – im Gegenteil. „Solange nicht echter, gerechter Frieden auf der Welt ist, solange Menschenfeinde die Welt mit ihren Armeen bedrohen, solange braucht es eine demokratisch gesinnte Armee, die sich dem Frieden verpflichtet fühlt“, sagt Goletz. Aufgabe der Friedensarbeit sei es, die Menschen innerhalb und außerhalb der Bundeswehr an diese Ziele zu erinnern. Auch Freitag-Parey erkennt das an und betont zugleich die Bedeutung zivilgesellschaftlicher Arbeit. Er schätze die Arbeit der Bundeswehr und verweist auf die gute Kooperation zwischen der Fallschirmjägerkaserne in Schiffdorf und der Gedenkstätte - sagt aber auch: „Aufrüstung, mehr Soldaten und neue Waffensysteme alleine werden unsere Zivilgesellschaft nicht resilient machen.“ Er wünsche sich, dass die Jugendarbeit gestärkt werde. „Vereine, Feuerwehr, Evangelische Jugend.“
Musik als Brücke, nicht als Lösung
Dass Musik keine Waffen ersetzt, ist den Veranstaltern bewusst - sie setzen auf Begegnung und die Wirkung der historischen Gedenkstätte: „Musik ist eine Brücke, mit deren Hilfe sich Menschen begegnen, die sich so sonst im Alltag nicht treffen würden. Menschen aus und mit ganz unterschiedlichen Hintergründen. Musik eröffnet Raum und Zeit für Begegnung und Austausch, neue Impulse.“
Der Ort, an dem das Festival stattfindet, sei dabei bewusst gewählt: „Einen solchen Raum zu schaffen, ist einer der Gründe dafür, genau hier, auf dem Gelände des ehemaligen Kriegsgefangenen- und KZ-Auffanglagers Stalag X B, das Festival stattfinden zu lassen. Wir haben bei den vorherigen Festivals die Erfahrung gemacht, dass sich Menschen durch die Musik und die Geschichte, die der Ort erzählt, ansprechen und inspirieren lassen.“
Goletz ergänzt: „Das Festival wird natürlich nicht dazu führen, dass Putin die Waffen niederlegt. Trotzdem soll es einen Ort bieten, an dem Menschen sich begegnen, denn Begegnung schafft Verständigung und baut Feindbilder ab.“ Eine Erinnerungskultur, die sich „nur auf das bezieht, was mal war, und stolz erzählt, wie gut wir Deutschen das bewältigt haben, verkommt zum Gedächtnistheater.“
Das Friedensfestival in Sandbostel beginnt am Sonntag, 15. Juni, um 15 Uhr. Der Eintritt ist frei. Erwartet werden acht Bands, Begegnungen, Ausstellungen – und viele offene Fragen.