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Jan Dohrmann

8. Mai: Tag der Befreiung

Grußwort von der Gedenkstätte Lager Sandbostel

Fête de la Victoire, Den‘ Pobedy, Bevrijdingsdag, Den vítezství, Liberation Day, Den Peremohy, Anniversario della Liberazione. Vielerorts wird in diesen Wochen der Befreiung respektive des Sieges vor 76 Jahren gedacht. Die Kapitulation der Wehrmacht bedeutete zwar kein abruptes Ende des Leids, aber die militärische Niederlage Deutschlands beendete Genozide, Vernichtungskrieg und die nationalsozialistische Besatzung Europas. Im bundesdeutschen Sprachgebrauch dauerte es sehr lange bis sich neben „Kriegsende“ ein weiterer Begriff für den 8. Mai behaupten konnte: Tag der Befreiung. Und anders als in vielen Teilen Europas gab es nie einen gesetzlichen Feiertag, der an das Ende der NS-Herrschaft erinnert. In der DDR wurde 1966 und später noch an runden Jahrestagen als „Tag der Befreiung des deutschen Volkes vom Hitlerfaschismus“ begangen, verklärte jedoch Besiegte ausschließlich zu Befreiten.
Seit dem Frühjahr 2020 sammelt eine Initiative auf der Plattform change.org Unterschriften (Stand: 127.000) für einen Feiertag am 8. Mai. Sie fordert dies in einer Zeit, in der Rechtsextreme wieder in deutschen Parlamenten sitzen, in der Antisemitismus und Verschwörungsglaube erstarken, in der Menschen immer noch individuellen und strukturellen Rassismus erfahren, in der vermehrt rechte „Einzelfälle“ in Sicherheitsbehörden auftauchen, in der Geflüchtete an europäischen Außengrenzen sterben und in der Gedenkstätten verbal und tätlich angegriffen werden. Und jetzt, wo die Stimmen der Überlebenden und Zeitzeug*innen leiser werden, könnte uns ein arbeitsfreier 8. Mai wenigstens ein Mal im Jahr an die Wichtigkeit erinnern, uns mit den Ursachen, Wirkungen, Folgen des Nationalsozialismus auseinanderzusetzen und daraus Lehren für Gegenwart und Zukunft zu ziehen.
Gestartet wurde die Petition übrigens von der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten e.V. und ihrer Ehrenvorsitzenden Esther Bejarano. Die 96-Jährige überlebte Zwangsarbeit, Auschwitz, das KZ Ravensbrück und einen Todesmarsch. Im mecklenburgischen Lübz erlebte sie die Befreiung durch sowjetische und US-Truppen: Soldaten lagen sich in den Armen, ein Porträt Hitlers brannte, die junge Esther spielte Akkordeon. Der Gedanke daran, so Esther Bejarano vor wenigen Tagen in Hamburg, sei ihre Motivation für einen Feiertag am 8. Mai zu streiten. Doch das wird sich auch 2021 nicht erfüllen: „Jetzt muss ich bis zum nächsten Jahr darauf warten. Aber wir feiern diesen Tag trotzdem. Und ihr alle feiert mit uns!“


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