Völkisch hinter babyblau
Landkreis. „Ist was passiert?“, fragt AfD Parteichefin Alice Weidel auf süffisante Art. Vor ihr steht eine große Ansammlung von Journalisten. Eine größere als sonst. Weidel weiß natürlich, warum so viele Reporter am vergangenen Dienstag vor ihr stehen. Sie stellt nur vorab klar, dass sie sich von ihnen, die über die Correctiv-Recherche über ein „Geheimtreffen“ von Mitgliedern ihrer Partei mit CDUlern, Unternehmern und Neonazis in Potsdam im November sprechen wollen, nicht in Bedrängnis bringen lassen wird. Warum auch. In Potsdam seien lediglich Menschen privat zusammengekommen, die sich über Politisches unterhalten haben, so Weidel.
Das ist zwar nicht mehr als eine schlechte Abwiegelung, denn wenn sich Politiker mit Neonazis wie Martin Sellner und Unternehmern über eine massenhaft "Remigration" von Migranten und politisch Andersdenkenden unterhalten, dann ist das ein Vernetzungs- und Strategietreffen, worüber die Öffentlichkeit zu erfahren hat. Aber Weidel hat sich damit eine Vorlage gegeben, auf Angriff gehen zu können und wirft dem Rechercheteam „stasiähnliche Geheimdienst- und Zersetzungsmethoden“ vor. Diese Selbstsicherheit geht nicht zuletzt darauf zurück, dass die AfD aktuell laut den gängigen Umfragen die zweitstärkste Kraft im Land darstellt. Da scheinen dann auch solche Widersprüchlichkeiten egal zu sein wie die Tatsache, dass Weidel sich von ihrem Referenten Roland Hartwig getrennt hat, der bei dem Treffen in Potsdam dabei war. Oder dass der Neonazi Mario Müller, Mitarbeiter des AfD-Bundestagsabgeordneten Jan Wenzel Schmidt, seinerseits tatsächlich „stasiähnlich“ Informationen über politisch missliebige Privatpersonen sammelt und auf einer, wie Correctiv berichtet, „Fahndungsplattform“ öffentlich macht, um sie zur Zielscheibe der rechten, gewaltbereiten Szene zu machen.
Verbot und Grundrechtsentzug
Gegen diese Szene und ihren verlängerten Arm in deutsche Parlamente haben nach dem Bekanntwerden der Recherche von Correctiv in mehreren deutschen Städten jeweils einige tausend Menschen demonstriert. Und tun dies an diesem Wochenende weiter. Gefordert wird von einem großen Teil der Teilnehmer, dass die AfD verboten wird, weil von ihr eine faschistische Bedrohung ausgehe. Vor allem von Parteiverbänden im Osten, wo sie in drei Bundesländern als gesichert rechtsextrem eingestuft wurde und Landtagswahlen gewinnen konnte. Ein Versuch, hier gegenzusteuern, bildet eine Petition, die bewirken möchte, dass die Bundesregierung das Bundesverfassungsgericht damit beauftragt, Björn Höcke die Grundrechte zu entziehen, damit er keine politischen Ämter mehr bekleiden kann. Über eine Millionen Menschen haben die Petition - trotz des autoritären Geistes des den Grundrechtsentzug ermöglichenden Artikels 18 des Grundgesetzes - bereits unterzeichnet.
Aber auch die Bundestagsfraktion vertritt - auch wenn sie sich stets von Nazis zu distanzieren versucht - einen völkischen Nationalismus. Lars Klingbeil nannte Alice Weidel vor ein paar Tagen rechtsextrem.
Vergleiche nicht zielführend
Dennoch sollte man nicht vorschnell und die gesellschaftlichen wie politökonomischen Unterschiede von 1933 und 2024 ignorierend von einer modernen NSDAP sprechen oder einer „Wannseekonferenz 2.0“, wie es einige Juristen im Modus der Warnung getan haben. Dass Martin Sellner wie Hitler Massendeportationen plant, reicht zur Feststellung einer Wesensgleichheit nicht aus. Die NSDAP verfolgte ein klares antisemitisches Vernichtungsprogramm, dessen praktische Umsetzung sie auf der Wannseekonferenz organisierte. Ein solches liegt bei der AfD nicht vor und Vergleichbares wurde auch beim „Geheimtreffen“ nicht formuliert. Anderes zu behaupten, verwischt nur historische Spezifika (wie es aktuell unter postkolonialen Antirassiten zu Lasten Israels in Mode ist). Entsprechend hält auch Andreas Ehresmann, Leiter der Gedenkstätte Lager Sandbostel, die Vergleiche von AfD und NSDAP und dem „Geheimtreffen“ und der Wannseekonferenz nicht für zielführend. Wichtiger sei es, deutlich zu machen, dass die AfD ein völkisches Konzept verfolgt, dass von der Affirmationen eines homogenen Deutschen Volkes ausgeht, das Millionen Menschen ihre Existenz in Deutschland absprechen will.
Faschismus mehr als eine rechtsextreme Partei
Herbert Behrens, Mitglied der Vereinigung der Verfolgten des Naziregims/Bund der Antifaschisten (VVN/BdA) und Fraktionsvorsitzender der Linken im Osterholzer Stadtrat, formuliert es vorsichtig. Für ihn zeigt sich bei der AfD zwar „eine unverhohlene Anlehnung an den historischen Nationalsozialismus.“ Zugleich betont er den Unterschied zu den historischen Nazis und eine Ähnlichkeit mit bürgerlichen Parteien, die aktuell - zwar aus anderen Gründen - aber ebenso radikal die Folgen der Zuwanderung externalisieren würden: Deutschland, England und die EU haben ihre Abschiebepolitik drastisch verschärft. Auch sieht Behrens in der AfD aktuell keine akute faschistische Gefahr. Dazu reichen faschistische Überzeugungen einer Partei nicht aus. Ihr müsste eine Zusammenbruchskrise des globalen Kapitals entgegenkommen. Und ob das der Fall ist, müsste man sich erst einmal genauer anschauen.
Sein Parteikollege Mizgin Ciftci, aber auch die im Landkreis Rotenburg aktiven Politiker Bernd Wölbern (SPD), Renate Warren und Sven Kielau (Grüne) sind dagegen von einer akuten faschistische Gefahr überzeugt: „Sie verfolgt dieselben Ziele und nutzt identische Methoden wie das Original vor 90 Jahren“, so Wölbern. Deshalb unterstützt er sowohl die Forderung nach einem Verbot der AfD als auch danach, Höcke die Grundrechte zu entziehen. Auch Warren und Kielau unterstützen beide Vorhaben. Es wäre aber nichts schlimmer, würde ein Verbotsverfahren scheitern, denn „dann käme zu der leidenden und verfolgten Opferrolle der Neonazis auch noch der Sieg über ‚das System‘ hinzu“, so Wölbern.
Wie AfD bekämpfen?
Ciftci und Behrens halten es zwar für richtig, den Kampf gegen die AfD so breit wie möglich aufzustellen. Sie bezweifeln aber, ob die Delegation des Kampfes gegen faschistische Umtriebe an die „bürgerliche Gerichtsbarkeit“, wie Behrens es formuliert, der richtige Weg ist. Zudem sei Ciftci nicht davon „überzeugt, dass ein Parteiverbot auch die Zuspruchswerte für die AfD verhindert.“
Der Kampf müsse daher vor allem politisch geführt werden, so die Linkenpolitiker. Durch inhaltliche Kritik zum einen. Aber auch durch eine andere Politik „die den einfachen Menschen in diesem Land das Gefühl gibt, für ihre harte Leistung ihren gerechten Anteil zu bekommen“, sagt Ciftci. Wer - wie die Ampel - Politik gegen die Mehrheit betreibe - die Streichung des Klimageldes sei Ausdruck davon - produziere „Unmut gegenüber den parlamentarischen Repräsentantinnen und Repräsentanten und ihren Entscheidungen“, wovon die AfD profitiere. Denn so kann sie sich als die Partei der einfachen Leute inszenieren, die sie in Wirklichkeit nicht ist. Das verrät allein ihr permanentes Wettern gegen den DGB.
Eine andere Politik ist nötig
Dass sich an der Politik - sowohl der Ampel als auch der Opposition - etwas ändern muss, das sehen auch die hiesigen Vertreter der Regierungsparteien so. In Richtung Union, die populistischen Haltungen immer mehr Raum gegeben habe, lautet der Vorwurf von Warren und Kielau: „Bisher hat jede Wahl gezeigt, dass die Menschen lieber ‚das Original‘ wählen. Wir können nicht verstehen, dass die jetzigen Führungen von CDU/CSU dies nicht begreifen.“ Das sieht auch Wölbern so: „Wer populistisch Stammtischparolen nachplappert, nur um aus vermeintlicher ‚Volksnähe‘ und mit zunehmend unverblümteren Blick auf die nächsten Wahlen einen Vorteil für sich zu erhaschen, der stärkt diese Nazis. Punkt.“ Diesen Punkt wendet er aber auch gegen die Ampel: „Wer meint, man könne diesen nationalistischen Blendern durch Entgegenkommen das Wasser abgraben, der irrt! Und wer ausgerechnet in solch schweren Zeiten Benachteiligte und Hilfebedürftige gegeneinander ausspielt oder sie weiter schlechter stellt, der treibt diese Menschen geradewegs in die Arme der braunen Menschenfänger.“ Behrens sieht das ähnlich: Grüne und SPD sollten - wie sie es bei der Asylpolitik getan haben - aufhören, ihre Politik aufgrund der Zustimmung zur AfD nach rechts offen zu gestalten.
Warren und Kielau fordern, dass der Finanzminister z.B. das Klimageld umgehend auszahlt, nicht erst 2027. Und Wölbern betont die Notwendigkeit verlässlicher und verständlicher Politik. Wenn Kompromisse gefunden werden, sollten sie von denen, die sie beschlossen haben, nicht hinterher „mies gemacht“ werden.