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Lena Stehr

Kinderseelen in der Krise

Psychische Erkrankungen wie Angststörungen und Depressionen sind nicht nur bei Erwachsenen auf dem Vormarsch: Jedes fünfte Kind in Deutschland zeigt laut Robert Koch-Institut mittlerweile Symptome einer seelischen Störung. Wenn darauf nicht angemessen reagiert wird, kann das schlimme Folgen haben.

Bild: Adobe Stock / tropical Studio

Psychische Erkrankungen wie Angststörungen und Depressionen sind nicht nur bei Erwachsenen auf dem Vormarsch: Jedes fünfte Kind in Deutschland zeigt laut Robert Koch-Institut mittlerweile Symptome einer seelischen Störung. Wenn darauf nicht angemessen reagiert wird, kann das schlimme Folgen haben. In Christina Wehleits Praxis für Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie in Gnarrenburg war die Nachfrage schon vor der Corona-Pandemie hoch. Doch sie erlebe inzwischen - ähnlich wie viele Kolleg:innen - einen Anstieg um bis zu 60 Prozent. In vielen Fällen habe es schon vorher bestimmte Problemlagen gegeben, die dann durch Corona noch einmal deutlich verschärft worden seien, so die Diplom-Sozialpädagogin und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin. Verunsicherung ist das größte Problem Das allergrößte Problem für viele Kinder in dieser Zeit sei die allgemeine Verunsicherung, die unter anderem dadurch entstehe, dass nun vieles anders laufe als vorher, Kontakte und Rituale fehlten und der „bekannte Rahmen“ weggefallen sei. „Sicherheit ist das wichtigste emotionale Grundbedürfnis, und insbesondere Beziehungen zu anderen machen uns sicher“, sagt Christina Wehleit. Doch anstatt ihre oft neu gewonnenen Beziehungen zu Gleichaltrigen unbeschwert pflegen zu können, müssten zum Beispiel Grundschulkinder, die in ihrem Spiel oft sehr körperlich seien, nun Mundschutz tragen, Distanz zueinander wahren und sich zurückhalten. Und wer auf Dauer zu wenig Kontakte und Beziehungen habe, könne im schlimmsten Fall das Gefühl für seine eigenen Bedürfnisse verlieren, sich Ersatzbefriedigungen suchen und Süchte entwickeln, so Wehleit. Sich Zeit nehmen und Kindern zuhören Wichtig sei deshalb, Kindern Möglichkeiten für Kontakte zu schaffen und dafür auch die digitalen Medien zu nutzen und diese nicht grundsätzlich zu verteufeln. Essenziell sei zudem, dass Eltern sich Zeit für ihre Kinder nehmen, ihnen zuhören und hinter ihr Verhalten schauen. Da Kindern häufig die Worte fehlten, ihre Gefühle auszudrücken, äußerten sich Ängste und Überforderung oft durch Rückzug, Klammern und/oder vermehrtes Weinen, Kopf- oder Bauchschmerzen, Wutausbrüche, Aggressionen, Konzentrations- und Schlafschwierigkeiten oder Zwänge, so die Therapeutin, die selbst Mutter von drei kleinen Kindern ist. Auch den Eltern muss es gut gehen Umso besser wisse sie auch, wie wichtig die „Selbstfürsorge“ der Eltern sei, auch wenn das gerade jetzt oft schwer umzusetzen sei. Denn nur, wer als Elternteil selbst ausgeglichen sei, könne optimal auf Kinder eingehen und ihnen helfen, insgesamt gesund durch diese Zeit zu kommen. Kinder seien emotional sehr eng mit ihren Bezugspersonen verbunden und damit auf eine feinfühlige Co-Regulation der Erwachsenen angewiesen, sagt Christina Wehleit. Zudem leben Kinder im Hier und Jetzt, weshalb es für sie auch wenig greifbar sei, dass diese Krise auch irgendwann überstanden sein werde. Beim Erklären ist weniger oft mehr Die Erwachsenen müssten sich wiederum klar machen, dass viele ihrer Erklärungen für Kinder kognitiv noch nicht verstanden werden. Beim Sprechen über Ängste und dem altersgerechten Beantworten von Fragen sollte man daher lieber weniger sagen als zu viel, rät die Expertin. Eltern sollten abwarten, ob - und wenn ja, welche - Fragen kommen und diese gezielt und altersentsprechend beantworten. Sorgen ernst nehmen Grundsätzlich sollten Sorgen ernst genommen und Handlungsmöglichkeiten entwickelt werden. Sinnvoll könne unter anderem sein, den Tagesablauf neu zu strukturieren und Bewegungs- und Rückzugsmöglichkeiten zu integrieren und Kinder - zum Beispiel beim gemeinsamen Kochen - einzubeziehen. Es liege an uns Erwachsenen, die Kinder stärker in den Fokus zu rücken, auf sie zu achten und ihre Interessen zu vertreten, so Christina Wehleit. Das klappe auch in vielen Fällen sehr gut. Problematisch werde es überall dort, wo das Umfeld nicht genug Stabilität bieten könne. „Es müsste viel mehr niedrigschwellige Angebote für Familien geben und die oft fehlende Lobby für Kinder müsste gestärkt werden“, so Wehleit.


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