Patrick Viol & Lena Stehr

„Eingriff in die persönliche Freiheit“

Muzaffer Öztürkyilmaz erklärt, warum die Bezahlkarte für Geflüchtete zu weiterer Ausgrenzung führen und das Zuwanderungsproblem nicht lösen wird.

Dass vom geringen Geldbetrag, den Bezieher:innen von AsylbLG-Leistungen zu ihrer Verfügung haben, viel abzweigen, ist realitätsfern.

Dass vom geringen Geldbetrag, den Bezieher:innen von AsylbLG-Leistungen zu ihrer Verfügung haben, viel abzweigen, ist realitätsfern.

Wird die Einführung der Bezahlkarte dazu führen, dass weniger Menschen Asyl in Deutschland beantragen?

 

Es ist irrational zu glauben, Geflüchtete würden sich durch Bezahlkarten und die Einschränkung von Sozialleistungen davon abschrecken lassen, in Deutschland Asyl zu beantragen: Menschen kommen nach Deutschland, weil sie Schutz vor Verfolgung, Krieg oder Krisen finden wollen. Eine (bereinigte) Schutzquote von über 70% in diesem Jahr macht deutlich, dass selbst nach Ansicht des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge die meisten Asylantragsteller:innen zu Recht Schutz suchen. Studien zeigen, dass Flüchtende einen Zielstaat nicht nach dessen mutmaßlichem Sozialleistungssystem auswählen. Innerhalb der EU ist für Schutzsuchende Deutschland in erster Linie Zielland, weil sich bereits Familienangehörige und Bekannte bzw. Angehörige einer Community von Geflüchteten hier aufhalten. Andere sehen sich gezwungen, aus EU-Ländern wie Italien oder Griechenland nach Deutschland weiter zu flüchten, da sie dort zu einem Leben im Elend ohne Obdach und Essen verdammt sind.

 

Viele Menschen glauben, dass es Geflüchteten in Deutschland zu gut geht.

 

Bereits jetzt liegen die Leistungen nach dem AsylbLG unterhalb des menschenwürdigen Existenzminimums. Zuletzt hat dies der UN-Ausschuss für die Beseitigung der Rassendiskriminierung am 8. Dezember 2023 kritisiert. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits mehrfach Regelungen des AsylbLG als Verstoß gegen das Recht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum für verfassungswidrig erklärt. Eine Politik der Abschreckung und Vergrämung durch Leistungskürzungen und sozialen Ausschluss hat für die hier lebenden Geflüchteten gravierende Folgen. Der verlängerte Ausschluss von einer gleichberechtigten Teilhabe durch Unterschreitung des gesetzlich definierten Existenzminimums, die Versagung einer angemessenen Gesundheitsversorgung und technische Restriktionen über eine Bezahlkarte gefährden die Gesundheit und verursachen Prozesse der Ausgrenzung und Ghettoisierung. Sie verstärken damit rassistische Erfahrungen, die oftmals ohnehin zum Alltag Geflüchteter gehören.

 

Verschlimmert die Bezahlkarte solche Erfahrungen?

 

Wer in Deutschland ohne Bargeld lebt und nur wenige Dinge in wenigen Läden kaufen kann, verliert an Selbstbestimmung und macht demütigende Erfahrungen, etwa wenn der Euro für die öffentliche Toilette oder der Beitrag für die Klassenkasse fehlt. Menschen die Verfügungsgewalt über ihre Geldmittel zu lassen - mithin uneingeschränkte Barabhebungen zu ermöglichen – ist auch eine Frage des Respekts vor der Würde dieser Menschen.

 

Mit der Bezahlkarte sind keine Überweisungen möglich. Damit soll vor allem verhindert werden, dass Geflüchtete Geld ins Ausland überweisen. Ist das ein richtiger Ansatz?

 

Ähnlich wie die Barzahlung ist auch die Möglichkeit, Überweisungen zu tätigen, ein wichtiger Bestandteil der Handlungs- und Dispositionsfreiheit. Überweisungen braucht man beispielsweise, um Telefonverträge abschließen zu können. Dass in der öffentlichen Debatte vorgebracht wird, man wolle Überweisungen an Familienangehörige im Ausland verhindern, ist als ein inakzeptabler, entmündigender Eingriff in mögliche private Entscheidungen zu werten und überdies irreführend: Bereits jetzt ist der Geldbetrag, den Bezieher:innen von AsylbLG-Leistungen zu ihrer Verfügung haben, äußerst gering – dass davon noch relevante Beträge für notleidende Familienangehörige abgezweigt werden, ist realitätsfern.

 

Was halten Sie von dem Plan einiger Länder, den Kauf bestimmter Waren und Dienstleistungen mit der Bezahlkarte verhindern zu wollen?

 

„Leberkäse ja, Alkohol nein“, ließ der Bayerische Ministerpräsident in der BILD wissen. Die geäußerten Vorstellungen davon, was Menschen kaufen dürfen und was nicht, verweisen nicht nur auf Vorurteile und die Diskreditierung Geflüchteter. Sie verkennen vor allem: Sozialleistungen sind keine Erziehungsmaßnahme. Dinge vom Kauf auszuschließen, ist ein Eingriff in die persönliche Freiheit, die dem Staat nicht zusteht. Auch im Hinblick auf den Ausschluss bestimmter Waren oder Dienstleistungen gilt: Im Sozialrecht ist zu Recht festgeschrieben, dass bedürftige Menschen eigenverantwortlich wirtschaften und damit die Freiheit besitzen sollen, selbst zu entscheiden, was sie wann brauchen. Auch geflüchtete Menschen müssen dieses Recht in Anspruch nehmen können.

 

Es könnte auch regionale Einschränkungen geben.

 

Die Bezahlkarte kann so eingestellt werden, dass sie nur innerhalb eines bestimmten Postleitzahlenbereichs funktioniert. Die regionale Einschränkung der Karte stellt offenkundig den Versuch dar, die Freizügigkeit der Betroffenen durch die Hintertür zu beschränken: Wer Verwandte oder Freund:innen besucht oder einen weiter entfernten Facharzt oder eine Beratungsstelle aufsuchen möchte, kann in ernste Schwierigkeiten geraten, wenn er oder sie nicht einmal eine Flasche Wasser kaufen kann.

 

Gibt es auch Bedenken bezüglich des Datenschutzes?

 

Die digitale Bezahlkarte eröffnet Betreibern wie potenziell auch den Sozialverwaltungen, die Zugriff auf die Karten haben, umfangreiche Eingriffsmöglichkeiten sowie Einsicht in personenbezogene Zahlvorgänge. Dies gilt es politisch und technisch von vornherein auszuschließen, um das informationelle Selbstbestimmungsrecht der Betroffenen zu wahren und ordnungsgemäßes Verwaltungshandeln sicherzustellen. Ein eigenmächtiger (rechtswidriger) Zugriff der Behörden auf einmal gewährte Leistungen wie auch auf Daten muss technisch ausgeschlossen werden. Besonders wichtig ist es in diesem Zusammenhang auch, dafür zu sorgen, dass einzelne technische Änderungen an der Bezahlkarte als (willkürliches) Sanktionsmittel einzelner Behörden oder gar Sachbearbeiter nicht missbraucht werden.

 

Ließe sich die Bezahlkarte auch sinnvoll einsetzen?

 

Die Bezahlkarte ließe sich folgendermaßen diskriminierungsfrei gestalten: Als unbeschränktes digitales Zahlungsmittel für eine Übergangszeit zu Beginn, solange die ankommenden Menschen noch kein Konto haben - wie bspw. derzeit in der Stadt Hannover. Bislang händigen die Behörden in der Anfangszeit Bargeld aus – eine aufwendige Prozedur. Der in den Erstaufnahmeeinrichtungen ausgezahlte Betrag ist dabei sehr niedrig (204 Euro im Monat für einen alleinstehende Erwachsenen, faktisch oft weniger), weil dort ein großer Teil der Leistungen bereits derzeit als Sachleistung - in Form von Unterkunft, Kantinenessen, Altkleidern und anderem gewährt wird. Die Barauszahlung zu Beginn des Aufenthalts könnte durch die Bezahlkarte sinnvoll ersetzt werden und Verwaltungsaufwand sparen. Sobald die Menschen ein normales Girokonto haben oder erhalten können, sind Bezahlkarten nicht mehr nötig. Die normale Girokarte ist diskriminierungsfrei, verfassungskonform und sogar für die Verwaltungen die einfachste und günstigste Lösung.

 

Vielen Dank.

 

Muzaffer Öztürkyilmaz gehört zur Geschäftsführung des Flüchtlingsrates Niedersachsen e.V..

 


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