Lena Stehr

„Ein Grund aufzustehen“

Landkreis. In Werkstätten für Menschen mit Behinderung geht es um mehr als um Arbeit.

Bild: Gärtnerhof Badenstedt

Unter dem Motto „Mehr als ein Job“ macht die Bundesarbeitsgemeinschaft Werkstätten für behinderte Menschen (BAG WfbM) auf sich aufmerksam. Auch in unserer Region gibt es viele Möglichkeiten für Menschen mit Behinderung, einer geregelten Tätigkeit nachzugehen.
Derzeit sind rund 320.000 Erwachsene mit Behinderungen in den rund 700 Mitgliedswerkstätten der BAG WfbM beschäftigt und haben dort einen sicheren, unkündbaren Arbeitsplatz.
 
Arbeiten auf dem Gärtnerhof
 
So wie auf dem Gärtnerhof Badenstedt (Landkreis Rotenburg). Insgesamt gibt es dort 46 Arbeitsplätze in der Obstbaumschule, der Manufaktur, im Büro, der Hauswirtschaft und im Hofladen, berichtet die Leiterin für berufliche Rehabilitation, Martina Wetzel-Günnemann. Es gibt auch ausgelagerte Werkstattarbeitsplätze in der BBG in Bremervörde, bei der Imkerei Büttelmann, im Dorfladen Rhade sowie beim Hausmeister- und Gartenservice der AWO (mobile Kinderbetreuung, Kultur-Mobil).
Hauptbeschäftigungsfeld ist die Bioland zertifizierte Obstbaumschule, in der die Mitarbeiter:innen je nach individueller Neigung, Fähigkeit und Belastbarkeit unter Anleitung von Fachkräften alle Arbeitsschritte in der Produktion durchführen.
Viele wüssten leider gar nicht, dass es für sie die Möglichkeit gibt, in einer Werkstatt wie dem Gärtnerhof einen Job zu finden, sagt Wetzel-Günnemann. Dabei sei gerade für Menschen mit psychischen Erkrankungen das Gefühl der Zugehörigkeit sowie die Ausübung einer geregelten Tätigkeit wichtig. Das Team des Gärtnerhofs helfe den Menschen auch bei der Antragstellung und im Kontakt mit Behörden, bevor sie sich im Betrieb beruflich entwickeln können und Unterstützung auch beim Übergang zum ersten Arbeitsmarkt erhalten.
 
„Teilhabe am öffentlichen Leben“
 
Dass der Arbeitsplatz im Gärtnerhof für die meisten viel mehr als nur ein Job ist, zeigt eine Umfrage unter den Mitarbeitenden, die zwischen Anfang 20 und 67 Jahren alt sind. Die Beschäftigung sei „die Möglichkeit, nach einer schweren Depression wieder zurück ins Leben zu finden“, „eine Teilhabe am öffentlichen Leben“, „Lebenserfüllung“, „Selbstständigkeit und Unabhängigkeit, „das Gefühl gebraucht zu werden“ und „zu wissen, wofür ich aufstehe“.
 
Der Martinshof
 
Ähnliches gilt auch für die 107 Menschen mit Behinderung im Alter von 17 bis 63 Jahren, die bei der Martinshof Nord gGmbH in Osterholz-Scharmbeck beschäftigt sind. Hier werden unter anderem einfache Verpackungsarbeiten ausgeführt, Tee abgefüllt, es gibt eine Hauswirtschaftsabteilung und der Martinshof ist Zulieferbetrieb für Mercedes.
Außerdem können Imker:innen ihr Bienenwachs zum Martinshof bringen und erhalten im Anschluss Wachsplatten, die zu 100 Prozent aus genau diesem Wachs bestehen. „Wir sind die einzige Werkstatt in Norddeutschland, die so etwas anbietet“, sagt Produktionsleiter Helge Giepz.
 
Individuelle Ziele erreichen
 
Und während in der Vergangenheit häufig das „Betreuen und Behüten“ im Vordergrund gestanden habe, gehe es inzwischen in den Werkstätten insbesondere darum, gemeinsam mit den Beschäftigten deren persönliche Ziele zu erarbeiten und ihnen bei der Umsetzung zu helfen. So gelinge es auch immer wieder, die Menschen am ersten Arbeitsmarkt unterzubringen. So wie im Fall einer ehemaligen Mitarbeiterin, die zunächst mehrere Jahre in einem Pflegeheim arbeitete und nun mithilfe des Martinshofs eine Ausbildung zur Altenpflegerin absolviert.
 
Entgeltsystem reformieren
 
Bei allen Vorteilen, die Werkstätten für behinderte Menschen haben, sieht die BAG WfbM vor allem beim Arbeitsentgelt Reformbedarf. Werkstattbeschäftigte hätten über Grundsicherung und Rente deutlich mehr Geld zur Verfügung als häufig in Diskussionen dargestellt. Dennoch sei eine Abhängigkeit von Sozialleistungen keine gute Lebensgrundlage.
Um das sehr komplexe Entgeltsystem zu reformieren, müsse aber vieles berücksichtigt werden. Sonst bestünde die Gefahr, dass Menschen in Werkstätten zum Beispiel mit Einführung des Mindestlohns insgesamt schlechtergestellt würden.
www.gaertnerhof-badenstedt.com
www.werkstatt-bremen.de
www.werkstatt-ist-mehr.de


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