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Lena Stehr

Das Hakenkreuz am Schlauchturm

Über den Dächern in Hönau-Lindorf prangt das Nazisymbol schlechthin. Nun hat die Ortsbürgermeisterin spontan zum Pinsel gegriffen und die Sache verschlimmert.

Bremervörde. Witterungsbedingt ist am ehemaligen Feuerwehrhaus in Hönau-Lindorf ein 1936 angebrachtes und nach Kriegsende übermaltes Hakenkreuz über die Jahre immer sichtbarer geworden. Wirklich gestört hat sich niemand daran - bis sich Anzeiger und Morgenpost eingeschaltet haben.

Erst kürzlich berichtete die Tagesschau darüber, dass es laut Kultusministerium in Sachsen-Anhalt noch Hunderte Symbole, Inschriften und Skulpturen aus der Zeit des Nationalsozialismus gibt, obwohl diese seit Mai 1946 verboten sind. Ähnliches trifft auch auf Städte wie Hamburg zu, kommt aber ebenso auf dem platten Land vor.

So bemerken Aufmerksame auch im beschaulichen Hönau-Lindorf, einem Ortsteil von Bremervörde, ein großes Hakenkreuz am historischen Schlauchturm des ehemaligen Feuerwehrgerätehauses - Baujahr 1936 - direkt an der Dorfstraße. Das Gebäude samt Grundstück gehört seit 2006 dem „Club der Urgemütlichkeit e.V.“, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, Ausflüge und Feste zu veranstalten, um die Geselligkeit zu fördern. Im Internet findet sich auch eine Abbildung des Vereinsheims, das Hakenkreuz ist auf dem beschnittenen Bild nicht zu erkennen.

 

„Wir sind damit groß geworden“

 

Durch einen „schleichenden Prozess“ seien die andersfarbigen Schieferplatten, die das Hakenkreuz bilden, über die Jahre immer sichtbarer geworden, erklärt der Vorsitzende des Vereins, der namentlich nicht in der Zeitung genannt werden möchte. Die ehrenamtliche Ortsbürgermeisterin Bianka Grieschow-Pülsch (CDU) ergänzt, dass das „historische Zeichen“ einst von den Engländern übermalt worden sei, bevor der Zahn der Zeit zu nagen angefangen habe. „Wir sind damit groß geworden, niemand hat mehr darauf geachtet“, sagt sie.

Beachtung fand das Hakenkreuz dann aber doch im vergangenen Jahr, nachdem ein Hinweis darauf bei der örtlichen Polizei eingegangen war, bestätigt Heiner van der Werp, Sprecher der Polizeiinspektion Rotenburg (Wümme). Die Staatsanwaltschaft Stade habe die Angelegenheit daraufhin überprüft und festgestellt, dass keine Strafbarkeit vorliegt, da es sich um ein „vorkonstitutionelles“ und zudem auch um ein nicht öffentliches Gebäude handelt. Es hätten deshalb keine Auflagen gemacht werden können, das Hakenkreuz entfernen zu lassen. Das Ganze sei ein gesellschaftlich-moralisches Problem, so van der Werp.

Auf Nachfrage hatten damals sowohl der Vereinsvorsitzende als auch die Ortsbürgermeisterin der Staatsanwaltschaft mitgeteilt, dass es Pläne zur Sanierung des Turms gebe, die im Zuge der laufenden Dorfsanierung mit Hilfe von Fördermitteln umgesetzt werden sollen. Das Thema sei daraufhin auch im Ortsrat besprochen worden, so Grieschow-Pülsch.

Dass in den vergangenen Jahrzehnten niemand aktiv geworden sei, das Hakenkreuz zu entfernen, soll daran gelegen haben, dass zum einen die Mittel fehlten und die Stelle zum anderen nur schwer erreichbar sei, so der Vereinsvorsitzende. Und wohl eben auch, weil sich niemand wirklich dadurch gestört fühlte. Auch nicht der Bremervörder Bürgermeister Michael Hannebacher. Er habe gar nichts von dem Hakenkreuz gewusst, obwohl er täglich auf dem Weg ins Rathaus daran vorbeifahre. Auch einen offiziellen Hinweis auf den Turm und das scheinbar wieder sichtbar werdende Hakenkreuz sei weder den noch vorhandenen Unterlagen zu entnehmen, noch sei ihm bisher offiziell dazu etwas zugetragen worden.

Dringenden Handlungsbedarf hat offenbar auch der Rotenburger Landrat Marco Prietz (CDU), der in Hönau-Lindorf aufgewachsen ist und dem das alte Feuerwehrhaus besitzenden Club der Urgemütlichkeit als Mitglied angehört, in der Vergangenheit nicht gesehen. Es sei aber nicht zu übersehen, dass endlich eine Sanierung des Turms durchgeführt werden müsse, sagt er auf Nachfrage.

 

Hauruck-Aktion aus Angst vor Berichterstattung

 

Auf diese Sanierung wollte die Ortsbürgermeisterin aber nun offensichtlich doch nicht mehr warten. Aufgerüttelt durch die Recherchen des Anzeigers und auch der Hamburger Morgenpost hat sie nämlich gemeinsam mit dem Vereinsvorsitzenden am vergangenen Mittwochabend zu Farbe und Pinsel gegriffen und mit Hilfe eines Teleskopladers, den sie über ihren Mann habe organisieren können, das Hakenkreuz großflächig schwarz übermalt. Mittel und Wege zur Beseitigung des Hakenkreuzes standen also doch jederzeit zur Verfügung.

Sie wolle Schaden vom Dorf fernhalten und sei in Sorge, dass durch die Berichterstattung womöglich Rechtsradikale in Hönau-Lindorf auftauchen könnten. „Wir sind nicht rechtsradikal und wollen hier auch keine Rechtsradikalen haben“, sagt sie. Vor dem an diesem Wochenende stattfindenden 100-jährigen Jubiläum des örtlichen Sportvereins habe sie eine schnelle Lösung gewollt - und damit dem Dorf vermutlich einen Bärendienst erwiesen. Die NS-Geschichte zu verdecken, war auch die Reaktion der Deutschen nach ihrer Niederlage.

 

Die Geschichte aufarbeiten

 

Es sei fatal zu glauben, man könne Sachen wiedergutmachen, indem man sie einfach wegmacht, sagt Andreas Ehresmann, Leiter der Gedenkstätte Lager Sandbostel. Sein Rat an die Dorfgemeinschaft: Ruhe bewahren und das Hakenkreuz nicht gleich zerstören, sondern überlegen, wie man zum Beispiel mit einer sinnvollen Kommentierung auf die NS-Geschichte des Ortes aufmerksam machen könnte. Da es in der NS-Zeit keine Bauauflage gab, die die Verwendung von Hakenkreuzen vorschrieb, sei das Hakenkreuz am Feuerturm von Hönau-Lindorf durchaus ein Zeichen dafür, dass es damals im Ort Anhänger des Nationalsozialismus gab.

Diese Geschichte könnten die heutigen Einwohner:innen kritisch aufarbeiten und sich in diesem Zuge auch die Frage stellen, warum das Hakenkreuz über Jahre kommentarlos stehenblieb. Für ein derartiges Moratorium sei es auch nach der Übermalung noch nicht zu spät, so Ehresmann.

Und als ob das Hakenkreuz die Ambivalenz der Geschichte selbst festhalten wollte, strahlt es nach der spontanen Farbaktion im Sonnenlicht noch heller als vorher. Aus anderen Blickwinkeln aber versteckt es sich hinter schwarzer Farbe.


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