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Auf dem Weg zur neuen Weltordnung

Hybride Kriegsführung und die Zukunft des Krieges

Werner Hinrichs von der GSP (li.) mit Oberst i.G. Sönke Marahrens.

Werner Hinrichs von der GSP (li.) mit Oberst i.G. Sönke Marahrens.

Bremervörde (eb). Auf Einladung der Sektion Elbe-Weser der Gesellschaft für Sicherheitspolitik (GSP) sprach Oberst i.G. Sönke Marahrens kürzlich in Bremervörde über den koordinierten Einsatz von Desinformation, Schattenarmeen oder Cyber-Angriffen und die Gefährlichkeit Russlands.

Der Vortrag von Oberst i.G. Sönke Marahrens startete gleich mit einer Provokation: „Stellen Sie sich vor, es ist Krieg, und keiner merkt’s!“, um gleich darauf mit einem Eingeständnis nachzulegen: „Das systemische Versprechen, dass der Staat für den (äußeren, Anm. des Verf.) Schutz der Bürger garantiert, ist nicht mehr erfüllbar.“

 

Keine klassischen Kriege mehr

 

Was er damit meinte, erklärte der deutsche Vertreter am Europäischen Kompetenzzentrum für die Bekämpfung hybrider Bedrohungen in Helsinki, Finnland, in der darauf folgenden Stunde. Klassische Kriege, mit Großheeren, die auf einem klar umrissenen Gefechtsfeld einander gegenüber stünden, gehörten heutzutage zur Vergangenheit. Damit seien auch die Kriterien, ab welcher Situation man überhaupt von einem Kriegsakt sprechen könne verschwommen. Doch diese Klarheit sei notwendig, um die Bundeswehr nach der derzeitigen Rechtssprechung zum Einsatz zu bringen.

Hybrider Krieg, also der koordinierte und synchronisierte Einsatz von Desinformation, Schattenarmeen oder Cyber-Angriffen, sei quasi die Antithese zu traditionellen Kriegsdefinitionen. „Doch, was ist die Synthese?“, so Marahrens. Die Erfahrungen aus kriegerischen Auseinandersetzungen habe in der Vergangenheit zumindest zu Errungenschaften wie dem Internationalen Roten Kreuz oder der Haager Landkriegsordnung geführt.

Oberst i.G. Marahrens ließ keinen Zweifel, wen er für die Unsicherheit in Europa verantwortlich hält: Russland. Auch nach kritischen Nachfragen aus der Zuhörerschaft unterstrich der Referent die Bemühungen Putins die systemischen Schwachstellen der westlichen Demokratien anzugreifen: Wahleinmanipulationen, Beeinflussung von Schwergewichten der IT-Branche oder instrumentalisierte Migration. Dies alles führe dazu, dass das Vertrauen in den Staat oder die Demokratie erodiere. Hier könne auch die Bundeswehr nicht eingreifen, dazu sei jeder einzelne gefordert, egal ob aus Staat, Industrie oder Zivilgesellschaft.

Habe es vor dem Internetzeitalter noch Monate gedauert, um einen Desinformationskampagne zu führen, ginge das heutzutage dank KI in wenigen Stunden. „Reden Sie mit ihren Kindern, fragen Sie sie, was sie sich auf tiktok so ansehen!“, so Marahrens’ Appell an das Publikum und weiter: „Wir haben verlernt, uns Märchen zu erzählen!“

 

Realität wird neu ausgehandelt

 

Es fehlten die richtigen Erzählungen, mit denen wir uns der Werte unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung versicherten. Statt dessen werde die Realität neu ausgehandelt und relativiert, was Putins Handlungsraum erweitere.

Die hybride Kriegführung zeichne sich hierbei als äußerst kosteneffizient aus. Ziel Putins sei die Ausdehnung der russischen Einflusssphäre über den postsowjetischen Raum hinaus auf ganz Europa, um seine geopolitische Position zu stärken. Die beiden jüngsten NATO-Mitglieder, Finnland und Schweden, gingen mit dieser Situation vorbildlich um bereiteten die Bevölkerung darauf vor, im Ernstfall Widerstand leisten zu müssen. Finnland mache sich keine Illusionen darüber, dass sein Verzicht auf die Rückeroberung an Russland verlorener Gebiete trotz seiner regionalen militärischen Überlegenheit von Putin respektiert werde. Die Sicherheitsgarantien, die Russland 1994 der Ukraine im Rahmen des Budapester Memorandums gegeben habe, und für die Kiew die auf ukrainischem Boden stationierten Atomwaffen an Russland aufgegeben habe, hatten gerade einmal zwanzig Jahre Bestand.

„Die Annektion der Krim wäre eigentlich für die USA und Großbritannien ein Kriegsgrund gewesen!“, stellte Oberst i.G. Marahrens fest. Das ukrainische Selbstverständnis laute folgerichtig, dass sie nicht nur die eigene Freiheit, sondern auch die Westeuropas verteidige. Aber schon stünden autoritäre Staaten wie China in den Startlöchern, um mit großzügiger Wiederaufbauhilfe politisches Kapital aus dem Leid der Ukrainer zu schlagen. Und selbst Russland geriere sich medienwirksam als Helfer in der Not, die es selbst verursacht habe.

Am Ende sei es immer eine politische Entscheidung, wie weit man gehe wolle, um die territoriale und politische Unversehrtheit eines Staates zu verteidigen, der sich an der Würde des Menschen messen lassen wolle. „Wir werden uns noch viel verzeihen müssen“, so die nachdenklichen Worte Marahrens’.


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