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Mareike Kerouche

„Ab 1944 erfolgte eine Radikalisierung“ - Lars Hellwinkel referierte über den Einsatz von Kriegsgefangenen in Hamburg

Ein kaum bekanntes Detail der Kriegsgeschichte: Dr. Lars Hellwinkel referierte in der Gedenkstätte Lager Sandbostel über den Einsatz von Kriegsgefangenen in der Hansestadt Hamburg.  Foto: ue

Ein kaum bekanntes Detail der Kriegsgeschichte: Dr. Lars Hellwinkel referierte in der Gedenkstätte Lager Sandbostel über den Einsatz von Kriegsgefangenen in der Hansestadt Hamburg. Foto: ue

Sandbostel. Wie eng das Internierungslager Sandbostel während des Zweiten Weltkrieges mit der Hansestadt Hamburg verknüpft war, ist heute kaum mehr bekannt. Dr. Lars Hellwinkel, Historiker an der Gedenkstätte Lager Sandbostel, referierte im Veranstaltungsraum der ehemaligen katholischen Lagerkirche über die Rolle Hamburgs für das damalige Stalag XB.
„Es wurde bewusst an ganz zentraler Stelle im damaligen Wehrkreis X errichtet“, begann Hellwinkel seinen Vortrag und wies darauf hin, dass man in den heute vorliegenden Standardwerken zum Thema immer von Zwangsarbeitern in Hamburg spreche. „Aber waren überhaupt Kriegsgefangene vor Ort?“
Diese Frage lasse sich mit Zahlen untermauern: Waren es 1940 noch etwas über 1.300 stieg ihre Zahl kontinuierlich. Rund ein Drittel davon waren Kriegsgefangene. Diese erfahren einen sprunghaften Anstieg, nachdem Italien sich 1943 vom Deutschen Reich losgesagt hat. Allein 11.930 italienische Militärinternierte mussten ab diesem Zeitpunkt in Hamburg arbeiten. 1944 befanden sich über 50.650 Zwangsarbeiter im Arbeitseinsatz in Hamburg.
„Die Kriegsgefangenen wurden vor allem in der Landwirtschaft und im Luftschutzbau eingesetzt“, so Hellwinkel. Ihren Einsatz in der sensiblen Rüstungsindustrie sollte anfangs vermieden werden.
1943 erfolgte die Operation Gomorrha, ein alliierter Bombenangriff, der Hamburg verheerend traf und den Bombenkrieg neu definierte. Auch die Kriegsgefangenen und Zwangsarbeiter erlitten dabei sehr hohe Verluste, da es ihnen verboten war, in Bunkern Schutz zu suchen.
„Insgesamt wurden während der gesamten Kriegszeit 400- bis 500.000 Zwangsarbeiter in Hamburg eingesetzt. Was wir an Informationen haben, ist wenig“, so Lars Hellwinkel. Er verwies auf das Tagebuch des französischen Unteroffiziers Gaston Henry Aufrère, der im Zuge seiner Kriegsgefangenschaft bei einem Hamburger Gemüsebauern arbeiten musste.
Da im Hamburger Hafen ab 1942 vermehrt Arbeitskräfte fehlten, mussten auch dort Kriegsgefangene ihren Frondienst leisten.
Heute wisse man in Hamburg so wenig über das Schicksal von Kriegsgefangenen, weil sie kaum vor Ort starben. „Das geschah hier im Lager Sandbostel oder den anderen Lagern. Eine größere Menge an sowjetischen Toten findet sich in Hamburg nicht. Das ist mit ein Grund, warum keine vertiefende Beschäftigung mit dem Thema stattfindet“, sagt Lars Hellwinkel.
Besonders schlimm wird die Lage für die Kriegsgefangenen, als die Wehrmacht 1944 das gesamte Kriegsgefangenenwesen an die SS übergibt. „Es findet ab diesem Zeitpunkt eine starke Radikalisierung im Umgang mit den Kriegsgefangenen statt“, erklärt Lars Hellwinkel und nennt diverse Beispiele für rücksichtslose Erschießungen durch die SS bei Fluchtversuchen oder Aufständen von Kriegsgefangenen. „Mit dieser Übergabe an die SS verschwindet jegliche Form von Wohlwollen den Kriegsgefangenen gegenüber.“
Es blieben nicht viele Spuren von der Anwesenheit der Kriegsgefangenen in der Hansestadt. „Was bleibt, sind 384 sowjetische Tote, die in Hamburg-Ohlsdorf beigesetzt wurden. Und die Stadt hat den größten Friedhof mit italienischen Kriegsinternierten“, so Hellwinkel. 5.858 Italiener fanden hier ihre letzte Ruhestätte.
Nach dem Krieg gab es kaum oder nur wenige deutsche Betriebe, die ehemaligen Kriegsgefangenen Entschädigungszahlungen geleistet hätten. Als besonders höhnisches Beispiel nannte Lars Hellwinkel die Firma Blohm & Voss, die einen französischen Kriegsinternierten im Jahr 2003 mit einem Buch über die Werft als Wiedergutmachung abspeiste.
„Wir können immer nur Schlaglichter unserer Arbeit präsentieren. Es gibt in diesem Bereich noch viel zu forschen“, resümierte Dr. Lars Hellwinkel abschließend.


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