Land des Westens
Bremervörde. Polen nimmt eine zentrale Rolle für die Sicherheit der gesamten Europäischen Union ein. Angesichts seiner Lage an der NATO-Ostflanke, seines militärischen Potenzials, seiner engen Beziehungen zu den USA sowie seiner ostpolitischen Erfahrung ist Polen ein sicherheitspolitisches Schlüsselland in Europa. Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine, aber auch Provokationen und hybride „Vorfälle“, von denen Polen direkt betroffen ist, zeigen, wie exponiert Deutschlands Nachbarland ist.
Land des Westens
Polen verstehe sich als ein Land des Westens, erklärte Dr. Lang einleitend, der Osten das seien die Ukraine oder Belarus. Manche gingen auch so weit, Polen aufgrund seines starken Katholizismus als ein Land des Südens, geprägt von Latinitas zu bezeichnen. Und so seien auch die Bindungen an Europa stark: die Mitgliedschaft in der EU und der NATO allem voran, daneben gäbe es auch starke gesellschaftliche und wirtschaftliche Verflechtungen mit den westlichen Partnern Warschaus. So sei Polen der viertgrößte Absatzmarkt für Deutschland und importiere mehr Waren als China. Seine zentrale Lage in Europa sowie seine Geschichte im 20. Jahrhundert bestimme die sicherheitspolitische Wahrnehmung Polens.
Ebenso wie Deutschland steht auch Polen unter einem kontinuierlichen hybriden Angriff. Merkwürdige Drohnen-Vorkommnisse, Sabotage polnischer Bahnlinien, der Großbrand in einem polnischen Handelszentrum und Cyber-Attacken nähren in Polen das bekannte Gefühl der Verwundbarkeit und Ängste vor dem Im-Stich-Gelassen werden. Sein Buch zur Geschichte Polens habe Norman Davies nicht umsonst „God’s Playground“ (Spielplatz Gottes) genannt. Polen, so Dr. Lang, wolle die europäische Sicherheitsarchitektur mitgestalten, es wolle Player werden und das vor allem in einer NATO, die sich wieder der Bündnisverteidigung verpflichtet fühlt. Polen sei, zitierte Dr. Lang einen Kollegen, ein „instinktiver Atlantiker und habe konsequenterweise eine „special relationship“, eine besondere Beziehung zum wichtigsten NATO-Land, den USA aufgebaut. Auch wenn der Mythos der Zuverlässigkeit Risse bekommen habe, werde er in Polen immer noch kultiviert. Gleichzeitig entdecke Warschau die Europäische Union als wichtigen Partner. „NATO means life, EU means good life“ brachte es Dr. Land auf den Punkt. Im Gegensatz zur NATO habe die EU-Geld und biete dem Land einen perspektivischen Mehrwert. Dazu gehöre die „Sicherheitsaktion für Europa“ (SAFE), von der sich Polen eine Stärkung der EU-Rüstungs-Industriepolitik verspricht, auch wenn hierüber innenpolitisch noch eine gewisse Uneinigkeit bestehe. Polens derzeitige wichtigste Partner in der EU seien die nordeuropäischen und baltischen Staaten, es gäbe bilaterale Verträge mit Frankreich, den Niederlanden und Großbritannien.
Deutsche Zurückhaltung
Und Deutschland? Nach einem Moment der Hoffnung, als Olaf Scholz von der Zeitenwende sprach und man in Warschau glaubte, Deutschland habe angefangen, polnisch zu sprechen, nähme unser östlicher Partner eine spürbare Zurückhaltung wahr. „Polen lag immer vor dem Trend“, analysierte Dr. Lang, da es seine Außenpolitik maßgeblich in geopolitischen Kategorien betrieb. Für das Land sei die bereits vor einem viertel Jahrhundert gezogene Schlussfolgerung des ehemaligen, in Warschau geborenen Sicherheitsberaters Jimmy Carters, Zbigniew Brzezinski, das „cetero censeo“, oder in anderen Worten, das Mantra seiner Ostpolitik geworden: ohne die Ukraine ist Russland kein eurasisches Reich, kurzum kein Imperium mehr. Polen sehe sich als Sachwalter der östlichen NATO-Interessen und schreibe Europa eine größere Rolle zu. In Warschaus Kalkül sei, dass die USA in Europa zwar immer noch Interessen hätten, sich selbst aber nicht mehr engagieren wollten. Es liefe auf eine Europäisierung des Ukraine-Krieges hinaus.
Trotz der Bedrohung gäbe es in Polen keine Wehrpflicht, erklärte Dr. Lang auf Nachfrage. Man sei eher unheroisch und der Dienst an der Waffe recht unpopulär. Aber auch in der Ukraine kämpften jetzt junge Männer, die sich nur wenige Wochen zuvor den Kopf darüber zerbrochen hätten, wo es in Kiev den besten Latte Macchiato gäbe, relativierte der Ost-Experte.
Das Momentum nutzen
In der Ukraine sehe Polen sein eigenes Schicksal und trachte demzufolge nach Schutz, Solidarität und vor allem zuverlässigen Partnern. Das Land stehe vor ungeheuren Herausforderungen. Einerseits müssten die sozialpolitischen Errungenschaften aufrechterhalten werden, andererseits habe man ambitionierte Verteidigungspläne. Demographischer Wandel, Personalknappheit und industrielle Engpässe müssten bewältigt werden. Dr. Lang mahnte an, das derzeitige politische Momentum zu nutzen. In Europa entstehe ein sicherheitspolitisches Zentrum, angetrieben von Großbritannien, Frankreich und Deutschland mit Polen und seinem politischen und militärischen Potenzial in der Mitte. Europa habe durchaus Grund, mit Selbstbewusstsein aufzutreten, und für seine Sicherheit zu sorgen. Auch die EU habe Sharp Power, effektive Druckmittel, seine Sanktionen täten Russland weh, und die ukrainische Angriffe auf dessen Energie- und Erdölkapazitäten blieben auch nicht ohne Wirkung, erklärte Dr. Lang. Die NATO habe in den baltischen Staaten dazugelernt.
Der nächste Vortrag vom ehemaligen Generalinspekteur der Bundeswehr, General a.D. Eberhard Zorn, wird am 27. Januar 2026 im Oste-Hotel stattfinden.

