Drecksarbeit und Staatsräson als Phrase

Patrick Viol 54

Deutschlands Iranpolitik war über Jahrzehnte ein riskanter Balanceakt zwischen wirtschaftlichem Interesse und moralischer Selbsttäuschung – zulasten Israels. Essay von Patrick Viol.

Bild: OpenAI

„Wenn eines Tages die islamische Welt ebenfalls mit Waffen ausgestattet ist, wie sie Israel heute besitzt, dann wird die Strategie der Imperialisten zum Stillstand kommen, denn schon der Einsatz einer einzigen Atombombe im Inneren Israels wird alles vernichten. Auch wenn dies der islamischen Welt Schaden zufügen wird, ist es nicht widersinnig, so eine Möglichkeit in Betracht zu ziehen.“ Dies sagte der im Westen als „moderat“ gehandelte iranische Expräsident Ali Akbar Haschemi Rafsanjani auf einer Kundgebung zum Al-Quds Tag vor etwas mehr als 20 Jahren. Der Einsatz einer Atombombe gegen Israel ist das angestrebte Ziel des Mullah-Regimes. Auch wenn dabei Millionen Muslime ums Leben kämen. Diese Selbstopferungsbereitschaft gehört zur iranischen Staatsräson. So erklärte Ayatollah Ruhollah Khomeini bereits kurz nach der Revolution 1979. „Wir beten nicht den Iran an, wir beten Allah an. [...] Ich sage, soll der Iran brennen. Ich sage, soll dieses Land in Rauch aufgehen, vorausgesetzt, der Islam erweist sich als siegreich.“ Die Islamische Republik ist ein djihadistischer Suizidbomber, der für an pragmatisch-ökonomische Rationalität, nationale Sicherheitsinteressen und machtpolitischen Überlebenswillen appellierende westliche Diplomatie unansprechbar ist.

Der Westen und die Warnung

Diesen Umstand hat man im Westen, allen voran in Deutschland, und anders als in Israel, wo man gelernt hat, jenen zu glauben, die sagen, dass sie einen töten wollen, nicht nur geflissentlich ignoriert. Man hat zugleich einen sich für beide Seiten auszahlenden Handel mit dem Holocaustleugner-Regime betrieben und letztlich indirekt dazu beigetragen, dass es sich nuklear bewaffnen kann.

Wenn Bundeskanzler Merz den israelischen Angriff auf die iranischen Atomanlagen als „Drecksarbeit“ bezeichnet, also als eine Arbeit - wie man entgegen des weitverbreiteten Unverständnisses des Wortes hinzufügen muss - die widerwillig gemacht werden muss, hat er insofern recht, als dass Israel diese Arbeit nie machen wollte. Stets drängte Israel darauf, die Bedrohung Israels durch den Iran ernst zu nehmen und dem Iran die Anreicherung von Uran zu untersagen und umfangreiche Sanktionen zu erlassen. Aber nicht nur Israel, auch in Deutschland haben in den letzten 20 Jahren namhafte Politikwissenschaftler und Iran-Experten wie Stephan Grigat und Matthias Küntzel nachdrücklich darauf aufmerksam gemacht, dass religiöser Fanatismus plus Atombombe der „worst case der Weltpolitik“ sei, der um ­jeden Preis verhindert werden müsse, wie Küntzel kürzlich in der Wochenzeitung Jungle World schrieb.

Aber in Deutschland, wie ebenso in den USA, hat man weder auf Israel noch auf kritische Iranexperten gehört und deshalb ist Merz Nebensatz: „die Israel für uns macht“ eine lügenhafte Unverfrorenheit. Merz inszeniert es so, als ob Deutschland auf politischem Wege alles Mögliche getan hätte, das iranische Atom(bomben)programm zu stoppen. Leider ohne Erfolg, weshalb Israel jetzt, nachdem die IAEA dem Iran vorwirft, ein geheimes Atomprogramm betrieben, IAEA-Kontrollen stark behindert und den Atomwaffensperrvertrag wiederholt verletzt zu haben, leider militärisch eingreifen muss.

Dass Israel eingreifen musste - auch gegen das Völkerrecht, da es offenkundig zulässt, dass Iran völkerrechtswidrig waffenfähiges Uran anreichert, stimmt. Dass Deutschland große Anstrengungen gegen Irans Atombombenambitionen unternommen hättte, stimmt hingegen nicht.

Zentrum der deutsch-iranischen Verstrickung

Über drei Jahrzehnte hinweg erwies sich Deutschland als verlässlicher Partner der Islamischen Republik Iran – nicht trotz, sondern teils wegen eines kalkulierten Interessenausgleichs, in dem wirtschaftliche Vorteile regelmäßig Vorrang vor Menschenrechten und der Sicherheit Israels erhielten. Eine Schlüsselrolle spielte dabei das Bundesland Niedersachsen, regiert über weite Strecken von der SPD, die immer wieder unter Verdacht stand, Sanktionsregime zu unterlaufen oder politisch zu relativieren. Bis heute gilt Niedersachsen als Zentrum des deutsch-iranischen Handels.

Das Bundesland mit seiner exportstarken Maschinenbau- und Automobilindustrie etablierte sich bereits in den 1990er Jahren als Hauptdrehscheibe für iranische Wirtschaftsinteressen. Daran änderte auch nichts das Mykonos-Attentat 1992 in Berlin, bei dem vier iranisch-kurdische Oppositionelle ermordet wurden und für das ein deutsches Gericht dem iranischen Staatsapparat direkte Verantwortung zuschrieb.

Die Nähe zum Hamburger Hafen, wo unter anderem die Europäisch-Iranische Handelsbank (EIHB) operierte, die regelmäßig im Fokus internationaler Geheimdienste steht, sicherte dem Iran über Jahrzehnte Zugang zu westlicher Hochtechnologie und globalen Finanzströmen. Unternehmen wie VW und mittelständische Zulieferer aus der Region lieferten Technik, Maschinen, Spezialausrüstungen – teils unter dem Deckmantel „ziviler Nutzung“, mit möglicher Doppelfunktion. Auch die Kräne, an denen im Iran regelmäßig Dissidenten oder Homosexuelle erhängt werden, stammen aus Deutschland. Gleichzeitig arbeiteten deutsche Firmen mit iranischen Universitäten und Forschungseinrichtungen zusammen, die später auf internationalen Sanktionslisten auftauchten – wegen ihrer Rolle beim iranischen Atomprogramm.

Geheimdienstliche Berichte deuten an, dass deutsche Unternehmen – teils unwissentlich, teils bewusst – zur Proliferation beitrugen. Tatsächlich ist die Beteiligung deutscher Firmen an der Entwicklung von Nukleartechnologie für den Iran historisch dokumentiert: Bereits in den 1970er-Jahren lieferte Siemens Know-how für das Atomkraftwerk Buschehr. In den 2000er-Jahren wurden Spezialpumpen, Gaszentrifugen und Steuertechnik exportiert. Auch nachdem 2002 durch die IAEA bekannt wurde, dass der Iran seit den 1980er Jahren ein verstecktes, militärisch relevantes Atomprogramm betreibt und gegen den Atomwaffensperrvertrag verstößt. Und während die USA auf schmerzhafte Sanktionen pochte, gab Joschka Fischer den Mullahs zu verstehen, dass sie Europa als „Schutzschild“ seiner strategischen Sicherheitsinteressen verstehen könnten, wie es die FAZ 2004 berichtete. Daraus folgte beispielsweise, dass man 2005 verhinderte, dass die Atomakte an den UN-Sicherheitsrat übergeben wurde.

„Wandel durch Handel“ - die Geopolitische Kurzsicht

Diese Haltung erinnert fatal an das lange Festhalten an Wirtschaftsbeziehungen zu Russland: Auch hier setzte Berlin auf Wandel durch Handel, ignorierte Warnungen aus Osteuropa, deckte autoritäre Tendenzen und stabilisierte ein Regime, das sich letztlich gegen den Westen wandte. Die Parallelen zur Iranpolitik sind frappierend – von der Abhängigkeit bis zur ideologisch verbrämten Verdrängung geopolitischer Realitäten. Sogar personell. Denn es war Gerhard Schröder, unter dem die wirtschaftlichen Beziehungen zum Iran intensiviert wurden. Und Bundespräsident Steinmeier, der noch kurz vor Russlands Einmarsch in die Ukraine Putin ein Interesse an rationalen internationalen Beziehungen bescheinigte, war als Außenminister maßgeblich daran beteiligt, Sanktionen gegen den Iran abzuwenden. Dass er noch 2019 dem iranischen Regime zum 40. Geburtstag gratulierte, das bis dato geschätzt 30.000 Menschen hinrichten ließ, war so konsequent wie zynisch.

Zahlen und Zynismus

Zahlen des Statistischen Bundesamtes belegen den Umfang: Noch 2017 lag das bilaterale Handelsvolumen zwischen Deutschland und dem Iran bei rund 3,4 Milliarden Euro, wobei Niedersachsen einen überproportionalen Anteil am Export hatte. Selbst nach dem Ausstieg der USA aus dem Atomabkommen 2018 wurde in Hannover am Rande internationaler Messen wie der EMO weiter über Partnerschaften mit iranischen Delegationen verhandelt – unter Beteiligung von SPD-geführten Landesministerien. Die wirtschaftliche Zusammenarbeit wurde nicht etwa gestoppt, sondern aktiv flankiert, auch durch Landesbürgschaften.

Erst mit dem Ausstieg der USA aus dem Atomabkommen unter Präsident Donald Trump und der Wiedereinführung von Sanktionen 2018 begann auch in Deutschland ein langsamer Rückzug – zumindest auf offizieller Ebene.

Die Ampel-Regierung unter Kanzler Olaf Scholz (SPD) betonte angesichts der Niederschlagung der „Jin, Jiyan, Azadî“-Proteste im Herbst 2022 erstmals deutlich die Menschenrechtslage im Iran. Sanktionen auf EU-Ebene folgten – allerdings ohne den Handel vollständig einzustellen. Noch 2023 lieferte Deutschland Ausrüstungen, die nachweislich für Repressionszwecke verwendet werden konnten. Sicherheitsbehörden warnten gleichzeitig vor iranischen Spionageaktivitäten auf deutschem Boden.

Staatsräson als Phrase

Besonders bitter fällt die deutsche Handelsbilanz mit Blick auf Israel aus. Die Formel von der „Staatsräson“ – mit der Kanzlerin Merkel 2008 die Sicherheit Israels zur deutschen Verpflichtung erklärte – blieb im Iran-Fall folgenlos. Dass Teheran offen zur Auslöschung Israels aufruft und mit der Hisbollah, der Hamas und den Huthis eine Terrormiliz unterhält, hat Deutschland nie davon abgehalten, das Regime weiter mit Technologie, Maschinen und außenpolitischer Legitimität zu versorgen.

In den entscheidenden Momenten obsiegte nicht die Solidarität mit dem Staat der Holocaustüberlebenden, sondern das Geschäft mit Holocaustleugnern, die eine atomare Vernichtung der Juden anstreben. Diese Geschichte der deutsch-iranischen Beziehung zeigt nicht nur, dass deutscher Völkerrechtsmoralismus und Geschäft zwei verschiedene Dinge sind. Sie zeigt auch, dass Israel sich nicht auf Deutschland und Europa verlassen kann und entsprechend gezwungen ist, Pragmatik internationalem Recht vorzuziehen.

Es bleibt jetzt abzuwarten, ob Friedrich Merz Worten eine Kehrtwende in der Iranpolitik folgen wird. Sein Außenminister Wadephul gibt allerdings keinen Anlass zur Hoffnung.